„Vieles bleibt mysteriös“
OBERWEISSBACH (dpa) - Als Michèle Kiesewetter vor zehn Jahren brutal aus dem Leben gerissen wurde, war die Anteilnahme in ihrer Thüringer Heimat riesig. Etwa 1300 Menschen nahmen bei der Beerdigung in Oberweißbach Abschied. Doch die Hintergründe der Bluttat bleiben für die Menschen im Dunkeln. „Die Frage, warum Michèle sterben musste, ist bis heute unbeantwortet“, sagte der Bürgermeister von Oberweißbach, Bernhard Schmidt (SPD), im Interview der Deutschen PresseAgentur. In der 1700 EinwohnerStadt ist Kiesewetter begraben.
Michèle Kiesewetter ist in Oberweißbach aufgewachsen – wie ist sie Ihnen in Erinnerung geblieben?
Ich kannte sie schon als Kind. Sie war sehr engagiert, hat bei Festen mitgeholfen und war später im Kirmesverein aktiv. Sie war im Verein und bei ihren Mitschülern sehr beliebt. Mit 16 ist sie dann fortgegangen und Polizistin geworden. Ihr Tod vor zehn Jahren hat die Menschen in ihrer Heimat tief erschüttert. Das hat sich an der großen Anteilnahme bei der Trauerfeier gezeigt.
Damals kamen weit mehr als tausend Menschen, doch die Hintergründe ihres Todes lagen völlig im Dunkeln. Heute wird der Mord dem NSU angelastet. Haben der NSU-Prozess und die Untersuchungsausschüsse verschiedener Parlamente den Oberweißbachern Klarheit gebracht?
Die Ungewissheit ist nach wie vor groß. Die Frage, warum Michèle sterben musste, ist bis heute unbeantwortet. Wer weiß, was sie gesehen hat, dass sie sterben musste. Und wer weiß, ob es noch ganz andere Hintermänner gab. Ich bezweifle, dass wir das jemals erfahren werden. Letztlich muss man sagen: Da haben uns der jahrelange Prozess und die Arbeit der Ausschüsse keinen Schritt vorwärts gebracht. Denn vieles bleibt mysteriös. Denken Sie an die Zeugen, die plötzlich verstorben sind – und welche Rolle der Verfassungsschutz bei dem Ganzen spielt. Der rätselhafte Mord beschäftigt die Menschen hier im Ort noch immer sehr. Und besonders betroffen hat uns gemacht, dass Michèle zeitweise selbst in die rechte Ecke gestellt wurde.
Sie spielen auf Äußerungen des damaligen BKA-Präsidenten Jörg Ziercke an, der den Mord als Beziehungstat dargestellt hatte?
Ja. Damals wurden Lügen in die Welt gesetzt, die in keiner Weise den Tatsachen entsprachen. Und unser Ort, die ganze Region wurde fälschlicherweise besudelt. Das Schlimmste aber war, dass man Michèle selbst mit der rechten Szene in Verbindung gebracht hat. Mir erschließt sich bis heute nicht, was dafür die Beweggründe waren.
Der Tag, an dem die junge Polizistin brutal aus dem Leben gerissen wurde, jährt sich nun zum 10. Mal. Wie wird ihr Andenken in ihrem Heimatort am Leben gehalten?
Es gibt ja eine offizielle Gedenkfeier in Heilbronn, dazu haben wir aber keine Einladung bekommen. Michèle ist hier auf dem Friedhof in Oberweißbach begraben. Wir werden dort von der Stadt am 25. April ein Blumengebinde niederlegen.