Unter Dach und Fach
Die Handwerker vom Werkraum Bregenzerwald haben sich mit dem Schweizer Architekten Peter Zumthor ein Haus gebaut – Treffpunkt und Schaufenster zugleich
Jetzt im Sommer kommen die Besucher meist zufällig mit dem Fahrrad des Wegs auf der ehemaligen Trasse des Wälderbähnles. Vielleicht gibt es keine bessere Art, sich einzustimmen auf dieses elegante Haus neben dem alten Andelsbucher Bahnhof, das die Handwerker des Vereins Werkraum Bregenzerwald mit dem Schweizer Architekten Peter Zumthor für sich gebaut haben. Wer nur offenen Auges durch diese Landschaft radelt mit ihrer charakteristischen Holzarchitektur, erkennt überall eine besondere Fertigkeit und ein feines Gespür für Materialien, Farben und Proportionen. Man kann es sehen an den jahrhundertealten Bauernhäusern und den Gebäuden aus neuester Zeit, den Privat-, Gemeinde- und Feuerwehrhäusern, selbst an den Bushäuschen und natürlich an den Betrieben der Handwerker selbst.
Nun ist das Werkraumhaus aber so offenkundig ganz anders als alles, was sie jemals gebaut haben. Es spielt in einer anderen Liga, das bemerkt auch der Radler, der gerade in Egg noch das „Kaufhaus der Wälder“passiert hat und nun der urban anmutenden sechs Meter hohen StahlGlas-Fassade gewahr wird, die das Gebäude nach allen Seiten umgibt. Eine Meisterleistung vor allem der Glaser, die an die Grenze des technisch Möglichen gingen. Dazu das 72 Meter lange Kassettendach, auf das die Zimmerleute besonders stolz sind, getragen von drei Betontürmen und 14 hölzernen Pendelstützen. Lange haben die Bauherren mit dem Architekten über die Farbe des Daches diskutiert. Sichtbares Lärchenholz wäre schön gewesen. Aber das hätte diesem Dach zu viel Präsenz verliehen. Deshalb sind sie überein gekommen, es schwarz zu streichen. Peter Zumthor findet, bei aller Strahlkraft, die das Gebäude entwickeln soll, muss es sich doch selbst zurücknehmen. Die Farbigkeit ist den Menschen, den Ausstellungsstücken, der Landschaft vorbehalten.
Von ihrem Schreibtisch im Schaufenster hat Renate Breuß einen schönen Blick ins Dorf und bis weit hinauf zum Hausberg Niedere. Wie hingetupft auf die sommergrünen Hügel bevölkern die Gleitschirmflieger das Bild, mit ihrer nicht minder privilegierten Perspektive. Bei den Menschen, die hier hereinkommen, sagt die Geschäftsführerin des Werkraums, habe sie oft den Eindruck, dass sie den langen Prozess spürten, den es brauchte, diese Idee von einem Haus zu verwirklichen. Die Idee, unter einem Dach einen Versammlungsort zu schaffen für die Mitglieder und zugleich ein Schaufenster, um nach außen zu zeigen, was man kann. „Man hat eine Vorstellung von etwas, und da arbeitet man sich gemeinsam hin“, erklärt sie und verhehlt nicht ihr Glück, weil dies auf geniale Weise gelungen ist.
Die Kunsthistorikerin ist dem Handwerk verbunden, seit sie vor zwanzig Jahren in Mellau eine Ausstellung zur Baukultur kuratierte. „Wie man an etwas konkret herangeht, ein Problem praktisch löst, das hat mir gut gefallen.“Dazu die hohe gestalterische Meisterschaft der Wälder Handwerker. Ihre besondere Qualität hatte Peter Zumthor, der Stararchitekt, der auch gelernter Tischler ist, schon bei der gemeinsamen Arbeit am Kunsthaus Bregenz kennengelernt und „eine Freude da- ran gehabt“. Wie auch 2006 als Jurymitglied beim Wettbewerb „Handwerk + Form“, welcher vor bald einem Vierteljahrhundert vom rührigen Andelsbucher Handwerksverein ins Leben gerufen wurde und längst internationales Ansehen genießt.
