Getarnte Diktatur
Jad K. Kolagbe musste aus Togo fliehen, weil er zur Oppositionspartei gehörte
BIBERACH - Wenn Jad K. Kolagbe an sein Heimatland Togo denkt, hat er den Geruch von Staub in der Nase. Für ihn ein angenehmer Geruch, der ihn an ein Land erinnert, in dem die Menschen nicht einsam sind. Weil sie in Großfamilien aufwachsen, und weil sie das Wenige, das sie haben, miteinander teilen. Staubig ist sein Land, weil es kaum ausgebaute oder geteerte Straßen gibt. Wenn es viel regnet, brechen die Wege einfach weg, manche Häuser werden dann weggeschwemmt, und die Bewohner verlieren alles. Doch die Regierung kümmert sich nicht um ihre vielen Dörfer. Denn alles zentriert sich in der Hauptstadt Lomé: Hier gibt es Arbeit, Bildung und ein wenig Reichtum.
Er war privilegiert
Aus dieser Hauptstadt stammt Jad K. Kolagbe, der mit vollem Namen Kwadjokouma Kolagbe heißt. In seinem Land war er jemand, sagt der 30Jährige. Er hatte einen Beruf, war Teamleiter bei einer Versicherung. Er verdiente nicht gut, aber es reichte aus. Damit war Kolagbe privilegiert im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die keine Arbeit und kei- ne Perspektive haben. Die nicht wissen, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollen. Außer Fußball zu spielen. Oder fernzusehen, sofern es denn Strom gibt.
Lesen kommt für viele nicht infrage. Ein Besuch der Grundschule ist zwar offiziell Pflicht in Togo, doch nur die wenigsten können sich die teuren Schulgebühren leisten. „Die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Analphabeten“, sagt Kolagbe. Und einige der Kinder, die zur Schule gehen dürfen, müssen täglich viele Kilometer zu Fuß zurücklegen. Weil es in ihren Heimatdörfern kein sauberes Trinkwasser und kaum etwas zu essen gibt, machen sie sich ohne Frühstück und mit trockenen Kehlen auf den Weg.
Offiziell eine Republik
Kolagbe hatte Glück. Er konnte einen Hochschulabschluss als Versicherungskaufmann machen. Doch blieb er wachsam, denn um ihn herum gab es so viel Ungerechtigkeit: Togo, offiziell Republik mit demokratisch gewählter Regierung, ist für Kolagbe eine Diktatur. Der Machthaber Faure Gnassingbé ließ sich 2005 nach dem Tod seines Vaters von der Armee zum Präsidenten ernennen und beging damit Verfassungsbruch. Auf internationalen Druck gab es dann doch Wahlen, bei denen Gnassingbé die meisten Stimmen erhielt. Die Mehrheit soll er jedoch nur durch massiven Wahlbetrug bekommen haben.
Gnassingbé ist mächtig in diesem kleinen Land. Er lässt keine Kritiker zu. „Offiziell gibt es Freiheit in Togo“, sagt Kolagbe. „Es gibt aber viele Menschenrechtsverletzungen.“Von dem, was das Land durch den Export von Phosphat verdient, profitiert nur eine Minderheit: die Ethnie der Kabyé, zu der der Präsident und dessen Familie gehören.
Über all diese Missstände wollte Kolagbe sprechen. Deshalb schloss er sich der Oppositionspartei Alliance National pour le Changement (ANC) an. Er schrieb viele kritische Zeitungsartikel, die aber nicht abgedruckt wurden. Die Regierung schüchterte die Parteimitglieder ein, setzte sie mithilfe des Militärs unter Druck: „Wenn du Kritik äußerst, findet die Regierung einen Grund, um dich ins Gefängnis zu stecken oder ermorden zu lassen.“Die einfachen Menschen haben keine Stimme in Togo, sagt Kolagbe. Und selbst die Einflussreichen müssen um ihre Freiheit fürchten: Auch der Bruder des Präsidenten Kpatcha sitzt im Gefängnis, angeblich wegen eines gescheiterten Putschversuchs.
Kolagbes persönliche Erfahrungen decken sich mit den Berichten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Sicherheitskräfte in Togo gingen „bei der Auflösung von Demonstrationen mit exzessiver Gewalt vor“, teilt Amnesty auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Personen in Gewahrsam seien in den vergangenen Jahren gefoltert und auf andere Weise misshandelt worden. Dabei hätten die Sicherheitsleute auch Foltermethoden wie Waterboarding (simuliertes Ertränken) angewandt. Inhaftierte Personen hätten ohne Nahrung und Wasser mehr als 24 Stunden in Handschellen ausharren müssen. Vielen Gefangenen sei eine rechtzeitige medizinische Behandlung verweigert worden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei immer noch massiv eingeschränkt. Auch Journalisten würden in Togo gezielt misshandelt.
In Deutschland ist Kolagbe frei. Aber er vermisst die Gemeinschaft. Zu Hause hat er mit seinen zehn Geschwistern, seinen Tanten, Onkels, Cousinen und Cousins gerne Weihnachten gefeiert. Die Familie, sagt Kolagbe, bedeutet in Togo viel. Die Großeltern kommen nicht ins Altersheim. Sie bleiben beim wohlhabendsten Sohn wohnen und kümmern sich um die Kinder: „Alte Leute sind für Kinder eine Quelle der Inspiration“, sagt Kolagbe. Alle Teile der Serie „Flucht aus Afrika“finden Sie unter