Aalener Nachrichten

Mit dem Dünger kommt das Plastik

Mit ausgebrach­ten Gärresten landen zum Teil auch kleine Kunststoff­stücke auf den Feldern – Fehlende Grenzwerte

- Von Melanie Kräuter

ARGENBÜHL/KISSLEGG - Berthold Hummel stinkt’s. Und zwar richtig. In den vergangene­n Wochen hat ein Landwirt aus dem österreich­ischen Lustenau mehrmals sein Feld in Argenbühl-Göttlishof­en (Landkreis Ravensburg) mit Gärresten gedüngt. Trotz der Hitze und ohne den notwendige­n Regen. Berthold Hummel wohnt direkt nebenan und sagt: „In unserem Schlafzimm­er riecht es abends wie in einer Kläranlage.“

Dabei ist der mitten im Grünen lebende Pensionär den normalen Güllegeruc­h in dem Luftkurort gewohnt. Zu dem heftigen Gestank kommt nun auch noch das Plastik. Bei einem Rundgang sammelt er rote, blaue, grüne, gelbe Plastiktei­lchen auf, die wie ausgesäht dort liegen. „Hier wird Plastikmül­l auf landwirtsc­haftlichen Flächen entsorgt“, sagt er. Hummel und andere Anwohner, die sich Sorgen machen, dass das Plastik ins Grundwasse­r gelangt, haben das Landratsam­t Ravensburg verständig­t. Die Behörde hat Proben genommen, die Untersuchu­ng läuft noch.

Tolerierte Praxis

Doch wie kommen überhaupt solch kleine Plastiktei­le aufs Feld? Das sind keine illegalen Machenscha­ften, sondern eine von der Politik tolerierte Praxis im Rahmen des Abfallkrei­slaufs. Denn was tun mit abgelaufen­en Lebensmitt­eln aus Supermärkt­en, mit nicht mehr verwendbar­em Käse, mit Fleischabf­ällen, mit Fehlcharge­n, mit Lebensmitt­elresten aus Kantinen und Gastronomi­e? In sogenannte­n Speiserest­everwertun­gsanlagen werden die Abfälle in einer Hammermühl­e zerkleiner­t. Bei der Vergärung der Speiserest­e wird Biogas erzeugt, welches ins örtliche Erdgasnetz eingespeis­t wird. Die dabei entstehend­en Gärreste werden als Dünger an Landwirte und Firmen kostengüns­tig abgegeben – deutlich billiger als normaler Wirtschaft­sdünger aus rein tierischem Ursprung.

Walter Sieger, Leiter des Dezernats Bauen, Wald und Umwelt im Landratsam­t Ravensburg, hält dies eigentlich für eine wertvolle Abfallbese­itigung. „Der Betrieb macht aus diesen Lebensmitt­eln, die sonst verbrannt werden müssten, Düngestoff­e und Energie. Im Prinzip eine erwünschte Art der Abfallbese­itigung.“Doch einen großen Haken an der Sache gibt es: Es dürfen Plastik- teile und andere Fremdstoff­e ganz legal auf Wiesen und Äckern landen. Laut Düngemitte­lverordnun­g (DüMV) und Bioabfallv­erordnung dürfen 0,5 Prozent Fremdstoff­e wie Plastik, Glas, Folien, Metall aus Verpackung­en in der Trockenmas­se von Düngemitte­ln enthalten sein. Das bedeutet pro Tonne Gärsubstra­t (trocken) können bis zu fünf Kilogramm Fremdstoff­e enthalten sein. Partikel, die kleiner als zwei Millimeter sind, werden laut Verordnung gar nicht mit eingerechn­et.

Keine Grenzwerte für Feststoffe

Die Grenzwerte beziehen sich allerdings nur darauf, wie die Gärreste die Biogasanla­ge verlassen. Hier finden regelmäßig Prüfungen statt, ob die Werte von den Betreibern eingehalte­n werden. Wenn allerdings mehrmals im Jahr dasselbe Feld mit Gärresten gedüngt wird, sammeln sich die Plastiktei­le an. „Es gibt leider keine Grenzwerte, wie viele Feststoffe auf einem Acker vorhanden sein dürfen. Das ist letztendli­ch ein Defizit des Gesetzgebe­rs“, kritisiert auch Walter Sieger vom Landratsam­t.

Über 100 Biogasanla­gen gibt es allein im Landkreis Ravensburg. Nur wenige davon sind zertifizie­rt, auch Speiserest­e samt Verpackung in ihrer Anlage zu verarbeite­n. Eine davon steht im Kißlegger Weiler Rahmhaus: die Biologisch­e Reststoffv­erwertung (BRV). Der Geschäftsf­ührer ist Franz Rupp, der selbst auch noch Landwirt ist und seine Gärreste auch auf den eigenen Feldern ausbringt. „Ich hab auf meinen Feldern das Pro-

Anwohner Berthold Hummel blem mit dem Plastik nicht“, sagt er. Alle vier Wochen würden seine Gärreste auf Fremdstoff­e überprüft, sagt Rupp.

Seine Anlage ist eine der größten Speiserest­everwertun­gsanlagen in der Region, 1000 Haushalte werden pro Jahr durch das in seiner Anlage produziert­e Erdgas mit Wärme versorgt, heißt es auf der Firmenwebs­eite. Im Moment verarbeite­t er 49 Ton- nen biologisch­e Reststoffe täglich, eine Erweiterun­g auf 170 Tonnen ist geplant. Allerdings ist die Erweiterun­g sehr umstritten, die Bürgerinit­iative Erle mit Anwohnern aus Kißlegg, Leutkirch und Bad Wurzach hat sich vergangene­s Jahr gegründet.

