Steinmeier mahnt Erdogan
Eindringliche Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten
BERLIN (sal) - Der neue Bundespräsident FrankWalter Steinmeier (SPD) hat den türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdogan zur Mäßigung aufgerufen. In seiner Antrittsrede vor Bundestag und Bundesrat warnte Steinmeier (Foto: dpa) vor Gefahren für die Demokratie im In- und Ausland. „Eine neue Faszination des Autoritären ist tief nach Europa eingedrungen“, sagte er. Er forderte die Deutschen auf, über Demokratie nicht nur zu reden, sondern für sie zu streiten. Steinmeier, der bei seiner Nominierung angekündigt hatte, Mahner und Mutmacher sein zu wollen, wünscht sich von Regierung und Regierten mehr Mut. Er versprach, sein Amt überparteilich auszuüben, aber parteiisch für Demokratie und Europa einzutreten.
BERLIN - „Geben Sie Deniz Yücel frei.“Diesen Appell an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Rechtsstaat und Pressefreiheit zu respektieren, hat Frank-Walter Steinmeier als frisch vereidigter Bundespräsident an den Beginn seiner Rede gestellt. Er forderte die Deutschen auf, mutig gegen Gleichgültigkeit, Hass und Lüge einzustehen.
Arm in Arm kamen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in den Plenarsaal, denn Bundesrat und Bundestag nahmen gemeinsam die Vereidigung des neuen Präsidenten vor. Hinter den beiden Vertretern des Bundestags und der Länder folgten die Präsidentenpaare Steinmeier/Büdenbender und Gauck/Schadt. Sowohl Lammert als auch Dreyer dankten als erstes dem scheidenden Präsidenten Joachim Gauck für seine demokratische Leidenschaft und das Eintreten für die Freiheit. Beide wandten sich auch extra an Daniela Schadt. „Sie nehmen ein Amt wahr, dass es gar nicht gibt“, so Lammert. Die „starke Frau an seiner Seite“nannte Malu Dreyer die nun ehemalige First Lady Schadt.
Büdenbender lässt Beruf ruhen
Elke Büdenbender, die Verwaltungsrichterin, lässt ihren Beruf genauso wie die Journalistin Schadt ruhen, um ihren Mann zu unterstützen. Sie nickte aufmunternd, als er die Eidesformel als neuer Bundespräsident sprach, mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe.“
Bis Januar war Frank-Walter Steinmeier Außenminister. So blickte er zu Beginn seiner Rede auf die Krisenherde dieser Welt. Er erinnerte daran, wie rückständig die Türkei noch vor 30 Jahren war und wie viel sich seitdem zum Besseren gewendet hat. „Herr Erdogan, gefährden Sie nicht das, was Sie mitaufgebaut haben“, sagte Steinmeier beschwörend und setzte sich für den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel ein, der in der Türkei in U-Haft sitzt. „Man merkt seine außenpolitische Erfahrung. Er verortet Deutschland anders in der Welt als seine Vorgänger“, sagte der Unionsaußenpolitiker Roderich Kiesewetter zum ersten Teil der Ansprache. Er findet es gut, dass Steinmeier aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht habe.
Steinmeier warnte vor einer neuen Faszination des Autoritären. Die liberale Demokratie stehe unter Beschuss. Doch der neue Bundespräsident wollte nicht klagen, sondern Mut machen. „Wir müssen über Demokratie nicht nur reden, sondern lernen, für sie zu streiten“, sagte Steinmeier. Er warnte davor, sich von der Angst treiben zu lassen und vor einfachen Antworten, die es in einer komplizierten Welt nicht mehr geben könne.
Auch Steinmeiers Mutter dabei
Auf der Ehrentribüne saß neben dem früheren Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse auch Steinmeiers Mutter Ursula und hörte zu. „Höher kann er ja nun nicht mehr“, hatte sie bei seiner Nominierung stolz gesagt, und ihren Sohn als „besonnen, ehrlich, vermittelnd und niemals aufbrausend“charakterisiert.
In seiner Antrittsrede zeigte Steinmeier mehr Temperament als gewohnt. „Mut ist das Lebenselixier der Demokratie“schrieb er den Deutschen ins Stammbuch, und zwar der Mut der Regierung und der der Bürger. Er bittet alle, festzuhalten am Unterschied zwischen Fakt und Lüge.
Er will Partei ergreifen
Er sei gefragt worden, ob er nach seinen vielen Jahren in der Politik überhaupt noch neutral sein könne. Nein, so Steinmeier, er werde überparteilich sein, das ja – aber er werde auch Partei ergreifen, zum Beispiel für Europa. Er lobte die vielen jungen Leute, die sich in der neuen Bewegung „Pulse of Europe“für ein starkes Europa einsetzen, und er zitierte Jean Claude Juncker, der gesagt hatte: „Wir haben nicht das Recht, gegeneinander patriotisch zu sein.“
Nach seiner Rede klopfte ihm seine Frau Elke Büdenbender anerkennend auf die Schulter. Zufrieden waren auch die Bundestagsabgeordneten. Frank-Walter Steinmeier habe ein bisschen zu viel immer nur die SPD angeschaut, hieß es in der Union. Aber mit seiner Antrittsrede konnten von ganz links bis rechts alle recht gut leben.