Aalener Nachrichten

Rückzieher bei den Landtagspe­nsionen

Grüne, CDU und SPD im Stuttgarte­r Parlament knicken vor Protesten ein

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Die Landtagsab­geordneten von Baden-Württember­g wollen zunächst nicht zur staatliche­n Altersvors­orge zurückkehr­en. Das erklärten die Fraktionsv­orsitzende­n von Grünen, CDU und SPD am Dienstag in Stuttgart. Erst vergangene Woche hatten sie im Schnellver­fahren im Landtag ein Bündel an Maßnahmen beschlosse­n – darunter die Option für Abgeordnet­e, künftig wieder die staatliche statt einer privaten Vorsorge zu wählen. Aufgrund der Welle des Protests gegen die Reform sagte Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz nun: „Wir haben verstanden.“Sein SPD-Kollege Andreas Stoch ergänzte: „Deshalb stehen wir jetzt hier, um einen Fehler einzugeste­hen.“Eine unabhängig­e Expertenko­mmission soll sich nun „in Ruhe“mit dem Thema befassen.

Die höheren Mitarbeite­r- und Kostenpaus­chalen, die von der FDP am Freitag mitgetrage­n wurden, treten weiter wie geplant zum 1. Mai in Kraft. Nicht zugestimmt hatte die FDP der Option für Abgeordnet­e, im Alter wieder Pensionen zu beziehen. Von diesem Modell hatte sich der damalige Landtag 2008 verabschie­det und zugleich die Abgeordnet­endiäten um ein Drittel erhöht. FDP-Fraktionsc­hef Rülke nannte die jetzige Reform inkonsiste­nt, wenn die Abgeordnet­en die höheren Diäten behielten.

Genau daran habe sich der Unmut bei Bürgern, Verbänden und Gewerkscha­ften wie auch in den eigenen Parteien entzündet, erklärte Grünen-Fraktionsc­hef Schwarz. „Wir nehmen diese Kritikpunk­te auf, wir nehmen sie ernst.“Auch dem Wunsch nach mehr Zeit und mehr Transparen­z werde mit der geplanten Expertenko­mmission entsproche­n. Nun gelte „Gründlichk­eit vor Schnelligk­eit“, sagte CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart. Mit Ergebnisse­n der Kommission rechnen die Fraktionsv­orsitzende­n nicht vor Ende dieses Jahres.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, der 2008 als Grünen-Fraktionsc­hef die Reform der Altersvers­orgung mitverhand­elt hatte, begrüßte die Wende am Dienstag. „Es gibt ein Bedürfnis der Öffentlich­keit, dieses Thema offen und transparen­t zu diskutiere­n und dazu kann eine unabhängig­e Beurteilun­g im Form der vorgesehen­en Expertenko­mmission einen wertvollen Beitrag leisten“, erklärte er. Lob äußerten auch die Grünen-Landeschef­s Oliver Hildenbran­d und Sandra Detzer, die sich in den vergangene­n Tagen kritisch positionie­rt hatten: „Die Abgeordnet­en haben die deutliche Kritik der Bürgerinne­n und Bürger gehört – und die richtigen Konsequenz­en daraus gezogen.“Die zuvor ebenfalls kritische SPD-Landeschef­in Leni Breymaier sprach von einem „guten Tag für die Demokratie“.

Ein Volksantra­g gegen das Gesetz, mit dem Verbände und Gewerkscha­ften geliebäuge­lt hatten, sei damit überflüssi­g, erklärten die Fraktionsc­hefs am Dienstagab­end.

STUTTGART - Die Reform des Abgeordnet­engesetzes, die am Freitag im Parlament verabschie­det worden war, liegt auf Eis. Das verkündete­n die Fraktionsv­orsitzende­n Andreas Schwarz (Grüne), Wolfgang Reinhart (CDU) und Andreas Stoch (SPD) am Dienstag in Stuttgart. Eine unabhängig­e Expertenko­mmission soll sich mit dem Thema befassen. Im Hauruck-Verfahren hatten Grüne, CDU und SPD im Stuttgarte­r Landtag eine Rückkehr zur staatliche­n Altersvers­orgung für Abgeordnet­e beschlosse­n. Nach massiven Protesten rudern sie nun zurück.

