Niederlande zeigen klare Kante
Türkische Politiker dürfen nicht auftreten – Proteste der Erdogan-Anhänger in Rotterdam
AMSTERDAM/BERLIN/ISTANBUL Wasserwerfer, Schlagstöcke, zähnefletschende Polizeihunde. Es fliegen Steine. Mindestens sechs Demonstranten und ein Beamter werden verletzt. Das türkische Fernsehen wiederholt immer wieder Szenen, in denen niederländische Polizisten wütende Männer vor dem Konsulat der Türkei in Rotterdam zurückdrängen.
„Wir lassen uns nicht erpressen“, hat Ministerpräsident Mark Rutte am Samstag gesagt und entschieden, dass hochrangige Abgesandte des türkische Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan daran gehindert werden, in den Niederlanden für dessen Verfassungsreform zu werben.
Während es in Deutschland örtlichen Behörden überlassen bleibt, über die Zulassung von Veranstaltungen mit türkischen Ministern zu entscheiden, zeigt die Regierung in Den Haag klare Kante. Dem Flugzeug von Außenminister Mevlüt Cavusoglu wird die Landerlaubnis entzogen. Als daraufhin Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya von Deutschland aus mit dem Auto nach Rotterdam fährt, wird ihr Wagen dort von Polizisten blockiert, sie wird zur unerwünschten Person erklärt und zurück nach Deutschland eskortiert.
Massive Drohungen
Manch einer reibt sich die Augen: Die Niederländer – sind das nicht die, die bei Problemen immer so lange reden wollen, bis ein Kompromiss erreicht wurde? Das habe man ja versucht, erklärt Rutte. Doch Ankara habe mit der massiven Androhung wirtschaftlicher und politischer Konsequenzen reagiert und obendrein mit Beleidigungen. „Die Suche nach einer angemessenen Lösung erwies sich als unmöglich.“
Weithin hat dieser Satz Erdogans bei Niederländern für Empörung gesorgt: „Das sind Nachfahren der Nazis, das sind Faschisten.“Deutsche Bomber hatten Rotterdam 1940 in Schutt und Asche gelegt. Erst danach hatten die Niederlande sich der Kriegsmaschinerie der Nazis ergeben – während die Türkei 1941 mit Nazi-Deutschland einen Freundschaftsvertrag unterzeichnete. „Sie haben vergessen, dass ich Bürgermeister einer Stadt bin, die von den Nazis bombardiert wurde“, sagt Rotterdams muslimisches Stadtoberhaupt Ahmed Aboutaleb zu Erdogans Vorwürfen und der Behauptung des Finanzministers Naci Agbal, Europa wolle den „Nationalsozialismus“auferstehen lassen.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu war von den Niederlanden angeblich sogar gebeten worden, auf Wahlkampfauftritte zu verzichten. Er habe sich bereit erklärt, dies zu berücksichtigen, berichtet die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf diplomatische Kreise. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel habe Cavusoglu am vergangenen Mittwoch in Berlin seinem Amtskollegen die Bitte der niederländischen Regierung weitergegeben.
Viele Niederländer fragen sich trotzdem, ob die Eskalation nicht vermeidbar war. Allerdings: Die Niederlande sind voll im Wahlkampfmodus. Am Mittwoch wird ein neues Parlament gewählt. Rutte spürt den Atem des Rechtspopulisten Geert Wilders im Nacken. Mit seinem harten Kurs gegen türkische Ministerauftritte – so kritisiert die Migrantenpartei Denk – versuche Rutte, Wilders den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Aus Protest gegen die Nazi-Vergleiche will die Grünen-Politikerin Marieluise Beck einen Freundschaftspreis zurückgeben, den sie 2005 von Erdogan verliehen bekommen hatte. Dessen Vorwürfe seien „unpassend und geschichtsklitternd“, kritisiert Beck in einem Brief an den türkischen Staatschef.
Der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen hat am Sonntag seinen türkischen Amtskollegen Binali Yildirim gebeten, einen geplanten Besuch in Dänemark zu verschieben. „Unter normalen Umständen wäre es ein Vergnügen, den türkischen Ministerpräsidenten Yildirim zu begrüßen“, teilte Løkke Rasmussens Büro mit. „Aber nach dem jüngsten Angriff der Türkei auf Holland kann das Treffen nicht unabhängig davon gesehen werden.“