Steinbrück mischt sich in Kandidatendebatte ein
Kritik des früheren Bundesfinanzministers am Zustand der SPD – Rückenstärkung für Sigmar Gabriel
BERLIN - Der Wirbel um die Kapitulationserklärung von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hat sich noch nicht wieder richtig gelegt, da schießt auch der 2013 gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat und ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück quer und redet Klartext: „Die SPD mobilisiert nicht, sie weckt keinen Enthusiasmus, sie reißt niemanden mit“, stellt Steinbrück seiner Partei in einem Interview ein vernichtendes Zeugnis aus und dämpft wie zuvor schon sein früherer Pressesprecher, der heutige Kieler Landesvater Albig, die Erwartungen für die Bundestagswahl 2017.
Die SPD habe kaum Siegeschancen, ihr fehlten für ein gutes Wahlergebnis attraktive Inhalte. „Das Abarbeiten des Koalitionsvertrages wird die SPD nicht über 30 Prozent führen“, warnt Steinbrück und spricht aus, was derzeit in der Partei kontrovers diskutiert wird. Ob Rente mit 63, Mindestlohn, Mietpreisbremse oder Frauenquote – zwar habe die SPD ihre Wahlversprechen erfüllt und geliefert, doch habe dieses Programm schon bei der letzten Bundestagswahl nur für 25,7 Prozent gereicht.
Ist Merkel nicht zu schlagen? Die Kanzlerin mache ihren Job „ganz ausgezeichnet“, hatte SPD-Mann Albig in einem Interview geschwärmt. Sollte die SPD 2017 besser auf einen eigenen Kanzlerkandidaten verzichten, wie es der SPD-Ministerpräsident von der Küste vorgeschlagen und damit einen Proteststurm in den eigenen Reihen ausgelöst hatte?
Umfragetief hin, Krise her – die Sozialdemokraten dürften nicht auf einen Merkel-Herausforderer verzichten, meint Steinbrück und verrät, dass er Parteichef Gabriel für den richtigen Kandidaten hält. „Unabhängig von seinem Amt als Parteichef ist Gabriel derjenige, der sich aufgrund seiner Fähigkeiten am besten für den Job des Kanzlerkandidaten anbietet“, so der ehemalige Finanzminister. Eine Kandidatendebatte zur Unzeit, ein Angriff der Heckenschützen aus dem eigenen Lager – die Sozialdemokraten scheinen fest entschlossen zu sein, das Sommertheater in diesem Jahr ganz allein bespielen zu wollen.
Der SPD-Chef war zuletzt immer stärker in der eigenen Partei in die Kritik geraten. Sei es sein umstrittener Besuch einer Pegida-Veranstaltung, der Kurswechsel bei der Vorratsdatenspeicherung, die harten Töne beim Thema Griechenland – vor allem die Parteilinke geht auf Distanz, klagt immer lauter über Gabriels Zickzack-Kurs. Dass die Sozialdemokraten zwar inzwischen in 14 Bundesländern regieren, aber im Bund zwei Jahre nach der Bundes- tagswahl in den Umfragen noch immer bei nur 25 Prozent liegen, sorgt zunehmend für Unruhe.
Gabriels Plan mit Blick auf den Bundestagswahlkampf die Partei mehr in die Mitte zu rücken und wie einst Gerhard Schröder erfolgreich Wählerstimmen bei der Union fischen zu wollen, stößt auf wenig Begeisterung bei den Genossen. Dass sich der Parteichef und Vizekanzler ausgerechnet bei Bodo Hombach, dem früheren Kanzleramtsminister und einem der Väter des SPD-Wahlerfolges von Gerhard Schröder 1998, Hilfe für seine Strategie und seinen Wahlkampf 2017 suchen soll, beobachten nicht wenige in der Parteiführung mit Sorge und Misstrauen.
Doch auch Ex-Finanzminister Steinbrück fordert einen Kurswechsel der Partei und macht für das anhaltende Umfragetief der SPD eine Fixierung auf das Thema soziale Gerechtigkeit verantwortlich. Auch andere Parteien hätten dieses Thema inzwischen entdeckt. Die Sozialdemokraten müssten sich wirtschaftliche und kulturelle Kompetenzen erarbeiten, rät Steinbrück.
In der Partei gibt es kaum Zweifel, dass Gabriel Ende 2016 nach der Kanzlerkandidatur greifen wird. Vor einem offenen Aufstand oder gar einem Sturz scheuen die Kritiker jedoch nicht zuletzt mangels personeller Alternative zurück.