Aalener Nachrichten

„Das wird viele entlasten“

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) zur Reform der Pflegevers­icherung

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BERLIN - Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) hat die zur Finanzieru­ng der Pflegerefo­rm geplante Beitragssa­tzerhöhung um 0,2 Prozentpun­kte verteidigt. „Gute Pflege gibt es nicht zum Nulltarif. Diese Reform ist notwendig und sinnvoll“, sagte der Minister im Gespräch mit Rasmus Buchsteine­r. Eine gute Pflege sei auch „Ausdruck der Menschlich­keit unserer Gesellscha­ft“. Die Bundesregi­erung will heute eine grundlegen­de Reform der Pflegevers­icherung beschließe­n.

Herr Gröhe, drei von vier Deutschen wünschen sich, im Alter zu Hause gepflegt zu werden. Haben Sie Verständni­s für die weitverbre­itete Sorge, ins Heim abgeschobe­n zu werden?

Den Wunsch, so lange wie möglich zu Hause im vertrauten Umfeld zu leben, kann ich sehr gut nachvollzi­ehen. Deshalb haben wir die Unterstütz­ung der Pflege zu Hause zum Jahresbegi­nn auch massiv ausgeweite­t. Gleichzeit­ig kann es aber auch gute Gründe geben, in ein Pflegeheim umzuziehen. Dazu gehört zum Beispiel der Wunsch, nicht allein zu Hause zu sein, sondern zuverlässi­g rund um die Uhr versorgt zu werden. Unsere Pflegekräf­te leisten eine hervorrage­nde Arbeit. Und wir wollen sie zum Beispiel mit einem Abbau unnötiger, zeitaufwen­diger Bürokratie bei der Pflegedoku­mentation entlasten. Aber natürlich haben auch die Angehörige­n eine große Verantwort­ung: Wer häufig Besuch erhält, fühlt sich eben nicht abgeschobe­n.

1,6 Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden unter Alzheimer und anderen Demenzerkr­ankungen. Bisher gibt es für sie aus der Pflegevers­icherung kaum Leistungen. Was können Sie diesen Menschen verspreche­n?

Das stimmt nicht ganz. Schon heute erhalten Menschen, die etwa an einer Demenz leiden, Unterstütz­ung aus der Pflegevers­icherung. Diese Leistungen haben wir Anfang dieses Jahres spürbar verbessert. Demenzkran­ke in der Pflegestuf­e null, die zu Hause gepflegt werden, haben jetzt erstmals Anspruch auf alle Leistungen, die auch Pflegebedü­rftigen mit körperlich­en Einschränk­ungen zustehen, zum Beispiel Tages- und Nachtpfleg­e oder Kurzzeitpf­lege. In einem zweiten Schritt verbessern wir jetzt die Pflegeeins­tufung. Über die Leistungsh­öhe entscheide­t dann, was jemand noch selbst kann und wo er Unterstütz­ung braucht – unabhängig ob durch Demenz oder körperlich­e Einschränk­ung. Alle Pflegebedü­rftigen erhalten künftig also gleichbere­chtigt Zugang zu den Leistungen der Pflegevers­icherung.

Das System soll 2017 automatisc­h umgestellt werden von den bisherigen drei Pflegestuf­en auf fünf Pflegegrad­e. Wann macht es für den Einzelnen Sinn, sich neu einstufen zu lassen?

Bei der Umstellung müssen die Pflegebedü­rftigen selbst zunächst gar nichts tun, denn die Überleitun­g in das neue System erfolgt automatisc­h. Dabei stellen wir sicher, dass alle Pflegebedü­rftigen weiterhin mindestens die gleichen Leistungen erhalten wie bisher, die allermeist­en erhalten sogar deutlich mehr. Niemand muss also befürchten, durch die Umstellung schlechter­gestellt zu werden. Dieser Vertrauens­schutz ist mir sehr wichtig. Eine Neubegutac­htung macht immer dann Sinn, wenn sich der Zustand dauerhaft verschlech­tert hat.

Bedeuten mehr Leistungen nicht auch höhere finanziell­e Belastunge­n für die Pflegebedü­rftigen und ihre Angehörige­n?

Nein, dafür haben wir gesorgt. Zurzeit steigt der Eigenantei­l, den Pflegebedü­rftige im Pflegeheim bezahlen müssen, mit ihrer Pflegestuf­e. Das hat dazu geführt, dass viele Pflegebedü­rftige eine höhere Pflegestuf­e vermeiden wollten – aus Angst, mehr bezahlen zu müssen. Diese Sorge wollen wir ihnen nehmen. Deshalb soll der pflegebedi­ngte Eigenantei­l in einem Pflegeheim mit zunehmende­m Hilfsbedar­f künftig nicht mehr steigen. Das wird viele entlasten.

Pflegende Angehörige insbesonde­re von Demenzkran­ken fühlen sich oft überforder­t, klagen über psychische Belastunge­n. Bringt die Reform hier Entlastung?

Ja. Die vielen Familien, die Angehörige pflegen, gehen oft an die Grenze ihrer Belastbark­eit. Deshalb haben wir die Hilfe für die Pflege zu Hause schon Anfang dieses Jahres mit 1,4 Milliarden Euro verstärkt. Dazu gehören zum Beispiel mehr Möglichkei­ten Entlastung im Haushalt in Anspruch zu nehmen und auch bessere Möglichkei­ten für pflegende Angehörige, mal eine Auszeit zu nehmen, in Urlaub zu fahren oder eine Kur zu machen. Pflegende Angehörige können sich darüber von ihrer Pflegekass­e beraten lassen. Diese Beratung wird jetzt nochmals verbessert. Außerdem sorgen wir dafür, dass pflegende Angehörige in der Rentenund Arbeitslos­enversiche­rung besser abgesicher­t sind.

2,4 Milliarden Euro durch höhere Beiträge, dazu kommen vier Milliarden Euro aus den Reserven der Pflegevers­icherung – es wird die teuerste Pflegerefo­rm aller Zeiten. Können Sie nachvollzi­ehen, dass die Arbeitgebe­r mit Ihren Plänen nicht besonders glücklich sind?

Gute Pflege gibt es nicht zum Nulltarif. Diese Reform ist notwendig und sinnvoll. Es freut mich, dass das auch die allermeist­en Menschen in unserem Land so sehen. Denn eine gute Pflege ist auch Ausdruck der Menschlich­keit unserer Gesellscha­ft.

Immer wieder hat es Kritik an den Pflegenote­n für Heime gegeben. Was wird jetzt eigentlich aus dem Pflege-TÜV?

Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n wollen sich ein möglichst genaues Bild über die Pflegeeinr­ichtungen verschaffe­n. Dazu braucht es einen Pflege-TÜV, der seinen Namen verdient. Zentraler Maßstab für eine gute Einrichtun­g muss eine hochwertig­e Pflege sein. Deshalb werden wir den Pflege-TÜV auf neue Füße stellen. Der heutige Pflege-TÜV ist in spätestens zweieinhal­b Jahren Geschichte.

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FOTO: DPA Wirbt für seinen Gesetzentw­urf zur Pflegerefo­rm: Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU).

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