Hilfreiche Scheuklappen
Sabine Lisicki deklassiert Venus Williams
TORONTO (SID/sz) - Sabine Lisicki ist nicht dafür bekannt, sich lange mit Niederlagen zu beschäftigen, was ihr oft den Vorwurf einbrachte, beratungsresistent durch die Tenniswelt zu schlingern. Als die ebenso talentierte wie unbeständige Berlinerin bei ihrem Lieblingsturnier in Wimbledon rausflog, weil sie der Schweizerin Timea Bacsinszky zu selten in deren offensichtlich schwächere Vorhand spielte, später aber „keine Erklärung“für das bittere Aus fand, wunderte sich selbst Bundestrainerin Barbara Rittner über die Einstellung ihrer Nationalspielerin.
Scheuklappen gehören genauso in den Kosmos Lisickis wie Asse und Doppelfehler – und manchmal sind sie sogar hilfreich. Nur sechs Tage nach der peinlichen Pleite gegen die 44-jährige Kimiko Date-Krumm in Stanford gab Lisicki in Toronto gegen Venus Williams die passende Antwort. Mit 6:0, 6:3 deklassierte sie die siebenmalige Grand-Slam-Siegerin aus den USA – etwas geändert hatte Lisicki nach eigener Aussage nicht.
„Ich wusste, dass ich die letzte Woche hinter mir lassen muss“, sagte Lisicki. Mit Trainer Christopher Kas war sie übereingekommen, „dass wir an den richtigen Dingen arbeiten und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis alles wieder funktioniert“. Zweifel verbietet sich Lisicki. Von Fans und Kritikern fordert sie Geduld, irgendwann werde sie schon das Maximum aus sich herausholen.
Seit Jahresbeginn arbeitet Lisicki mit Ex-Profi Kas zusammen, damit sie in der Weltrangliste in die Region kommt, wo sie nicht nur nach eigener Ansicht hingehört: in die Top 10. Nach einem verheißungsvollen Frühjahr mit dem Halbfinale in Indian Wells und dem Viertelfinale in Miami verlor sie das Ziel jedoch aus den Augen. Die Umstellungen vom Hartplatz auf Sand und vom Sandplatz auf Rasen seien ihr nicht geglückt, sagte Lisicki. Umso wichtiger war der Erfolg gegen die ältere der beiden Williams-Schwestern. Den Sieg muss Lisicki nun gegen Barbora Strycova (Tschechien) bestätigen.
Überbewerten darf sie den Erfolg gegen eine 35 Jahre alte Gegnerin wie Venus Williams allerdings nicht; zu harmlos servierte die einstige Branchenführerin, die ihre Karriere trotz der Autoimmunkrankheit SjögrenSydrom unermüdlich fortsetzt, mit dem zweiten Aufschlag. Lisicki nahm alle Geschenke, darunter sieben Doppelfehler, dankend an. „Das gibt mir viel Selbstvertrauen“, sagte Lisicki – und ließ damit für einen Moment erkennen, dass die peinliche Pleite der Vorwoche wohl doch ihre Wirkung hinterlassen hatte.