EU-Jugend ohne Job
Nirgends ist die Jugendarbeitslosigkeit so gering wie in Deutschland – Probleme gibt es dennoch
NÜRNBERG (dpa) - Auf den ersten Blick scheint eigentlich alles im Lot: Deutschland hat im EU-weiten Vergleich seit Jahren die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Im Mai 2015 waren lediglich 258 200 oder 5,7 Prozent der 15- bis 24-Jährigen bei der Bundesagentur als arbeitslos registriert. Und selbst nach der Messlatte der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die nach ihrer Rechnung auf 7,1 Prozent kommt, macht kein anderes EULand der Bundesrepublik den Titel des europäischen Musterknaben in Sachen Jugendarbeitslosigkeit streitig. Erst der Blick hinter die Kulissen offenbart lange Zeit unangepackte Probleme, wie Kritiker beklagen.
Dabei räumt selbst der Arbeitsmarktforscher Hans Dietrich, der die Lage eher kritisch sieht, ein: Im Vergleich zu ihren Altersgenossen in vielen südeuropäischen Ländern haben deutsche Jugendliche und Heranwachsende vergleichsweise gute Startbedingungen. Die Schulabsolventen und Berufsstarter profitieren dabei auch von der seit Jahren guten Wirtschaftslage, berichtet der Spezialist für Jugendarbeitslosigkeit beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Schmiermittel beim Berufsstart
Zudem erweise sich das duale Ausbildungssystem in Deutschland mit seiner Mischung aus betrieblicher Praxis und schulischer Theorie als eine Art Schmiermittel beim Berufsstart viele junger Leute. „Die Betriebe haben drei Jahre Zeit, sich die Auszubildenden anzuschauen. Sie wissen damit ganz genau, wen sie vor sich haben. Das minimiert das Risiko für die Betriebe und erhöht die Chancen für die Jugendlichen, am Ende der Lehre eine Stelle zu finden“, erläutert Dietrich.
Das sieht die Bundesagentur für Arbeit (BA) ganz ähnlich: „Mehr als 60 Prozent der Auszubildenden werden vom Ausbildungsbetrieb direkt übernommen“, betont eine BA-Sprecherin – und macht dafür vor allem das duale Ausbildungssystem, aber auch das BA-Berufsberatungssystem verantwortlich. Das bedeutet: Die hohen Schwellen, vor denen Jugendliche in einigen südeuropäischen Ländern stehen, gibt es in Deutschland kaum.
Aber längst ist auch hier die Welt in Sachen Jugendarbeitslosigkeit nicht so heil, wie es auf den ersten Blick scheint. Das mussten unlängst selbst die Bundesministerinnen Johanna Wanka (CDU, Bildung) und Andrea Nahles (SPD, Arbeit) bei der Vorlage des Berufsbildungsberichts 2015 im April einräumen. Trotz verbesserter Lage auf dem Lehrstellenmarkt seien immer noch 13,1 Prozent der jungen Menschen in Deutschland ohne Berufsabschluss. Dieser Anteil sei zwar in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Trotzdem sehen auch die beiden Ministerinnen Handlungsbedarf.
Zu jenen, die seit Jahren zu raschen Maßnahmen im Kampf gegen Bildungsarmut junger Leute drängen, ge- hört der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy. Der Gewerkschafter, der auch im BA-Verwaltungsrat sitzt, mahnte bereits 2013 in einer Studie: „Der Verweis auf die im internationalen Vergleich insgesamt niedrige Arbeitslosigkeit bei jüngeren Menschen ist keinesfalls Rechtfertigung für bildungspolitische Enthaltsamkeit.“Nach seinen Beobachtungen hat sich „die Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt bei einem Teil der jungen Erwachsenen deutlich verstärkt“. Vor allem in den Jobcentern würden junge Leute zu wenig gefördert.
Bundesregierung und Bundesagentur haben inzwischen vor allem auf die hohe Zahl von Ausbildungsab- brechern reagiert. Große Hoffnungen verbindet die Bundesagentur etwa mit ihrem Programm für eine „assistierte Ausbildung“: Jugendliche mit Migrationshintergrund oder schwachem Schulabschluss sollen künftig während der Lehre einen Betreuer zur Seite gestellt bekommen. Der soll sich bei Problemen einschalten.
Eine zweite Chance
Zudem will die Bundesagentur mit Nachhilfe, Sprachunterricht und sozialpädagogischer Begleitung den Erfolg von Lehrlingen sicherstellen. Arbeitslose ab 25 Jahren sollen zudem eine zweite Chance im Rahmen einer späten Lehre erhalten.