Vor drei Jahren haben sie die Preisverleihung in einem Provisorium gefeiert, weil die Stahl-Glas-Fassade noch nicht fertig war. Doch selbst ihre Holzlatten-PlastikfolienKonstruktion vermochte ein würdiges Ambiente zu schaffen, Peter Zumthor hat ihnen ausdrücklich dazu gratuliert. Gleichwohl verspricht das Fest heuer im Oktober noch einmal ein besonderes Ereignis zu werden. Weil die Handwerker mit den ansehnlichen Ergebnissen des Wettbewerbs in gewisser Weise noch mal das Werkraumhaus selber feiern können, das sich in allen Belangen bewährt hat. Man kann sagen, das Haus, obschon es so anders ist als alles, was sie jemals geschaffen haben, ist ganz und gar ihres geworden.
Weiß auf grauem Beton über der Empfangstheke findet der Besucher die 80 Bauherren aufgelistet. Die meisten haben selbst mitgebaut. Neben augenfälligen Elementen wie den 151 schalldämmenden Polsterkissen in den Dachkassetten und den raumteilenden Lodenvorhängen aus der Werkstatt von Johannes Mohr in Alberschwende, gibt es viele anspruchsvolle Details zu entdecken, die man auf Anhieb nicht sieht. So an der Innenseite des gastlichen Buffets die Edelstahlgriffe aus der Kunstschmiede Figer in Bezau. Jede Kleinigkeit hat in ihrer funktionalen Gestaltung mit dem Ganzen zu tun: „Methodisch und von der Raumorganisation her steht das Haus in der Tradition der alten Bauernhäuser, in denen Leben und Arbeiten zusammengehörte“, sagt Renate Breuß.
Mit dem Bau der Tische und Bänke nach seinen eigenen Entwürfen hat Peter Zumthor Anton Bereuter betraut. Der Tischler sagt, schon die Materialbeschaffung sei eine Herausforderung gewesen. 5,20 Meter langes, massives Ahornholz sollte es sein. Aber schließlich war es eine schöne Arbeit. Die Tische und Bänke sind doch das Herz des Hauses. Anton Bereuter, der seinen Betrieb allein mit nur einem Lehrling führt, profitiert sehr von dem Zusammenschluss der Handwerker und den Veranstaltungen im Haus. Für jeweils ein Vierteljahr kann er einen Schaufensterplatz mieten. Sein „Ländlerrodel“aus Eschenholz mit den gewölbten Kufen, für den er bei „Handwerk + Form“einen Anerkennungspreis bekommen hat, ist ein Renner geworden.
Traditionell werden alle zum Wettbewerb eingereichten Arbeiten für einen Publikumsrundgang durch Andelsbuch ausgestellt, in ehemaligen Sägen und Scheunen, Schmieden und Backstuben. „Handwerk + Form“ist ein freundschaftlicher Wettbewerb. „Das Konkurrenzdenken aufzulösen zugunsten einer höheren Qualität, darum geht es“, sagt Martin Bereuter aus Lingenau, der selbst Tischler und Architekt ist und einen Klappstuhl entworfen hat, den er von Mal zu Mal weiter perfektioniert. Gerade ist der Stuhl auf Reisen – voraussichtlich auf Jahre unterwegs gemeinsam mit anderen Musterbeispielen aus dem Wettbewerb in einer weltweiten Wanderausstellung zur Vorarlberger Baukultur. Als Referenz für Kontakte über die Grenzen hinaus, sagt Martin Bereuter, steckt im Werkraumhaus „ein unglaubliches Potenzial für die Zukunft“.
Im Werkraumschaufenster in Andelsbuch darf der Besucher einstweilen auf seiner preisgekrönten „Lümmelnomade“Probe sitzen: ein naturbelassenes Ahorngestell, das ganz ohne Leim auskommt, nur mit Steckverbindungen, dazu eine daunengefüllte Kissenauflage. Alternativ lädt an der Südfassade des Zumthor-Baus eine solide Holzgarnitur aus seiner Werkstatt zum Verweilen ein – ein langer Tisch und zwei Bänke, Platz genug zum Vespern für eine ganze Riege Radler.