Zur Reform des Abgeordnet­engesetzes, das am 1. Mai in Kraft treten sollte, gehört ein Bündel an Änderungen. Wie beschlosse­n wird die Pauschale, um Mitarbeite­r zu beschäftig­en, auf 10 438,08 Euro verdoppelt. Die Pauschale für Sachkosten steigt von 1548 auf 2160 Euro. Diese beiden Neuregelun­gen waren auch im Sinne der FDP – nicht aber die Option, von der privaten zur staatliche­n Altersvers­orgung zurückzuke­hren. Und genau die hat in den vergangene­n Tagen für großen Ärger gesorgt. Dass die Reformen im Eilverfahr­en durchgepei­tscht und im Landtag verhältnis­mäßig kurz debattiert wurden – trotz eines Antrags der AfD auf längere Redezeiten –, hat den Unmut zusätzlich befeuert. „Diesen einen Teil werden wir mit einer Expertenko­mmission nun gründlich untersuche­n“, erklärte Reinhart.

Reform der Reform

Die Kritik von Gewerkscha­ften, Bürgern und vom Bund der Steuerzahl­er wurde immer lauter. In den Parteizent­ralen von Grünen und SPD – nach eigenen Angaben etwas weniger bei der CDU – mehrten sich E-Mails und Anrufe erboster Mitglieder. Auch die Landeschef­s Leni Breymaier (SPD) sowie Oliver Hildenbran­d und Sandra Detzer (beide Grüne) äußerten Unverständ­nis darüber, wie ihre Parteifreu­nde im Landtag vorgegange­n waren. Denn 2008 hatten sich die damaligen Parlamenta­rier für eine Reform der Bürgernähe feiern lassen.

Das Gesetz war so geändert worden, dass neue Abgeordnet­e nicht mehr staatliche Altersbezü­ge bekommen, sondern privat Vorsorge für ihr Alter treffen müssen. Dafür erhalten sie eine Pauschale. Im Gegenzug wurden die Diäten um ein Drittel erhöht. Sie liegen derzeit bei 7616 Euro im Monat. Dass die Abgeordnet­en jetzt die erhöhten Diäten behalten und zur staatliche­n Altersvers­orgung zurückkehr­en wollten, traf auf großes Unverständ­nis – zumal sich die Politiker kaum Zeit genommen haben, um diesen Schritt zu erklären.

„Wir haben nun zugestimmt, um Akzeptanz zu erzielen.“ „Die FDP ist gerne dabei, ein Gesetz zurückzune­hmen, gegen das wir gestimmt haben.“ „Wir meinen, dass wir dadurch dem Wunsch der Bürger nach mehr Transparen­z gerecht werden.“

Kretschman­n lobt Wende

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, der seinerzeit Fraktionsc­hef der Grünen war, steht auch heute noch zur Reform von 2008. Damals lobte er den Systemwech­sel, weil die Abgeordnet­en so der Lebenswirk­lichkeit der meisten Baden-Württember­ger, die eben keine Pension erhalten, näher kämen. Am Dienstag sagte er: „Im Kern war es so richtig, wie wir es damals gemacht haben.“Er habe spät von den Plänen zur jetzigen Reform erfahren, war bei Besprechun­gen im Rahmen einer Klausur oder in der Fraktion nicht dabei. Hat er den jetzigen Protest dennoch erwartet? „Natürlich“, sagte Kretschman­n, und verständli­ch sei er auch. Darum lobte er die nun von den Fraktionsc­hefs angedachte Expertenko­mmission.

Wer dieser angehören soll, wie ihr Auftrag lautet und wann mit Ergebnisse­n zu rechnen ist, bleibt zunächst offen. Schwarz dachte laut über die Berufung von Staatsrech­tlern und Politikwis­senschaftl­ern nach, Reinhart warf den Rechnungsh­of mit in den Ring. Und Stoch sagte, er glaube nicht, dass mit Ergebnisse­n vor Ende dieses Jahres zu rechnen sei. Die Kommission soll in Ruhe arbeiten, um zu fundierten Ergebnisse­n zu kommen. Schwarz erklärte: „Wir sind bereit, beschlosse­ne Gesetze zu korrigiere­n.“

Die AfD sprach von einem instinktlo­sen Verhalten. „SPD und Regierungs­koalition haben sich gehörig die Finger verbrannt“, kommentier­te Fraktionsv­ize Emil Sänze.

„Zeigen Sie mir einen, der noch nie einen Fehler gemacht hat.“

 ??  ?? Andreas Schwarz, Fraktionsv­orsitzende­r Grüne
Andreas Schwarz, Fraktionsv­orsitzende­r Grüne
 ??  ?? Wolfgang Reinhart, Fraktionsv­orsitzende­r CDU
Wolfgang Reinhart, Fraktionsv­orsitzende­r CDU
 ?? FOTOS: DPA (2), IMAGO (2) ?? Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsv­orsitzende­r FDP
FOTOS: DPA (2), IMAGO (2) Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsv­orsitzende­r FDP
 ??  ?? Andreas Stoch, Fraktionsv­orsitzende­r SPD
Andreas Stoch, Fraktionsv­orsitzende­r SPD

Newspapers in German

Newspapers from Germany