Aalener Nachrichten

Steinbrück mischt sich in Kandidaten­debatte ein

Kritik des früheren Bundesfina­nzminister­s am Zustand der SPD – Rückenstär­kung für Sigmar Gabriel

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Der Wirbel um die Kapitulati­onserkläru­ng von Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Torsten Albig (SPD) hat sich noch nicht wieder richtig gelegt, da schießt auch der 2013 gescheiter­te SPD-Kanzlerkan­didat und ehemalige Bundesfina­nzminister Peer Steinbrück quer und redet Klartext: „Die SPD mobilisier­t nicht, sie weckt keinen Enthusiasm­us, sie reißt niemanden mit“, stellt Steinbrück seiner Partei in einem Interview ein vernichten­des Zeugnis aus und dämpft wie zuvor schon sein früherer Pressespre­cher, der heutige Kieler Landesvate­r Albig, die Erwartunge­n für die Bundestags­wahl 2017.

Die SPD habe kaum Siegeschan­cen, ihr fehlten für ein gutes Wahlergebn­is attraktive Inhalte. „Das Abarbeiten des Koalitions­vertrages wird die SPD nicht über 30 Prozent führen“, warnt Steinbrück und spricht aus, was derzeit in der Partei kontrovers diskutiert wird. Ob Rente mit 63, Mindestloh­n, Mietpreisb­remse oder Frauenquot­e – zwar habe die SPD ihre Wahlverspr­echen erfüllt und geliefert, doch habe dieses Programm schon bei der letzten Bundestags­wahl nur für 25,7 Prozent gereicht.

Ist Merkel nicht zu schlagen? Die Kanzlerin mache ihren Job „ganz ausgezeich­net“, hatte SPD-Mann Albig in einem Interview geschwärmt. Sollte die SPD 2017 besser auf einen eigenen Kanzlerkan­didaten verzichten, wie es der SPD-Ministerpr­äsident von der Küste vorgeschla­gen und damit einen Proteststu­rm in den eigenen Reihen ausgelöst hatte?

Umfragetie­f hin, Krise her – die Sozialdemo­kraten dürften nicht auf einen Merkel-Herausford­erer verzichten, meint Steinbrück und verrät, dass er Parteichef Gabriel für den richtigen Kandidaten hält. „Unabhängig von seinem Amt als Parteichef ist Gabriel derjenige, der sich aufgrund seiner Fähigkeite­n am besten für den Job des Kanzlerkan­didaten anbietet“, so der ehemalige Finanzmini­ster. Eine Kandidaten­debatte zur Unzeit, ein Angriff der Heckenschü­tzen aus dem eigenen Lager – die Sozialdemo­kraten scheinen fest entschloss­en zu sein, das Sommerthea­ter in diesem Jahr ganz allein bespielen zu wollen.

Der SPD-Chef war zuletzt immer stärker in der eigenen Partei in die Kritik geraten. Sei es sein umstritten­er Besuch einer Pegida-Veranstalt­ung, der Kurswechse­l bei der Vorratsdat­enspeicher­ung, die harten Töne beim Thema Griechenla­nd – vor allem die Parteilink­e geht auf Distanz, klagt immer lauter über Gabriels Zickzack-Kurs. Dass die Sozialdemo­kraten zwar inzwischen in 14 Bundesländ­ern regieren, aber im Bund zwei Jahre nach der Bundes- tagswahl in den Umfragen noch immer bei nur 25 Prozent liegen, sorgt zunehmend für Unruhe.

Gabriels Plan mit Blick auf den Bundestags­wahlkampf die Partei mehr in die Mitte zu rücken und wie einst Gerhard Schröder erfolgreic­h Wählerstim­men bei der Union fischen zu wollen, stößt auf wenig Begeisteru­ng bei den Genossen. Dass sich der Parteichef und Vizekanzle­r ausgerechn­et bei Bodo Hombach, dem früheren Kanzleramt­sminister und einem der Väter des SPD-Wahlerfolg­es von Gerhard Schröder 1998, Hilfe für seine Strategie und seinen Wahlkampf 2017 suchen soll, beobachten nicht wenige in der Parteiführ­ung mit Sorge und Misstrauen.

Doch auch Ex-Finanzmini­ster Steinbrück fordert einen Kurswechse­l der Partei und macht für das anhaltende Umfragetie­f der SPD eine Fixierung auf das Thema soziale Gerechtigk­eit verantwort­lich. Auch andere Parteien hätten dieses Thema inzwischen entdeckt. Die Sozialdemo­kraten müssten sich wirtschaft­liche und kulturelle Kompetenze­n erarbeiten, rät Steinbrück.

In der Partei gibt es kaum Zweifel, dass Gabriel Ende 2016 nach der Kanzlerkan­didatur greifen wird. Vor einem offenen Aufstand oder gar einem Sturz scheuen die Kritiker jedoch nicht zuletzt mangels personelle­r Alternativ­e zurück.

 ?? FOTO: DPA ?? Peer Steinbrück mit Gattin bei „Queen's Birthday Party“im Juni.
FOTO: DPA Peer Steinbrück mit Gattin bei „Queen's Birthday Party“im Juni.

Newspapers in German

Newspapers from Germany