Hamas-Chef
Er gilt als Mann, der keine Skrupel kennt. Jihia al-Sinwar (Foto: dpa), der neue Hamas-Chef im Gazastreifen, ist selbst in den eigenen Reihen gefürchtet. Ihm eilt der Ruf voraus, über Leichen zu gehen, um die eigene Machtbasis auszubauen. Mit ihm an der Spitze des Politbüros in Gaza hat der militärische Flügel der größten palästinensischen Islamisten-Organisation an Einfluss gewonnen – zulasten der um Konsens bemühten Vertreter.
Fast die Hälfte seines Lebens hat der 55-Jährige, der aus dem Flüchtlingslager in Chan Junis stammt, in israelischen Gefängnissen verbracht. 1988 hatte ihn ein Militärgericht zu viermal lebenslänglicher Freiheitsstrafe wegen Mord verurteilt. Als Anführer eines Geheimdienstes der Hamas soll al-Sinwar mehrere Palästinenser, die der Kollaboration mit Israel verdächtigt wurden, umgebracht haben. Dass er wieder auf freien Fuß kam, verdankt er dem Schalit-Deal, mit dem die Hamas 2011 im Austausch gegen den von ihr gekidnappten Soldaten Gilad Schalit mehr als tausend Gefangene freipresste.
Nach seiner Entlassung kämpfte sich der als asketisch beschriebene al-Sinwar in der Hamas nach oben. Bezeichnend ist ein Vorfall vor einem Jahr, als Sinwar und seine Männer einen Hamas-Kommandanten, der ihrer Linie widersprach, folterten und töteten. Er habe „moralische Fehltritte“– eine Anspielung auf homosexuelle Neigungen – begangen, sagten sie anschließend zu ihrer Rechtfertigung.
Als Hamas-Chef dürfte alSinwar vor einer Konfrontation mit Israel nicht zurückschrecken. Seit dem Gaza-Krieg 2014 hat die Hamas den Waffenstillstand respektiert und ging gegen salafistische Splittergruppen vor, die vereinzelt Raketen in das israelische Grenzgebiet feuerten. Sinwar zählt zu jenen, denen an guten Kontakten mit dem Ableger der Terrorgruppe IS im Sinai gelegen ist. Inge Günther