Höhere Inflationsrate stellt die Nullzinspolitik infrage
Die Europäische Zentralbank überschwemmt die Finanzmärkte weiterhin mit billigem Geld – Sparer und Verbraucher sind die Verlierer
BERLIN - Die Teuerungsrate hat den Zielwert von zwei Prozent erreicht. Trotz gestiegener Inflation bleibt die Europäische Zentralbank (EZB) bei ihrer Nullzinspolitik. Sie beließ vergangene Woche den Leitzins in der Eurozone unverändert bei null Prozent. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Politik von EZB-Chef Mario Draghi und zu den Folgen der Politik für Verbraucher und Sparer.
Ist die Inflation jetzt dauerhaft zurück?
Die Sorge, dass alle Waren und Dienstleistungen nun schnell viel teurer werden, ist unbegründet. Zwar ist die Inflationsrate im Februar auf mehr als zwei Prozent in die Höhe geschnellt, doch geht diese Entwicklung vor allem auf Kosten für Energie und Lebensmittel zurück. Da der Ölpreis vor einem Jahr sehr niedrig war, wirkt sich dessen Normalisierung statistisch besonders stark aus. Auch bei den Lebensmitteln gibt es Sondereffekte, die zum Beispiel aus einer schlechten Ernte in Südeuropa resultieren. Dadurch sind die Preise für Gemüse gestiegen. Diese Effekte entfallen im Jahresverlauf. Dann wird die Inflationsrate wieder sinken. Eine Teuerung von zwei Prozent ist außerdem das gewünschte Ziel der EZB.
Warum sind trotzdem viele Experten besorgt?
Normalerweise steigen die Zinsen, wenn die Preise anziehen. Doch die EZB hält noch immer an einer Nullzinspolitik fest und überschwemmt die Finanzmärkte mit billigem Geld. Das tut sie, weil die Konjunktur in anderen Euroländern noch nicht wie gewünscht läuft. Sie muss ja die Interessen des gesamten Währungsblocks im Auge behalten. Daraus resultieren Risiken, auch für die Teuerung in Deutschland. Bei den Immobilienmärkten hat sich mancherorts bereits eine Preisblase gebildet. Die Immobilienpreise und Mieten steigen teilweise massiv an. Die deutsche Wirtschaft brummt. Das erleichtert es den Unternehmen, ihre Preise anzuheben. Diese Risiken könnten mittelfristig für einen weiteren Teuerungsschub sorgen.
Inwiefern betrifft diese Entwicklung Sparer und Verbraucher?
Sparer und Verbraucher sind die großen Verlierer der Entwicklung. Da es für die normalen Sparguthaben praktisch keine Zinsen mehr gibt, verliert das Vermögen der Sparer an Kaufkraft, wenn die Preise steigen. Die Verbraucher wiederum müssen mehr für ihren Lebensunterhalt ausgeben. Das wäre kein Problem, wenn die Löhne wenigstens in gleichem Maße steigen würden. Doch die Arbeitgeber geben schon zu erkennen, dass sich die Lohnabschlüsse an der Produktivitätssteigerung orientieren sollen und nicht an der Preissteigerung. Liegen die Tarifabschlüsse unterhalb der Teuerungsrate, können sich die Arbeitnehmer unter dem Strich weniger leisten.
Kann man gegen den Wertverlust des eigenen Vermögens etwas tun?
Es ist kaum möglich, Geld risikofrei und dennoch gut verzinst anzulegen. Nur Aktien verzeichnen derzeit kräftige Kurssteigerungen. Verbraucherschützer raten hier zum Kauf sogenannter Exchange Traded Funds, deren Risiko überschaubar ist, weil die Papiere die Entwicklung vieler Aktien abbilden und kostengünstig sind. Doch das Risiko erheblicher Abwärtskorrekturen an den Börsen ist beträchtlich, gerade weil die Kurse so stark angestiegen sind und es ungewiss ist, wie die Wirtschaftspolitik der USA in Zukunft aussieht.
Warum bleiben die Zinsen trotzdem niedrig?
Die EZB hält weiterhin daran fest, den Leitzins niedrig zu halten und Anleihen aus den Euroländern zu kaufen. Damit will sie die Inflation in der gesamten Eurozone wieder in Richtung des Zielwertes von zwei Prozent bringen. Die Preise ziehen zwar im gesamten Euroraum derzeit in dieser Größenordnung an. Rechnet man jedoch die schwankungsanfälligen Preise heraus, liegt die sogenannte Kerninflation noch knapp unter einem Prozent. Wie lange die Währungshüter an ihrer Strategie festhalten, ist noch offen. EZB-Chef Draghi hat am Donnerstag allerdings klargemacht, dass sich kurzfristig nichts ändern wird. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZBRat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, sagte Draghi. Der Handlungsdruck, weitere Maßnahmen – wie zum Beispiel neue Langfristkredite für Banken – auf den Weg zu bringen, habe aber nachgelassen. „Unsere Geldpolitik war erfolgreich“, bilanzierte Draghi. Bis Ende 2017 will die Notenbank ihre milliardenschweren Anleihekäufe fortsetzen. Mindestens bis dahin will der EZB-Rat die Zinsen auf dem aktuellen Rekordtief halten.
Ist eine Normalisierung der Entwicklung absehbar?
Die Meinungen über die Geldpolitik der EZB gehen weit auseinander. Politiker haben dabei formal nichts zu sagen. Denn die Zentralbank ist ein unabhängiges Gremium und darf daher auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Druck gibt es von den Befürworter und Gegnern der Niedrigzinspolitik. In Deutschland mehren sich die Stimmen, die einen allmählichen Ausstieg aus den Nullzinspolitik fordern. Das Institut der Deutschen Wirtschaft verlangt ähnlich wie das Münchner Ifo-Institut einen Kurswechsel. Auch Bayerns Finanzminister Markus Söder verlangt von der EZB eine Wende. In Frankreich ist der Niedrigzins hingegen willkommen, auch weil der Staat für neue Schulden nur geringe Zinsen bezahlen muss. Eine abrupte Abkehr von der bisherigen Strategie ist unwahrscheinlich. Wenn die EZB dies beschließt, wird die Veränderung in kleinen Schritten stattfinden.