Mann ohne Reue
Ludwig Heilmeyer war Gründungsrektor der Universität Ulm – Doch es gibt viele Fragen nach seiner faschistischen Vergangenheit
ULM - 50 Jahre Universität Ulm: Uni und Stadt feiern das Jubiläum mit Vorträgen, Festakten, Bällen. Nobelpreisträger geben sich die Klinke in die Hand, auf Kongressen stellen die Forscher ihre neuesten Erkenntnisse vor. Doch Ende Februar, noch während des großen Festaktes mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), fallen unerwartet Schatten auf die Gründungsphase. Braune Schatten der Vergangenheit. Recherchen, auch der „Schwäbischen Zeitung“, ergeben, dass der Gründungsrektor der Universität Ulm, Ludwig Heilmeyer, nicht nur Mitglied des für seine Brutalität berüchtigten Freikorps Epp in der Weimarer Republik war, sondern auch NS-Dozentenschaftsführer. Und er war mit dem deutschen Generalgouverneur im besetzten Polen, Hans Frank, dem „Judenschlächter von Krakau“, befreundet. Nach dem Krieg setzte sich Heilmeyer für einen inhaftierten KZArzt ein, der Menschenversuche unternommen hatte. Und schließlich eignete sich Heilmeyer schamlos geistiges Eigentum eines ermordeten jüdischen Arztes an.
Keine Distanzierung
Der anerkannte Hämatologe gründete gemeinsam mit Hans Filbinger die Universität Ulm. In der Stadt wird ihm bis heute ein ehrendes Andenken bewahrt. Dass Heilmeyer sich aber je von seiner braunen Vergangenheit distanzierte, ist nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass er auch noch 20 Jahre nach Kriegsende die NS-Gräuel verharmloste. Ein Beispiel: Die Ermordung Tausender jüdischer Ärzte bezeichnete er als „Abwanderung“.
In Ulm scheint das niemanden gekümmert zu haben. „Eine grobe Nachlässigkeit“, merkt Alt-Oberbürgermeister Ivo Gönner verärgert an. Nach Heilmeyer wird eine wichtige Straße benannt, sein Andenken wird in hohen Ehren gehalten. Ende 2012 wurde der Neubau der Synagoge gefeiert, doch die Auseinandersetzung mit Männern wie Heilmeyer verhindert.
Nach Jahren, in denen die NS-Vergangenheit Heilmeyers zwar Fachleuten bekannt war, aber weder öffentlich thematisiert noch erforscht und schon gar nicht für die Universitätsgeschichte aufgearbeitet wurde, werden Fragen gestellt. „Das Thema ist heikel und unangenehm. Wir halten aber nichts unter der Decke“, verspricht Uni-Präsident Michael Weber. Mit Florian Steger, Medizinhistoriker und Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Ulm, hat Weber seit Sommer 2016 einen ausgewiesenen Fachmann im Haus. Steger hat bereits Abgründe der DDR-Medizin ausgeleuchtet, nun wird er Heilmeyers Rolle gründlich erforschen: „Erst danach kommen wir zur Bewertung“, sagt Steger.
Erste öffentliche Hinweise auf Heilmeyers NS-Biografie kommen im Herbst 2016 aus Freiburg im Breisgau. Eine Kommission, die der Freiburger Gemeinderat eingesetzt hat, um Straßennamen zu überprüfen, empfiehlt, den Ludwig-Heilmeyer-Weg in der Breisgau-Metropole umzubenennen. Im Bericht der Kommission heißt es: „Heilmeyer war Mitglied des Freikorps Epp, das in der Weimarer Republik für sein rücksichtsloses Vorgehen bekannt war und mordete; diesem gehörten auch der spätere SA-Chef Ernst Röhm und der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß an.“Heilmeyer habe als Mitglied des Freikorps 1919 an der blutigen Niederschlagung der Münchner Räterepublik teilgenommen. In seinen Lebenserinnerungen habe er damit geprahlt, „dass München von den Roten ,gesäubert’ worden sei“. Später war er im antidemokratischen Frontsoldatenbund ,Stahlhelm’ aktiv, der in die SA überführt wurde.
An der Universität Jena, wo er von 1927 bis 1941 arbeitete und sich habilitierte, gründete Heilmeyer den Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund (NSD). Er wurde als Oberarzt vom NS-Landesminister Fritz Wächter mit dieser Aufgabe betraut, war erster dortiger Dozentenschaftsführer (1933-1934). An dieser Funktion erkennt der Ulmer Medizinhistoriker Florian Steger: „Heilmeyer ist eher ein klassischer Opportunist, es fehlt ihm immer wieder an Unrechtsbewusstsein.“Der junge Arzt versuchte alles, um weiterzukommen, auch wollte er in die NSDAP eintreten, um seiner Karriere neuen Schub zu geben.
