Zittern und Bangen bei Bausparkassen
Bundesgerichtshof entscheidet über Zulässigkeit von Kündigungen
KARLSRUHE - Mit Spannung blicken die deutschen Bausparkassen nach Karlsruhe. Voraussichtlich Dienstag wird der dort beheimatete Bundesgerichtshof (BGH) eine für die Branche entscheidende Grundsatzentscheidung treffen. Es geht darum, ob die Kündigung von Altverträgen, für die seit mehr als zehn Jahren ein Darlehensanspruch besteht, den die Kunden nicht wahrnehmen, zulässig ist. Für die angeschlagenen Bausparkassen geht es um Milionenbeträge, die sie angesichts ihrer dramatisch sinkenden Gewinne dringend bräuchten. Für die Sparer geht es um attraktive Zinsen. Selbst das Modell des Bausparens als solches ist gefährdet.
Viele Jahrzehnte ging es den Bausparkassen gut. Denn die Deutschen sind ein Volk von Bausparern. Das gilt besonders für Baden-Württemberg. Hier im Südwesten haben mit Schwäbisch Hall und Wüstenrot die beiden Marktführer ihren Sitz. Hier gibt es besonders viele Bausparer. Insgesamt zählen die Institute in Deutschland 26 Millionen Kunden, die fast 30 Millionen Bausparverträge haben.
Das Prinzip ist einfach. Kunden schließen einen Vertrag über eine bestimmte Summe ab und sparen eine vereinbarte Summe an. Ist diese erreicht, ist der Vertrag „zuteilungsreif“. Der Bausparer erhält dann einen Kredit zu einem bei Vertragsabschluss zugesagten Zins und kann eine Wohnung oder ein Haus bauen oder umbauen.
Doch angesichts der Niedrigzinsen ist das Modell ins Ungleichgewicht geraten. Die Inanspruchnahme des Kredits ist für die Kunden unattraktiv geworden. Viele Banken gewähren heute Darlehen, die deutlich günstiger sind als die der Bausparkassen. Die Darlehen werden daher nicht mehr abgerufen. Stattdessen kassieren die Kunden lieber die meist relativ attraktiven Zinsen aus ihren Altverträgen, mit denen viele Institute sie einst gelockt hatten.
Die Institute stellt dies zunehmend vor Probleme: Sie müssen ihren Kunden hohe Zinsen zahlen, können das ihnen zufließende Bauspargeld aber nur noch mit geringer Rendite anlegen. Gleichzeitig vergeben sie immer weniger Kredite. Das geht an die Substanz. Zinsmargen und Gewinne schmelzen dahin. Felix Hufeld, Chef der Finanzaufsicht BaFin, ist höchst besorgt. „Der Druck wächst merklich“, sagte er kürzlich.
Zwar leiden alle Bausparkassen unter der Zinsentwicklung, doch sitzen nicht alle auf großen Beständen hoch verzinster Altverträge. Bei Marktführer Schwäbisch Hall werden nur zwei Prozent der Verträge mit mehr als 3,5 Prozent verzinst. Bei Wüstenrot sind es deutlich mehr. Doch alle Bausparkassen müssen handeln. Sie straffen und digitalisieren ihren Vertrieb, bauen Personal ab, verzichten, wie Wüstenrot, auf Dividendenzahlungen, und investieren in oft veraltete IT. Einige Bausparkassen wie Debeka, Signal Iduna, die LBS Bayern oder zuletzt die LBS Ost führen als „Servicegebühren“deklarierte Gebühren sogar für Altverträge ein. Das ist rechtlich sehr umstritten, weshalb Verbraucherverbände betroffenen Kunden zu Widerspruch und Klagen raten – schlecht für das Image der Institute.
Auch bei der Kündigung von teuren Altverträgen bewegen sich die Bausparkassen teilweise in einer rechtlichen Grauzone. Das ist der Grund, weshalb die Entscheidung des BGH so wichtig ist. Unstrittig ist nur die Kündigung von Verträgen, die voll bespart sind, bei denen also gar kein Darlehensanspruch mehr besteht. Am Dienstag in Karlsruhe geht es um die Frage, ob Verträge, die seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, gekündigt werden dürfen.
260 000 Verträge betroffen
Das BGH-Urteil soll endlich Klarheit bringen. Betroffen ist eine bedeutende Zahl von Verträgen, die bereits gekündigt sind. Die Rede ist von etwa 260 000 gekündigten Verträgen. Weitere würden wohl gekündigt, wenn das BGH im Sinne der Bausparkassen entscheiden sollte.
Sollte der BGH die Kündigungen jedoch nicht für rechtens halten, dann könnte es für einige Institute eng werden. Das Urteil könnte einige Kassen ins Mark treffen“, glaubt ein nicht genannter Chef einer großen Bausparkasse. In der Branche weiß man, dass Kündigungen „keine Freude machen und für die Reputation gewiss nicht förderlich sind“, wie Andreas Zehnder, Vorsitzender des Verbands der Privaten Bausparkassen, sagt. BaFin-Chef Hufeld hat schon darauf hingewiesen, dass „grundsätzlich mit Genehmigung der Aufsicht auch in bestehende Verträge eingegriffen werden kann, wenn eine grundsätzliche systemische Gefahr bei den Bausparkassen entstünde“.
Es klingt fast schon dramatisch, wenn er hinzufügt: Käme es zu einer extremen Situation, dann wäre es auch im Interesse der Verbraucher, lieber eine kleine Einbuße hinzunehmen, die aber das System stabilisiert. Die Alternative wäre eine Situation, in der einige untergehen und sich andere mit ein bisschen Glück retten können.“Dass es Bereinigungen im Lager der zwölf privaten und acht Landesbausparkassen geben wird und muss, ist in der Branche unstrittig. Vor allem im Sparkassenlager (LBS) ließen sich dadurch erhebliche Synergien heben.
Zwei Tage später verhandelt das landgericht Stuttgart eine Klage der baden-württembergischen Verbraucherschützer. Sie klagen gegen mehrere Bausparkassen, die nachträglich Kündigungsklauseln eingeführt haben, für den Fall, dass ein Darlehen nicht spätestens 15 Jahre nach Vertragsabschluss in Anspruch genommen wird.