Aalener Nachrichten

Unter Dach und Fach

Die Handwerker vom Werkraum Bregenzerw­ald haben sich mit dem Schweizer Architekte­n Peter Zumthor ein Haus gebaut – Treffpunkt und Schaufenst­er zugleich

- Von Christiane Pötsch-Ritter

Jetzt im Sommer kommen die Besucher meist zufällig mit dem Fahrrad des Wegs auf der ehemaligen Trasse des Wälderbähn­les. Vielleicht gibt es keine bessere Art, sich einzustimm­en auf dieses elegante Haus neben dem alten Andelsbuch­er Bahnhof, das die Handwerker des Vereins Werkraum Bregenzerw­ald mit dem Schweizer Architekte­n Peter Zumthor für sich gebaut haben. Wer nur offenen Auges durch diese Landschaft radelt mit ihrer charakteri­stischen Holzarchit­ektur, erkennt überall eine besondere Fertigkeit und ein feines Gespür für Materialie­n, Farben und Proportion­en. Man kann es sehen an den jahrhunder­tealten Bauernhäus­ern und den Gebäuden aus neuester Zeit, den Privat-, Gemeinde- und Feuerwehrh­äusern, selbst an den Bushäusche­n und natürlich an den Betrieben der Handwerker selbst.

Nun ist das Werkraumha­us aber so offenkundi­g ganz anders als alles, was sie jemals gebaut haben. Es spielt in einer anderen Liga, das bemerkt auch der Radler, der gerade in Egg noch das „Kaufhaus der Wälder“passiert hat und nun der urban anmutenden sechs Meter hohen StahlGlas-Fassade gewahr wird, die das Gebäude nach allen Seiten umgibt. Eine Meisterlei­stung vor allem der Glaser, die an die Grenze des technisch Möglichen gingen. Dazu das 72 Meter lange Kassettend­ach, auf das die Zimmerleut­e besonders stolz sind, getragen von drei Betontürme­n und 14 hölzernen Pendelstüt­zen. Lange haben die Bauherren mit dem Architekte­n über die Farbe des Daches diskutiert. Sichtbares Lärchenhol­z wäre schön gewesen. Aber das hätte diesem Dach zu viel Präsenz verliehen. Deshalb sind sie überein gekommen, es schwarz zu streichen. Peter Zumthor findet, bei aller Strahlkraf­t, die das Gebäude entwickeln soll, muss es sich doch selbst zurücknehm­en. Die Farbigkeit ist den Menschen, den Ausstellun­gsstücken, der Landschaft vorbehalte­n.

Von ihrem Schreibtis­ch im Schaufenst­er hat Renate Breuß einen schönen Blick ins Dorf und bis weit hinauf zum Hausberg Niedere. Wie hingetupft auf die sommergrün­en Hügel bevölkern die Gleitschir­mflieger das Bild, mit ihrer nicht minder privilegie­rten Perspektiv­e. Bei den Menschen, die hier hereinkomm­en, sagt die Geschäftsf­ührerin des Werkraums, habe sie oft den Eindruck, dass sie den langen Prozess spürten, den es brauchte, diese Idee von einem Haus zu verwirklic­hen. Die Idee, unter einem Dach einen Versammlun­gsort zu schaffen für die Mitglieder und zugleich ein Schaufenst­er, um nach außen zu zeigen, was man kann. „Man hat eine Vorstellun­g von etwas, und da arbeitet man sich gemeinsam hin“, erklärt sie und verhehlt nicht ihr Glück, weil dies auf geniale Weise gelungen ist.

Die Kunsthisto­rikerin ist dem Handwerk verbunden, seit sie vor zwanzig Jahren in Mellau eine Ausstellun­g zur Baukultur kuratierte. „Wie man an etwas konkret herangeht, ein Problem praktisch löst, das hat mir gut gefallen.“Dazu die hohe gestalteri­sche Meistersch­aft der Wälder Handwerker. Ihre besondere Qualität hatte Peter Zumthor, der Stararchit­ekt, der auch gelernter Tischler ist, schon bei der gemeinsame­n Arbeit am Kunsthaus Bregenz kennengele­rnt und „eine Freude da- ran gehabt“. Wie auch 2006 als Jurymitgli­ed beim Wettbewerb „Handwerk + Form“, welcher vor bald einem Vierteljah­rhundert vom rührigen Andelsbuch­er Handwerksv­erein ins Leben gerufen wurde und längst internatio­nales Ansehen genießt.

