Frau nicht vor gewalttätigem Ehemann geschützt
Menschenrechtsgericht macht italienische Behörden mitverantwortlich für einen Fall von häuslicher Gewalt
STRASSBURG (dpa/AFP) - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die italienischen Behörden für das tragische Ende eines Falls häuslicher Gewalt verantwortlich gemacht. Polizei und Justiz seien ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, die Klägerin und ihren Sohn vor dem gewalttätigen Ehemann zu schützen, entschieden die Straßburger Richter am Donnerstag in einem Verfahren gegen Italien (Beschwerdenummer 41237/14).
Nach jahrelangen Misshandlungen war der Mann der Klägerin 2013 mit einem Messer auf seine Frau losgegangen. Dabei erstach er den gemeinsamen Sohn, der seine Mutter schützen wollte. Die Untätigkeit der Behörden trotz einer Anzeige der Frau habe zuvor eine Situation der Straflosigkeit entstehen lassen und letztlich zum Tod des Sohnes geführt, heißt es in dem Urteil. Die Straßburger Richter warfen den Behörden „Passivität“vor und sprachen der Frau wegen der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen eine Entschädigung zu.
Die Frau hatte sich erstmals im Juni 2012 bei der Polizei über ihren Mann beschwert, der sie und ihre Tochter geschlagen hatte. Im August griff er sie erneut mit einem Messer an und zwang sie zum Geschlechtsverkehr mit seinen Freunden. Die um Hilfe gebetenen Polizisten belegten den Angreifer wegen illegalen Tragens einer Waffe mit einem Bußgeld und rieten der Frau, nach Hause zu gehen.
Der Gerichtshof wertete den Fall auch als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Häusliche Gewalt, deren Opfer meist Frauen seien, werde in Italien noch immer sozial und kulturell toleriert. Trotz Reformen werde eine große Anzahl an Frauen von ihren Partnern oder ehemaligen Partnern umgebracht.
Das Phänomen hat in Italien sogar einen eigenen Namen: „femminicidio“. Im vergangenen Jahr kamen in Italien der Nachrichtenagentur Ansa zufolge 120 Frauen durch die Hand ihrer ehemaligen Freunde, Ehemänner oder Geliebten um. Seit Januar 2017 waren es fünf. Zum Vergleich: In Deutschland wurden laut Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr 74 Frauen von ihren Partnern umgebracht.