Sie befürchten, dass mit einer Erweiterun­g Lärm, Emissionen und Plastik auf den Feldern zunehmen würden. Doch es geht ihnen gar nicht mehr nur um die eigene Betroffenh­eit vor Ort, sondern um das generelle Problem, dass Müll ganz legal auf den Feldern landen darf. Auch sie haben die Sorge, dass die Plastiktei­le früher oder später als zersetzte Mikroparti­kel im Grundwasse­r oder über Tiere, die sie fressen, in der menschlich­en Nahrungske­tte landen. „Es gibt noch keine Ergebnisse von Langzeitfo­rschungen“, sagt Patrick Cramer, einer der Vorsitzend­en der Bürgerinit­iative Erle.

Im konkreten Fall mit den Plastiktei­lchen auf dem Feld in Göttlishof­en sieht Dezernatsl­eiter Walter Sieger keine Gefährdung. „Es sind stoffmäßig unbeweglic­he Kleinteile, die stören auf dem Feld, sie erzeugen aber letztendli­ch keine Schadstoff­fracht, die im Grundwasse­r oder in der Nahrungske­tte auftaucht.“Sascha Roth, Referent für Umweltpoli­tik beim Naturschut­zbund Nabu, sagt zwar, dass die Mengen Müll auf dem Feld verhältnis­mäßig niedrig sind, „aber sowas hat in der Natur nichts zu suchen“.

Verantwort­ung bei Politik

Letztlich ist also der Gesetzgebe­r gefragt. „Die Verantwort­lichen auf politische­r Ebene müssen gucken, dass die Grenzwerte runtergehe­n. Eigentlich muss der Grenzwert null sein. Also kein Plastik im Dünger. Kein Plastik auf unseren Wiesen“, fordert Cramer im Namen der Bürgerinit­iative. Aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium ist zu erfahren, dass sich die „Grenzwerte letztlich an der erwarteten technische­n Machbarkei­t orientiere­n“.

Zwar wird in der Speiserest­everwertun­gsanlage schon vor dem Zerschredd­ern der Speiserest­e über den Gewichtsun­terschied versucht, die Plastikver­packungen herauszuso­rtieren, aber zu 100 Prozent gelingt das nicht.

Auch das Umweltbund­esamt spricht von einer Abwägungss­ache zwischen Umweltschu­tz und technische­r Machbarkei­t. Da das Thema derzeit „massiv in der öffentlich­en Diskussion ist“, wie Wolfgang Butz vom Umweltbund­esamt sagt, habe der Bund reagiert und die Düngemitte­lverordnun­g novelliert. So liegt der Wert für optisch stärker auffallend­es Weichplast­ik wie etwa Folien bei 0,1 Prozent, der Grenzwert für alle anderen Fremdstoff­e wie Hartplasti­k, Altpapier, Metall oder Glas bei 0,4 Prozent. Das macht in der Summe immer noch 0,5 Prozent Fremdstoff­e, nur jetzt gesplittet in ein und vier Kilo pro Tonne Gärreste.

Albrecht Siegel, Leiter des Landwirtsc­haftsamts in Ravensburg, erklärt, dass der im Landkreis Ravensburg ausgebrach­te Dünger zu mehr als 95 Prozent normale Gülle tierischer Herkunft oder eine Mischung aus pflanzlich­en Substraten und Gülle sei. Nur zu einem geringen Prozenttei­l würden Gärreste aus Speiserest­everwertun­gsanlagen ausgebrach­t. „Landwirte denken grundsätzl­ich nachhaltig, sie wollen keine Fremdstoff­e auf ihren Feldern haben“, sagt Siegel. Allerdings kann er sich vorstellen, dass der Kostendruc­k bei einigen dazu führt, Nährstoffe auf das Feld zu bringen, die aber auch problemati­sche Stoffe enthalten.

Um also ganz sicher zu gehen, dass kein Müll auf den Feldern landet, müsste man in den Speiserest­everwertun­gsanlagen „die Packungen manuell entleeren und nur den Inhalt entsorgen. Der Kunststoff würde recycelt“, sagt die Bürgerinit­iative. Dass das deutlich mehr Personal und damit auch höhere Kosten (auch für den Konsumente­n) bedeute, ist klar. Er glaubt jedoch auch, dass der Verbrauche­r am Ende für die Folgen von Plastik auf den Feldern „bezahlen“muss. Dass Plastik auf den Feldern landet, ist also letztendli­ch auch eine Folge von der allgemeine­n BilligMent­alität, Wegwerfkul­tur und Lebensmitt­elverschwe­ndung.

„Hier wird Plastikmül­l auf landwirtsc­haftlichen

Flächen entsorgt.“

 ?? FOTO: RASEMANN ?? Gülle ist natürliche­r Dünger für Felder und Wiesen. Wo aber mit Gärresten gedüngt wird, kann Plastik den Weg in die Natur finden.
FOTO: RASEMANN Gülle ist natürliche­r Dünger für Felder und Wiesen. Wo aber mit Gärresten gedüngt wird, kann Plastik den Weg in die Natur finden.
 ?? FOTO: HARTARD ?? schwaebisc­he.de/plastiktei­le
Müll dieser Größe wird in der Anlage noch herausgefi­ltert.
FOTO: HARTARD schwaebisc­he.de/plastiktei­le Müll dieser Größe wird in der Anlage noch herausgefi­ltert.
 ?? FOTO: MEK ?? Deutlich zu sehen ist das Plastik auf der Wiese in Göttlishof­en.
FOTO: MEK Deutlich zu sehen ist das Plastik auf der Wiese in Göttlishof­en.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany