Granit-Stadt mit idyllischem Außenposten
Ein Wochenende im schottischen Aberdeen zwischen Strand, Sehenswürdigkeiten und Shopping-Meilen
Grau, trist, langweilig – die Synonyme für Schottlands drittgrößte Stadt tendieren überwiegend ins Negative. Zudem genießt Aberdeen den zweifelhaften Ruf, in einer Schlecht-Wetter-Region zu liegen – nämlich dort, wo es unaufhörlich nieselt und das schlichte Grau der gemeinhin als Granite City bekannten Stadt zu einer unansehnlichen Masse mutiert. Wagt sich aber die Sonne hindurch, und dies geschieht entgegen aller gängigen Klischees unvermutet häufig, dann glänzt und glitzert die Granit-Stadt geradezu glamourös. Erleben lässt sich dies mit ein bisschen Wetterglück ganz prächtig während eines Wochenendtrips.
Maritime Betriebsamkeit Freitag:
Nach der Ankunft geht es zunächst in das nördlich des Stadtzentrums gelegene Delta des River Don, der nach eleganten Schwüngen in den Atlantik mündet. Der Blick übers Meer verrät sogleich die maritime Betriebsamkeit Aberdeens, angesichts diverser, auf Einfahrt wartender Frachtschiffe. Ein großer, langgestreckter Sandstrand öffnet sich hier gen Süden. An dessen Ende ragt der Navigationsturm des Hafens in den Himmel. Je näher das eigentliche Stadtzentrum rückt, desto betriebsamer werden die Aktivitäten am Strand, Beachvolleyball und Tennis werden gleich an der Promenade gespielt, manche Kinder wagen gar ein Bad im kühlen Meer, Eltern genießen das selbige in der Sonne. Das gesamte Geschehen kann auch wunderbar von einem gewaltigen Riesenrad aus überschaut werden.
Das Dörfchen Footdee, von den Aberdonians liebevoll Fittie genannt, liegt nahe des Hafens. Im Karomuster angelegt gibt es hier verspielte Schrebergärten und private Ferienhäuschen, Katzen schleichen schnurrend um die Ecken, Wäsche flattert im Wind, Gartenzwerge grinsen herüber. Ländliche Idylle nahe der Großstadt, die sich ganz wunderbar für ein Dinner im „Silver Darling“anbietet. Das mehrfach ausgezeichnete und für das Angebot an Meeresfrüchten weithin gerühmte Restaurant bildet das kulinarische Glanzlicht des malerischen aberdonischen Außenpostens. Komplett verglast bietet der Gastraum in der oberen Etage beste Aussichten auf Hafenausfahrt und Meer. Der anschließende Dram zum entspannten Ausklang des ersten Abends könnte aus der Glen Garioch Destillerie stammen, der östlichsten Whiskybrennerei der Highlands.
Samstag:
Nach einem opulenten schottischen Frühstück führt der Weg ins Zentrum der grau-silbernen Stadt. Am Tollcross Square ragt eine antike Säule in die Höhe. Auf deren Spitze thront ein weißes schottisches Einhorn, das stolz die Union Street herunterblickt. Imposant auch die Türme des Townhouse und des Marischal College, vor dem Robert the Bruce, schottischer König und Volksheld, mitsamt Pferd Wache schiebt. Einen Abstecher auf dem Spaziergang durch die Innenstadt lohnt die Aberdeen Art Gallery, ein Kunstmuseum mit ausgezeichneter Gemäldesammlung schottischer Maler.
