Wagner-Festspiele in Bayreuth eröffnet
Musikalisch ein Triumph: Mit „Tristan und Isolde“sind die 104. Bayreuther Festspiele eröffnet worden
BAYREUTH (sz) - Mit einer vor allem musikalisch gelungenen Premiere haben am Samstag die 104. RichardWagner-Festspiele in Bayreuth begonnen. Festival-Leiterin Katharina Wagner brachte mit „Tristan und Isolde“ihre zweite Regiearbeit auf den Grünen Hügel. Sänger und Festspielorchester unter der Leitung von Christian Thielemann begeisterten, die Inszenierung hatte jedoch durchaus Schwächen.
BAYREUTH - Kein Zaubertrank, kein Liebestod, und die Kanzlerin soll vom Stuhl gefallen sein: Mit der Premier von „Tristan und Isolde“sind am Samstag die Bayreuther WagnerFestspiele eröffnet worden. Deren Leiterin Katharina Wagner hat zum zweiten Mal auf dem Grünen Hügel Regie geführt. Doch nicht ihre kühne Umdeutung von „Tristan und Isolde“hat Angela Merkel zu Fall gebracht. Das hatte einen banalen Grund: Ihr Stuhl im Festspielrestaurant war marode. Die Premiere wurde vom Publikum bejubelt. Katharina Wagner freilich hatte sich mit ihrem Regieteam nur kurz gezeigt und – fast scheu – verneigt.
Oper ist immer eine Anstrengung und in Bayreuth besonders. Für alle Beteiligten. Den Hügel umweht stets ein Hauch von Hysterie. Querelen im Vorfeld gehören dazu wie die Bratwurst zur Pause. Diesmal war es (unter anderem) die Interpretin der Titelheldin, die das fragile System ins Wanken brachte. Anja Kampe gab vier Wochen vor der Premiere die Rolle der Isolde zurück. Evelyn Herlitzius sprang ein – und präsentierte eine hochdramatische Isolde, die verzweifelt um die Liebe zu Tristan ringt.
Die Liebenden wollen leben
Isoldes Liebestod ist legendär. Doch Katharina Wagner misstraut der Geschichte, misstraut damit auch der romantischen Idee von der Vereinigung der Liebenden Isolde und Tristan im Tode. König Marke, dem Isolde versprochen ist, reißt sie am Ende mit einer herrischen Geste von Tristans Totenbahre weg, sie wird abgeführt wie eine Verbrecherin.
Doch das ist nicht die einzige Abweichung von der üblichen Interpretation: Anders als in den vergangenen 150 Jahren greifen Tristan und Isolde nicht zum Zaubertrank, sondern schütten ihn weg (siehe Kasten rechts).
Dass da was ist zwischen den beiden, das macht die Regisseurin schon bei der ersten Begegnung klar: Isolde fällt Tristan um den Hals, die beiden küssen sich leidenschaftlich. Die wollen nicht sterben, die wollen leben und lieben. Dazu brauchen sie kein Getränk.
Altbackene Ausdrucksformen
Dass das Scheitern des Paares vorprogrammiert ist, zeigt die Bühne: Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert haben für den ersten Akt ein Gewirr von Treppen auf die Bühne gestellt. Ein Labyrinth, inspiriert von Piranesis „Carceri“. Ein schlüssiges Bild für die Ausweglosigkeit, in der sich alle befinden.
Dagegen erscheint die Personenführung hilflos und erschöpft sich in altbackenen Ausdrucksformen. Die hervorragende Christa Mayer wird in ihrer Rolle als Brangäne alleinge- lassen von der Regie. Sie kann immer nur dieselben Gesten der Hilflosigkeit und Verzweiflung zeigen, von einem Bein aufs andere treten und minutenlang Isoldes zerfledderten Schleier ordnen.
Der zweite Akt mit dem vielleicht berauschendsten Liebesduett der Opernliteratur spielt im Gefängnis. Tristans Diener Kurwenal wirft sich wieder und wieder gegen die Wände. Scheinwerfer, von oben dirigiert von König Marke, verfolgen das Paar.Zum alles überströmenden, hinreißenden „Oh ewge Nacht! Hehr erhabne Liebesnacht“gelingt dann doch ein schönes Bild: Tristan und Isolde stehen mit dem Rücken zum Publikum, vor ihnen eine Videoprojektion mit zwei Gestalten, die allmählich entschwinden. Und auch im dritten Akt arbeitet Katharina Wag- ner mit Einblendungen: Immer wieder erscheint dem fiebernden Tristan die Gestalt Isoldes.
Wagners „Tristan und Isolde“ist ein Nachtstück. Aber für viereinhalb Stunden Spieldauer würde man sich mehr Futter fürs Auge wünschen. Es macht über weite Strecken Mühe, die Sänger auf der Bühne zu erkennen. Den einzigen Farbakzent setzt Kostümbildner Thomas Kaiser bei Kö- nig Marke und seiner Truppe: Der pelzverbrämte Königsmantel und die Uniformen seiner Gefolgsleute leuchten in einem abstoßenden Senfgelb.
Marke, außerordentlich beeindruckend von Georg Zeppenfeld gesungen, ist in dieser Inszenierung von vornherein der Böse und womöglich der eigentliche Spielmacher: Er weiß um die Liebe von Tristan und Isolde. Aber er lässt diese nicht zu, weil er selbst nicht lieben kann. Küchenpsychologie statt Mythos.
Magischer Klang
Der Zauber dieser Produktion kommt aus der Musik. Das Sängerensemble ist so gut und homogen wie lange nicht mehr auf dem Hügel. Auch die Nebenrollen sind mit Raimund Nolte, Tansel Akzeybek und Kay Stiefermann bestens besetzt. Neben Evelyn Herlitzius als Isolde glänzt Stephen Gould als Tristan. Iain Paterson und Christa Mayer als Dienerpaar Kurwenal und Brangäne stehen ihnen in nichts nach.
Und dann der magische Klang des Festspielorchesters unter Christian Thielemann! Da ist nichts pauschal, dick, allgemein, sondern farbig, spannungsgeladen wie Musik zu einem Thriller, beklemmend, dramatisch und am Schluss wie in einem letzten Atemzug ersterbend. Deswegen fährt man nach Bayreuth.