„Die Annäherung wird zerstört“
Claudia Roth (Grüne) über das Vorgehen der Türkei gegen IS und Kurden
BERLIN - Das türkische Militär bekämpft zeitgleich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die kurdische PKK. Andreas Herholz sprach mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) über die jüngste Eskalation.
Auch die Vereinigten Staaten begrüßen das Vorgehen Ankaras. Sind die Angriffe richtig?
Das ist eine Reaktion auf den furchtbaren Anschlag auf das Kulturzentrum in Suruc in der vergangenen Woche mit 32 Toten und vielen Verletzten. Erst vor wenigen Monaten war ich selber dort zu Gast. Washington sieht in Erdogan und der türkischen Führung einen wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Islamischen Staat. Die USA sind froh über diese Unterstützung. Doch hier droht eine gefährliche Zuspitzung. Erdogan macht jetzt, was er schon lange vorhatte. Er will eine kurdische Selbstverwaltung mit allen Mitteln verhindern und versucht dies mit militärischer Gewalt. Es gibt ja nicht nur die Luftangriffe auf Syrien, sondern auch die Meldung, dass Ausbil- dungslager der PKK im Nordirak angegriffen worden sind.
Aber dass Ankara jetzt einen Kurswechsel im Kampf gegen den „Islamischen Staat“einleitet, ist doch ein gutes Zeichen, oder?
Noch ist nicht erkennbar, ob es sich hier um eine echte Kehrtwende im Umgang mit dem IS handelt und die türkische Regierung den Islamischen Staat wirklich nicht länger unterstützt. Oder, ob man unter diesem Deckmantel gegen die Kurden vorgeht. Erdogan versucht jetzt, die PKK mit dem Islamischen Staat gleichzusetzen. Das ist einfach Wahnsinn. Die vorsichtige Annäherung zwischen kurdischen Vertretern und der Türkei wird hier wieder zerstört. Da steht der gesamte Friedens- und Aussöhnungsprozess auf dem Spiel, der so wichtig für die gesamte Region ist.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat die türki- schen Angriffe auf den IS in einer ersten Stellungnahme gelobt, ließ dabei den gleichzeitigen Militärschlag gegen die Kurden allerdings unerwähnt. Wie bewerten Sie ihre Stellungnahme?
Die Äußerungen von Frau von der Leyen waren sehr vorschnell und unbedacht. Wenn die Auseinandersetzung in der Region eskaliert und Erdogan nicht nur den IS, sondern auch die Kurden bekämpft, droht hier ein Flächenbrand. Gerade die Kurden im Nordirak waren bisher die schärfsten Gegner des Islamischen Staates. Sie haben rund um Kobane den IS erfolgreich bekämpft und zurückgedrängt. Wir müssen achtgeben: Die Türkei ist auch Nato-Partner. Bundeswehrsoldaten sind hinter der Grenze zu Syrien mit Patriot-Raketen stationiert. Das sollte Frau von der Leyen auch ernsthaft bedenken, bevor sie so etwas vorschnell kommentiert. Als Verteidigungsministerin sollte man besonnen bleiben.