Die kleine Parkanlage Union Terrace Gardens liegt gegenüber His Majesty’s Theatre zwischen den beiden innerstädtischen Hauptverkehrsadern und bildet einen reizvollen, blumenumrankten Farbkontrast zum vorherrschenden Grau georgianischer Architektur. Sie stellt gleichzeitig eine Verbindung in die historische Unterstadt dar, dem Merchant Quarter. Dieser mittelalterliche Stadtteil mit seinen Kopfsteinpflastergassen besitzt eine eigentümliche Atmosphäre. Die Bars, Pubs und Restaurants dort sind insbesondere bei den Studenten beliebt. Im rustikal eingerichteten „Café 52“gibt es kleine Lunchgerichte zu zivilen Preisen. Das Maritime Museum in der Ship Row beschäftigt sich mit der großen Historie der Seefahrt an der Nordostküste Schottlands und deren Bedeutung für die Wirtschaft und Gesellschaft Aberdeens. Im Zentrum des Gebäudes steht das Modell einer Ölplattform, die selbst im kleinen Maßstab einen atemberaubenden Eindruck macht und Bewunderung all jenen zollt, die an einem solch exponierten Ort auf offener See ihr Tagwerk verrichten.
Lange Öffnungszeiten
Der traditionelle Afternoon Tea bekommt im „Carmelite Hotel“am The Green eine völlig neue Bedeutung mit einer Mischung aus verspielter Exzentrik und britischem Humor. Mad Hatters Tea Party nennt sich die tägliche Veranstaltung, bei der zur Begrüßung Sekt fließt und eine vergnügliche Atmosphäre wie beim Kostümball herrscht.
Anschließend steht Shopping auf dem Programm. Am besten eignen sich dafür die „Granitmeile“Union Street, Union Terrace, Schoolhill und Upper Kirkgate, wo sich mehrere hundert verschiedene Geschäfte bedeutender Modeketten, Computerund Medienshops sowie bekannte Kaufhäuser befinden. In der Buchhandlung Waterstones lohnt ein Blick in die Abteilung Regionales, die so manchen Schatz aus der Stadtgeschichte birgt. Gleich fünf moderne Einkaufsgalerien buhlen verschwenderisch um Schaulustige, in Belmont und Rose Street kommen mehr individuelle und etwas exzentrische Geschäfte zu ihrem Recht. Lange Öffnungszeiten bis mindestens 20 Uhr ermöglichen einen entspannten Einkauf mit anschließendem Abendessen.
Heute stehen zunächst die alte Festungsanlage Torry Battery und der Leuchtturm von Aberdeen auf dem Programm. Von hier aus bietet sich eine zauberhafte Aussicht auf die Skyline der Stadt, auf Fittie und die schier endlose Strandpromenade. Mit Glück lassen sich Delfine ohne Fernglas beim neckischen Spiel beobachten. Aber bitte warm anziehen: Hier oben pfeift der Wind ordentlich.
Sonntag: Altstadt und moderne Architektur
Aberdeen Old Town etwas nördlich der Innenstadt wird beherrscht vom Kings College, der drittältesten Universität Schottlands. Signifikant die offene Kronenkuppel der Kirche auf dem geschichtsträchtigen Campus. Die High Street flankieren historische Gebäude aus dunklem Sandstein. Sie bilden einen starken Kontrast zum modernen würfelförmigen Gebäude der Sir-Duncan-Rice-Bibliothek, die sich in Sichtweite mit ihrer urwaldähnlichen Fassade erhebt und schon einige Architekturpreise einheimsen konnte.
Vor dem Rückflug Richtung europäischer Kontinent lässt sich noch schnell ein Blick in die ehrwürdige St. Machars Kathedrale mit ihrer eindrucksvollen Kassettendecke werfen. Wer Zeit hat, begibt sich noch auf eine kurze Wanderung durch den Seaton Park hinüber zur Brig of Balgownie, der ältesten mittelalterlichen Brücke Schottlands, die sich inmitten dichten Baumbestandes hoch über den Don wölbt. Studenten feierten hier oft ihre bestandenen Examina mit einem Sprung aus 17 Metern in den dahinplätschernden Fluss. Nach knapp zehn Minuten Taxifahrt ist von hier aus der Flughafen wieder erreicht.