Schwäbische Mentalitätsmonster
Nach dem 1:2 im Derby sind Heidenheim und Sieger Stuttgart zu Recht stolz auf ihre Leidenschaft
HEIDENHEIM - Spaßvögel behaupten ja, Otto von Bismarck sei gerade zum Reichskanzler gewählt worden, als ein gewisser Frank Schmidt bereits Trainer des 1. FC Heidenheim von 1846 war, aber ganz so alt ist der Schwabe definitiv nicht. 43 Lenze hat Schmidt bloß auf dem Buckel, seit zehn Jahren ist er im Amt, wenig genug also, um noch neue Dinge erfahren zu dürfen im Fußball. Am Freitagabend etwa erlebte Frank Schmidt staunend mit, wie alle 30 Sekunden Eckbälle in den Strafraum des VfB Stuttgart segelten, so, als flögen die Zugvögel schon wieder zurück auf die Alb. Anschließend wurden jene Eckbälle jeweils so lange geköpft, gestochert oder mit Schüssen aus dem Hinterhalt abgeschlossen, bis ein Stuttgarter – wahlweise auch Pfosten oder Latte – den Ball noch von der Torlinie bugsierte. Fünfmal passierte das und so lange, bis Heidenheim 1:2 verloren hatte.
Vierzig Minuten später war Schmidt noch immer bedient vom chronischen Pech der Seinen auf den letzten Zentimetern: „Jetzt bin ich doch schon ein paar Jahre lang Trainer hier, aber an so ein unglaubliches Eckball-Feuerwerk von links und von rechts kann ich mich nicht erinnern. Zweimal auf der Linie und einmal Mitch Langerak, der unglaublich gehalten hat. Wenn da das 2:2 fällt, wär es auch nicht unverdient gewesen.“
Tatsächlich waren die Heidenheimer nach einer eher ängstlichen ersten Hälfte mit fliegenden Fahnen untergegangen gegen den Tabellenführer. Nach Schlusspfiff durften sie sich vor ihrer Osttribüne den verdienten Beifall abholen für ihre unbeugsame Mentalität, ihren Willen und den Kampf, den sie dem VfB geboten hatten. Nach dem mutlosen Start habe er seiner Elf in der Halbzeit „ein neues Gesicht gegeben“, sagte Schmidt später. Man wäre gerne dabei gewesen bei dieser Motivationspredigt, denn danach traten die Heidenheimer viel bissiger auf, so, als wollten sie den Gegner erst mittel Grätschen anbeißen und am Ende dann genüsslich verspeisen. Bloß: Man muss eben Tore schießen im Fußball. Vom 1:1-Schützen Marc Schnatterer abgesehen hat der FCH wohl zu wenige dieser kaltblütigen Knipser, um im Kampf um den Aufstieg noch zu obsiegen. Sechs Punkte beträgt der Abstand zu Rang drei, die latenten Träume des Underdogs von der Bundesliga, die sich keiner so richtig auszusprechen traut auf der Alb, sie müssen wohl noch warten.
Mit den Ambitionen des VfB, dem sofortigen Wiederaufstieg nämlich, könnte es dagegen klappen angesichts seines Trends. Vier Siege in Serie hat das Team von Hannes Wolf nun gefeiert, sechs Punkte groß ist der Vorsprung auf den Dritten Union Berlin. Die Mannschaft, ja der ganze Verein haben sich in den letzten sechs Monaten bis auf die Wurzeln gewandelt. Ende August, beim 1:2 im Hinspiel, hieß Stuttgarts Trainer noch Jos Luhukay und die Innenverteidiger Sane und Sunjic, ein Duo, das so verunsichert und zaghaft wirkte, dass man es am liebsten sofort und getrennt voneinander in eine achtwöchige Kur geschickt hätte. Inzwischen ist nicht nur das Trio Geschichte, auch alle Lethargie und Saturiertheit, die sich Jahrelang über den Club legten wie der Feinstaub übers Neckartal, haben sich verabschiedet. In der Gegenwart hat der VfB einen üppigen, jungen, von Manager Jan Schindelmeiser im Winter geschickt verstärkten 26-Mann-Kader, in dem fast jeder um seinen Platz kämpfen und bangen muss. Ein Kader, in dem ein Senkrechtstarter wie Berkay Özcan (18) oder ein (eher ewiges) Talent wie Alexandru Maxim auch mal auf der Tribüne sitzen wie in Heidenheim. Reservisten zu sagen und zu begründen, warum sie nicht spielen, ist eine Kunst, die nicht jeder Trainer beherrscht. Als Trainer und Mensch sei er da gefordert, räumte Wolf ein.
Acht Großchancen zugelassen
Derweil ging im Februarregen der Voith-Arena der Stern eines anderen 18-Jährigen auf – Josip Brekalo. Der Kroate, der im Winter zunächst einmal kostenlos von Wolfsburg ausgeliehen wurde (wohin er erst im Sommer für zehn Millionen Euro gewechselt war), erwischte bei seinem zweiten Kurzeinsatz für den VfB einen Glückstag. Kreuzecker geht nicht – so viel darf man sagen nach Brekalos Schuss aus 25 Metern, der wie an der Schnur gezogen in die Triangel zischte. Und der Wolf am Ende einen „unfassbar schönen Abend“bescherte. Brekalo, für den der VfB eine Kaufoption besitzt, war übrigens auch einer jener Spieler, die sich auf der eigenen Torlinie als Retter betätigten.
Nötig war es, weil Stuttgarts Defensive noch nicht ganz erstligareif ist. „Wir haben acht Großchancen zugelassen – zu viel“, monierte Wolf, entschloss sich aber dazu, die Leidenschaft seiner Spieler in der Schlacht zu Heidenheim zu rühmen. „Wer sich heute nicht freut, würde was falsch machen. Wir hätten nicht gewonnen, hätten sich unsere Spieler nicht in jeden Schuss geworfen.“ Märchen durch Rote Kobolde: Durch eine der größten Sensationen in der fast 150-jährigen FA-Cup-Historie hat Fünftligist Lincoln City in England Geschichte geschrieben. Der erste Einzug eines Vereins aus einer nichtprofessionellen Liga ins Viertelfinale des ältesten Wettbewerbs der Welt seit 1914 – nach einem 1:0-Last-Minute-Coup gegen Premier-League-Aufsteiger FC Burnley – kommt im Zeitalter des milliardenschweren Fußballgeschäfts geradezu einem Märchen gleich. „Wir haben dem Pokal wieder etwas von seinem Zauber zurückgebracht“, schwärmte Lincolns Teammanager Danny Cawley. Für die Fortsetzung der wundersamen Reise seiner „Red Imps“(Roten Kobolde), die auf dem Weg ins Achtelfinale schon die Zweitligisten Ipswich Town und Brighton & Hove Albion düpiert hatten, sorgte der frühere C-Nationalspieler Sean Raggett eine Minute vor dem Abpfiff. Der Matchwinner nach seinem Tor: „Das ist total abgedreht.“ 2:0 hält Real auf Kurs: Champions-LeagueSieger Real Madrid hat die Tabellenführung in der Primera Division gefestigt. Im Heimspiel gegen Espanyol Bacelona gelang mit Weltmeister Toni Kroos in der Anfangsformation ein 2:0 (1:0)-Arbeitssieg. Alvaro Morata (33. Minute) traf zum 1:0 gegen die Katalanen, der für Morata eingewechselte walisische Star Gareth Bale (84.) stellte den Endstand her.