Schulfreund Hans Frank
1941 wurde Heilmeyer zum Kriegsdienst einberufen. Als Luftwaffenarzt diente er zunächst im Luftwaffenlazarett Halle-Dönau, dann in Rowno (Ukraine) und 1944 in Krakau. Dort traf er auf einen alten Schulfreund: Hans Frank, Generalgouverneur im besetzten Polen. In Franks Herrschaftsbereich lagen fünf Vernichtungslager, in denen die fabrikmäßige Ermordung der europäischen Juden vollzogen wurde. Das größte, das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, lag nur eine Stunde Fahrtzeit von Krakau entfernt. Heilmeyer und Frank kannten sich aus dem Münchner Maximiliansgymnasium und aus Kampfzeiten im Freikorps Epp.
In seinen Lebenserinnerungen betonte Heilmeyer später sein freundschaftliches Verhältnis zu Frank. Der wurde im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wegen Gräueltaten zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet.
Heilmeyer half später bei der Rehabilitierung des Luftwaffenarztes Wilhelm Beiglböck. Dieser hatte im KZ Dachau Sinti und Roma Menschenversuchen mit Meerwasser unterzogen. Für im Meer treibende, abgeschossene deutsche Piloten sollten Überlebenstechniken erforscht werden.
1946/47 wurde Beiglböck in den Nürnberger Ärzteprozessen zu 15 Jahren Haft verurteilt und später begnadigt. In einem Gutachten, an dem Heilmeyer beteiligt war, hieß es, dass „in der Art der Auswahl und der Gewinnung von Versuchspersonen Fehler begangen worden seien und in der Wahl eines Konzentrationslagers als Versuchsort, dass diese Fehler aber keine Verbrechen gewesen seien“.
Heilmeyers Gutachten erkannte zwar an, dass die Probanden nicht freiwillig dort waren, verneinte aber die verbrecherische Natur der Experimente. Beiglböck wurde nach seiner Haftentlassung Oberarzt bei Heilmeyer in Freiburg, ging später nach Buxtehude bei Hamburg.
Heilmeyer würdigte den Ex-KZArzt auch später noch, 1964: „Beiglböck verdient als Arzt, Mensch und Forscher unsere volle Anerkennung und Verehrung.“Offen ist, warum sich Heilmeyer so sehr für Beiglböck einsetzte. In seinen Lebenserinnerungen vermerkte er, dass Beiglböck „durch ein besonderes Missgeschick schuldlos in längere amerikanische Haft“geraten war.
Professor Steger fragt: „Welchen Abstand hat Heilmeyer eigentlich in den fast 20 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnen? Ist er an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung orientiert? Distanziert er sich an irgendeiner Stelle von der NSHerrschaft? Hat er sich jemals für sein Verhalten entschuldigt?“
Ebenso fragwürdig ist Heilmeyers Verhältnis zu fremdem geistigen Eigentum. Von 1959 bis 1969 gab er zusammen mit Viktor Schilling das „Handbuch für Hämatologie“neu heraus. Damit nahm Heilmeyer die Stelle des Erstherausgebers ein, des jüdischen Arztes Hans Hirschfeld: Hirschfeld hatte das vierbändige Werk ab 1932 zusammen mit dem Arzt Anton Hittmair herausgegeben. Dass Hirschfeld ab 1933 seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte, 1938 seine Zulassung verlor, 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und dort 1944 ermordet wurde, fand in der von Heilmeyer verantworteten Neuauflage des „Handbuchs für Hämatologie“keine Erwähnung.
Heilmeyer und Hittmair wiesen weder im Vorwort noch an einer anderen Stelle auf Hirschfelds Leistungen hin, verschwiegen auch seinen Namen. Professor Steger bewertet: „Heilmeyer hat sich das Handbuch angeeignet, er ist verführbar, was fremdes geistiges Eigentum angeht, auch hier fehlt es ihm an Unrechtsbewusstsein.“
Besonders dreist: Heilmeyers Frau Inge datierte Hirschfelds Tod auf das Jahr 1929 vor, schreibt ein früherer Mitarbeiter der Charité. So soll jeder Hinweis auf den Mord an dem Arzt verschwiegen werden.
Dass Heilmeyer sich aber je von seiner braunen Vergangenheit distanzierte, ist nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass er auch noch 20 Jahre nach Kriegsende die NS-Gräuel verharmloste.