Steinreiches Puzzle-Paradies
Ravenna gilt als Metropole der Mosaike – Mit einer deutschen Restauratorin und Künstlerin durch die schmucke Adria-Stadt
Diese italienische Schönheit verdreht jedem Gast den Kopf! Nicht weil Ravenna eine Liebe auf den ersten Blick wäre, dafür flirrt zu wenig Dolce-Vita-Flair durchs akkurate, beige bis rostrot aufgehübschte Altstadtgassen-Trapez, wo manch schöne Piazza unschön zugeparkt ist. Nein, fürs Kopfverdrehen sorgen Ravennas Kirchenund Gewölbedecken, Rundbögen und Arkaden, auf die alle Besucherblicke gerichtet sind, steil nach oben, um unter erheblicher Nackensteife-Gefahr die monumentalen Mosaike abzuscannen.
Bibelszenen und „Familienfotos“byzantinischer Kaiserhöfe zumeist, als Pixel-Puzzle aus Millionen fingernagelkleiner Steine gefertigt – am prächtigsten in der Basilika San Vitale und im angrenzenden Mausoleum Galla Placidia. Beide aus dem 5. und 6. Jahrhundert, als Ravenna Hauptstadt des Römischen Reiches war. Von Bilderstürmern späterer Jahrhunderte und Weltkriegsbomben wurden diese einzigartigen UnescoWeltkulturerbe-Schätze verschont, weil die heute rund 154 000 Einwohner zählende Stadt meist abseits großer Kriegsschauplätze lag.
Daher sind Ravennas Mosaike so vollständig und vielfältig erhalten wie sonst wohl nirgendwo und begegnen einem sogar zwischen aktueller Sommermode in der „Max Mara“-Boutique. Jedenfalls, wenn man mit der hier lebenden deutschen Künstlerin und Mosaik-Restauratorin Almuth Schöps nach SteinchenBildern fahndet: „Diese mosaikverzierte Ausbuchtung in der Boutique war früher die Apsis einer Kirche aus dem 6. Jahrhundert“, erklärt sie. Später entweiht, wurde das Gotteshaus zur Fischhalle. Wesentliche Teile des Mosaiks sind im Auftrag des deutschen Kaisers gekauft worden und bis heute im Berliner Bode-Museum zu sehen.
Wertvolle Steinchen
Die gebürtige Hamburgerin Schöps kennt die Geschichte genau, hat ein Buch darüber geschrieben. Und auch andere Mosaike, wie die entrückten Pausbacken-Engel in der Basilika San Vitale holt sie ganz nah ran – mit ihren kundig-unterhaltsamen Erzählungen: „Da oben, bei den Füßen des Engels, begann mein erster Arbeitstag als Restauratorin – ich war irrsinnig aufgeregt!“Kein Wunder, durfte sie doch eines der wertvollsten Mosaike weltweit ausbessern und konservieren – fünf Jahre lang dauerte das, hoch oben auf einem wackeligen Gerüst, stets hin- und hergerissen zwischen großer Arbeitsfreude und ebenso großer Angst, dass einzelne Steine auf Nimmerwiedersehen ins Gerüst oder schlimmer noch in die Kirche purzeln.
Im Nu beamt Almuth Schöps ihre Gäste aus dem 6. Jahrhundert ins Hier und Jetzt – geradewegs ins Atelier ihres Mosaik-Künstler-Kollegen Luca Barberini. An den Wänden originelle Bilder, alle mit Fingerspitzen komponiert aus bunten Steinchen: Luca, der Pop-Artist unter Ravennas Mosaizisten gewährt gemeinsam mit Partnerin Ariana Gallo Einblicke in seine Werkstatt „Koko“, bietet pfiffige Unikate und Tages-Schnupperkurse für Hobbykünstler.
Hier kopiert man als QuasiKunstfälscher ein einfaches, antikes Blumen-Vorbild, zerhackt dafür mit dem „Martellina“(Hammer) auf dem „Ceppo“(Holzbock) Stein- oder Glasstreifen in Mosaikstücke und drückt sie in elastische Kalkmasse. Wer gleich eine Woche SteinchenPuzzle legen und Grundlagen der Mosaik-Bildgestaltung lernen will, ist bei Luciana Notturni richtig, eine Straße weiter: Nach einer Art „Malen-nach-Zahlen-Phase“(Durchpausen der antiken Vorlage mit Bleistift auf Butterbrotpapier und Übertragen der Linien auf die Knetmasse) unterhalten sich die kreativ arbeitenden Teilnehmer bald in Geheimsprache, wenn’s an die Mosaiksteinchen geht: Ob noch C24 oder S6 da ist, möchte Dario wissen. Das heißt, er sucht welche in Creme-Weiß und Aubergine.
Mit oder ohne Pixel-Puzzle-Kurs – Ravenna-Besucher bekommen nach einigen Tagen unweigerlich den „versteinerten“Blick, sehen plötzlich überall Mosaike: Sie sind eingearbeitet in bunten Straßenschildern, an Blumenkübeln in der Fußgängerzone, ins Banken-Logo. Die simpelsten Motive aber kleben an 40 Hausfassaden: Figuren des Computerspiels Space Invaders aus Küchenfliesen – umstrittene Street Art des Pariser Künstlers „Invader“, zu sehen etwa am Haus Via di Roma 59 und Via Boccaccio 2. Mit diesem modernen, öffentlichen Mosaikmix gewinnt Ravennas Stadtbild eine ganz eigene Note und bietet beim Stadtbummel pfiffige „Ich-sehe-waswas-Du-nicht-siehst“-Momente.
Das ganze Abenteuer der Mosaike – Tutta l’Avventura del Mosaico, kurz Tamo – verspricht das gleichnamige Museum und lohnt den Besuch wirklich. Erstens, weil hier mal keine Nackenstarre droht – dank permanentem Blick nach unten auf riesige, fast 2000 Jahre alte Bodenmosaike aus römischen Villen. Und zweitens weil sehr plastisch erklärt wird, auf welchen ausgeklügelten, mehrschichtigen Fundamenten diese XXL-Fußbodenbilder ruhen.
Zeitreise durch Mosaik-Epochen
Almuth Schöps möchte zum Schluss gerne noch Ravennas zweites Museum mit großer Mosaik-Ausstellung zeigen, das Museo d’Arte della città di Ravenna (Mar). Entlang seiner Ausstellungsstücke bietet es eine Zeitreise durch verschiedene Mosaik-Epochen der Stadt, endend in der Gegenwart bei Einhörnern, MosaikComics und Steinchen-Wimmelbildern.