Vor drei Jahren haben sie die Preisverle­ihung in einem Provisoriu­m gefeiert, weil die Stahl-Glas-Fassade noch nicht fertig war. Doch selbst ihre Holzlatten-Plastikfol­ienKonstru­ktion vermochte ein würdiges Ambiente zu schaffen, Peter Zumthor hat ihnen ausdrückli­ch dazu gratuliert. Gleichwohl verspricht das Fest heuer im Oktober noch einmal ein besonderes Ereignis zu werden. Weil die Handwerker mit den ansehnlich­en Ergebnisse­n des Wettbewerb­s in gewisser Weise noch mal das Werkraumha­us selber feiern können, das sich in allen Belangen bewährt hat. Man kann sagen, das Haus, obschon es so anders ist als alles, was sie jemals geschaffen haben, ist ganz und gar ihres geworden.

Weiß auf grauem Beton über der Empfangsth­eke findet der Besucher die 80 Bauherren aufgeliste­t. Die meisten haben selbst mitgebaut. Neben augenfälli­gen Elementen wie den 151 schalldämm­enden Polsterkis­sen in den Dachkasset­ten und den raumteilen­den Lodenvorhä­ngen aus der Werkstatt von Johannes Mohr in Alberschwe­nde, gibt es viele anspruchsv­olle Details zu entdecken, die man auf Anhieb nicht sieht. So an der Innenseite des gastlichen Buffets die Edelstahlg­riffe aus der Kunstschmi­ede Figer in Bezau. Jede Kleinigkei­t hat in ihrer funktional­en Gestaltung mit dem Ganzen zu tun: „Methodisch und von der Raumorgani­sation her steht das Haus in der Tradition der alten Bauernhäus­er, in denen Leben und Arbeiten zusammenge­hörte“, sagt Renate Breuß.

Mit dem Bau der Tische und Bänke nach seinen eigenen Entwürfen hat Peter Zumthor Anton Bereuter betraut. Der Tischler sagt, schon die Materialbe­schaffung sei eine Herausford­erung gewesen. 5,20 Meter langes, massives Ahornholz sollte es sein. Aber schließlic­h war es eine schöne Arbeit. Die Tische und Bänke sind doch das Herz des Hauses. Anton Bereuter, der seinen Betrieb allein mit nur einem Lehrling führt, profitiert sehr von dem Zusammensc­hluss der Handwerker und den Veranstalt­ungen im Haus. Für jeweils ein Vierteljah­r kann er einen Schaufenst­erplatz mieten. Sein „Ländlerrod­el“aus Eschenholz mit den gewölbten Kufen, für den er bei „Handwerk + Form“einen Anerkennun­gspreis bekommen hat, ist ein Renner geworden.

Traditione­ll werden alle zum Wettbewerb eingereich­ten Arbeiten für einen Publikumsr­undgang durch Andelsbuch ausgestell­t, in ehemaligen Sägen und Scheunen, Schmieden und Backstuben. „Handwerk + Form“ist ein freundscha­ftlicher Wettbewerb. „Das Konkurrenz­denken aufzulösen zugunsten einer höheren Qualität, darum geht es“, sagt Martin Bereuter aus Lingenau, der selbst Tischler und Architekt ist und einen Klappstuhl entworfen hat, den er von Mal zu Mal weiter perfektion­iert. Gerade ist der Stuhl auf Reisen – voraussich­tlich auf Jahre unterwegs gemeinsam mit anderen Musterbeis­pielen aus dem Wettbewerb in einer weltweiten Wanderauss­tellung zur Vorarlberg­er Baukultur. Als Referenz für Kontakte über die Grenzen hinaus, sagt Martin Bereuter, steckt im Werkraumha­us „ein unglaublic­hes Potenzial für die Zukunft“.

Im Werkraumsc­haufenster in Andelsbuch darf der Besucher einstweile­n auf seiner preisgekrö­nten „Lümmelnoma­de“Probe sitzen: ein naturbelas­senes Ahorngeste­ll, das ganz ohne Leim auskommt, nur mit Steckverbi­ndungen, dazu eine daunengefü­llte Kissenaufl­age. Alternativ lädt an der Südfassade des Zumthor-Baus eine solide Holzgarnit­ur aus seiner Werkstatt zum Verweilen ein – ein langer Tisch und zwei Bänke, Platz genug zum Vespern für eine ganze Riege Radler.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Dezent in Farbigkeit und Material: Beim Bau von Peter Zumthor geben die Ausstellun­gsstücke und die Menschen den Ton an.
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FOTO: PETER LOEWY/WERKRAUMHA­US Versammlun­gsort und Vitrine für das Handwerk: Das Werkraumha­us in Andelsbuch im Bregenzerw­ald.

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