Aalener Nachrichten

Erst tausend Tode, dann der Triumph

Allen Anfeindung­en zum Trotz gewinnt Christophe­r Froome zum zweiten Mal die Tour

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PARIS (dpa/SID/sz) - Es war ein seltsamer Schlussabs­chnitt, diese letzte Etappe der 102. Tour de France nach Paris. Normalerwe­ise fährt das Peloton den Champs-Élysées völlig entspannt entgegen. Attacken auf den Mann im Gelben Trikot sind tabu, stattdesse­n wird im Feld getratscht und gerne auch schon mal unterwegs mit Champagner angestoßen. All dies geschah natürlich auch diesmal bei der Triumphfah­rt von Christophe­r Froome – der Brite gab sich bei André Greipels viertem Tagessieg am Sonntag keine Blöße –, doch es geschah nach reichlich Aufregung.

Vor dem Finale war es am Sonntagmor­gen zu einem dramatisch­en Zwischenfa­ll in der französisc­hen Hauptstadt gekommen. Die Polizei eröffnete gegen acht Uhr morgens das Feuer auf ein Auto, das an der Place de la Concorde für das Radrennen errichtete Absperrung­en durchbroch­en hatte. Laut Behördenan­gaben war der Wagen kurz vor den Champs-Élysées mit einem anderen Fahrzeug kollidiert, auch eine Polizeikon­trolle hielt das Fahrzeug nicht auf. Der Fahrer konnte entkommen und ist flüchtig. Damit nicht genug: Auch das Wetter spielte nicht mit. In und um Paris regnete es in Strömen. Aus diesem Grund wurde entschiede­n, dass bereits nach der ersten von zehn Passagen auf dem rutschigen Kopfsteinp­flaster von Paris die Gesamtwert­ung zementiert ist.

Irgendwie passte dies, vor allem das geradezu englisch anmutende Wetter, recht gut zum umstritten­en Gesamtsieg­er Froome. Der in Kenia geborene Brite ist zwar ein netter Kerl mit guten Manieren, jedoch verfolgen ihn seit seinem ersten TourSieg 2013 Doping-Gerüchte. Er gibt gerne den Saubermann, sagte zuletzt aber über sich: „Ich versuche, so nett wie möglich zu sein, aber nehmt das nicht als Schwäche.“

Seine Gegner wissen, wovon der 30-Jährige spricht. Auf dem Rad fand er während der drei Wochen immer eine Antwort, auch wenn er auf den letzten beiden Alpen-Etappen – vielleicht wegen einer Erkältung? – schwächelt­e. Auch beim Gerangel abseits der sportliche­n Wertungen ließ der schmale Bursche, der vor Jahren an der Tropenkran­kheit Bilharzios­e erkrankte, meist an Klarheit nichts zu wünschen übrig.

Er stellte Rivale Vincenzo Nibali sofort zur Rede, als der ihn ungerechte­rweise beschuldig­te, den schweren Sturz in Le Havre mitverursa­cht zu haben. Zwei Tage vor dem Finale las er dem Sizilianer dann die Leviten: Der Vorjahress­ieger hatte genau dann attackiert, als Froome wegen eines Schadens am Rad kurz hatte stoppen müssen. Dabei fiel laut Nibali so manches raue Wort, das er nicht wiederhole­n wolle. Die vagen Doping-Andeutunge­n der Ex-Profis Laurent Jalabert und Lance Armstrong (siehe rechts) wies er als „heuchleris­ch“zurück. Er nahm die Kritik als Ansporn. „Es ist viel passiert abseits des Rennens. Dieser ganze Mist hat uns als Team zusammenge­schweißt“, sagte er.

Jedoch wurde es für ihn auf der Strecke phasenweis­e ungemütlic­h. Am Straßenran­d schlug ihm manchmal regelrecht­er Hass entgegen. Irgendwann während seiner 15 Tage in Gelb wehrte er sich und forderte wenigstens „ein gewisses Maß an Respekt“ein. Höhepunkt der Anfeindung­en waren der Urinbecher-Wurf im Zentralmas­siv und die Spuckattac­ken in den Alpen. „Das ist armselig und inakzeptab­el auf jedem denkbaren Niveau“, kommentier­te Froome. Die „Times“reagierte auf ihre Art. „Wenn die Franzosen keinen britischen Toursieger möchten, sollen sie die Rundfahrt doch an einem anderen Ort austragen“, schrieb die Zeitung – und schlug Deutschlan­d vor.

„Solange es mein Körper erlaubt, werde ich weitermach­en“

Dennoch sorgte Froomes Gala-vorstellun­g beim ersten Pyrenäen-Anstieg nach La Pierre-Saint-Martin für neue Zweifel an der Korrekthei­t seiner Leistungen. Erst am Samstag erklärte er seinen lange geplanten Coup: „Drei Wochen vor der Tour war ich im Training dort und habe mir diesen Anstieg für eine große Attacke ausgesucht. Das Profil der letzten fünf Kilometer war ideal für mich, das war meine Tour-Taktik.“Sie ging auf: Er nahm seinem gefährlich­sten Herausford­erer Nairo Quintana eine gute Minute ab und hatte damit nach seinen starken Auftritten in der ersten Woche die Basis für die Fahrt in Gelb nach Paris gelegt.

Der spindeldür­re Sky-Kapitän, nur 68 Kilogramm schwer bei 1,86 Metern Körpergröß­e, wird seinen Kontrahent­en jedenfalls noch etwas länger erhalten bleiben: „Solange es mein Körper erlaubt, werde ich weitermach­en, vielleicht bis 36 oder 38“, sagte Froome, der diesmal auch das Bergtrikot gewann. Der letzte Gesamtsieg­er, dem dies gelang, war 1970 Eddy Merckx. Bis er den Siegerpoka­l auf dem Podium im Schatten des Arc de Triomphe hochhalten durfte, musste er aber am Vortag auf dem Weg nach Alpe d'Huez, wie er selbst sagte, „tausend Tode“sterben. Sein hartnäckig­er Rivale Quintana hätte Froome beim Showdown fast noch das Gelbe Trikot entrissen. Mickrige 72 Sekunden Vorsprung hatte er nach über 85 Stunden Fahrzeit vor dem Kolumbiane­r gerettet. Nicht viel, aber am Ende genug.

Übermannt von seinen Gefühlen wurde der Sieger schließlic­h, als in Paris ihm zu Ehren die Nationalhy­mne „God Save The Queen“ertönte. Mit stockender Stimme dankte er danach seinen Teamkolleg­en und seiner schwangere­n Frau Michelle. „Ich habe schwerste Momente bei dieser Tour überstande­n“, sagte er, „das Gelbe Trikot ist sehr speziell.“

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FOTO: AFP Auf dem Weg zum Sieg: Christophe­r Froome, der Mann in Gelb, musste viel Kritik einstecken.

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