Ein Villa-Wahnfried-Traum
Umjubelter Festspielauftakt in Bayreuth: Barrie Kosky inszeniert Wagners „Die Meistersinger“
BAYREUTH - Das gibt’s nicht oft, dass das Festspielhaus schon nach dem ersten Aufzug vor Beifall bebt. Doch Regisseur Barrie Kosky gelingt es mit dem ersten Bild, das Publikum für sich einzunehmen. Wir sind bei den Wagners daheim, im Salon der Villa Wahnfried spielen Hausherr und Gäste „Die Meistersinger“nach. Das Ganze ein Wahnfried-Traum. Auch am Ende herrscht wieder grenzenloser Jubel. Gefeiert werden Michael Volle als Sachs, Daniel Behle als David, Klaus Florian Vogt als Stolzing und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Riesiger Beifall für Philippe Jordan am Pult und die Inszenierung von Barrie Kosky.
Barrie Kosky (50) leitet die Komische Oper Berlin. Er ist ein australischer Regisseur, und er ist Jude. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“hat er erzählt, dass er Wagners Musik schon als Kind durch die ungarisch-stämmige Großmutter kennen- und lieben gelernt habe. Als er anfing, sich mit den historischen Hintergründen zu befassen, begannen die Schwierigkeiten. Auch mit dem Ort Bayreuth. Lange habe er mit sich gerungen, ob er gerade „Die Meistersinger“hier inszenieren wolle.
Denn dieses Werk, von Hitler persönlich zum „Festspiel der Reichsparteitage für alle Zeiten“erkoren, ist kontaminiert wie kein zweites Werk Wagners. 1888 zum ersten Mal in Bayreuth aufgeführt, zieht sich eine dunkle Spur des Nationalismus durch die Rezeptionsgeschichte. 1924, nach dem Ersten Weltkrieg, erhob sich das Publikum beim Schlusschor und stimmte seinerseits das Deutschlandlied an. Auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers fanden auch noch 1943 und 1944 Festspiele statt. Einziger Programmpunkt dieser sogenannten Kriegsfestspiele: „Die Meistersinger“.
Doch Kosky hat seinen Weg gefunden zu diesem Werk und zu Bayreuth. In dem Interview sagt er: „Auschwitz ist Horror. Bayreuth ist Comedy, aber eine tiefschwarze Komödie.“Und „Die Meistersinger“? Angeblich eine musikalische Komödie. Aber worüber wird da gelacht? Über Sixtus Beckmesser, für Kosky und seinen Dramaturgen Ulrich Lenz die üble Karikatur des Juden. In der Figur des Sixtus Beckmesser sei der ganze Wagnersche Antisemitismus gebündelt, schreiben sie im Programmheft: „Seine Seele und sein Charakter sind mariniert in jedem nur denkbaren antisemitischen Vorurteil, das aus den im mittelalterlichen Europa kursierenden Blutanklagen gegen die Juden hervorgegangen ist: Er ist ein Dieb, er ist gierig, er ist unfähig zu lieben, unfähig wahre Kunst zu verstehen, er raubt deutsche Frauen, er stiehlt deutsche Kultur, er stiehlt deutsche Musik.“Auf der Bühne wird man später einen riesigen Luftballon mit der Karikatur eines Juden sehen, unter der sich Beckmesser verbirgt.
Der doppelte Wagner
Richard Wagner war dafür bekannt, der Familie und Gästen stundenlang seine Werke vorzuführen und vorzuspielen. Daraus entwickelt Kosky seine Grundidee, die aber die Inszenierung reichlich kompliziert macht: „Die Meistersinger“als Spiel im Hause Wahnfried. Richard Wagner gibt es gleich zweimal. Michael Volle tritt als Wagner auf und wird zu Hans Sachs. Und auch Klaus Florian Vogt kommt als Wagner auf die Bühne, wird dann aber zu Walther von Stolzing. Wagners Frau Cosima steht für Eva Pogner (Anne Schwanewilms). Jeder der tragenden Rollen der „Meistersinger“wird eine Person aus dem Umfeld des Komponisten zugeordnet. So sieht Veit Pogner (Günther Groissböck) aus wie Franz Liszt. Und in Sixtus Beckmesser (Johannes Martin Kränzle) sollen wir Hermann Levi erkennen, den jüdischen Dirigenten des „Parsifal“, der bittere Demütigungen im Hause Wahnfried erfahren hat.
Schon zum Orchestervorspiel werden die Türen zum Salon aufgestoßen. Auftritt Richard Wagner mit Molly und Marke, zwei prächtigen Neufundländern, die sich völlig unbeeindruckt zeigen von dem Klangzauber, den drunten im Graben das Festspielorchester unter Philippe Jordan entfacht. Wenn der Chor den Choral „Da zu dir der Heiland kam“anstimmt, fallen alle, bis auf Levi, auf die Knie. Unsanft wird er von Wagner heruntergedrückt.
Das geschichtsträchtige Nürnberg
Das Nürnberg der „Meistersinger“ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Die Inszenierung macht sich darüber lustig: Volk und Meistersinger, allesamt in erlesene mittelalterliche Kostüme gekleidet (Klaus Bruns), müssen sich gestisch derart grotesk bewegen, dass klar ist: Das sind Lebkuchen-fressende Deppen. Auch Eva Pogner hat keine Chance, sie ist eine dumme Gans.
Nürnberg ist der Ort, an dem die Nationalsozialisten die Rassegesetze erließen und die Alliierten über die NS-Führungsriege Gericht hielten. Dies nimmt die Inszenierung auf. Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hat für den zweiten und dritten Akt den Saal des Nürnberger Prozesses nachgebaut. Hier befindet sich die Schusterwerkstatt des Hans Sachs. Hier wird Beckmesser verprügelt und verlacht. Die Szene wird zum Tribunal. Dieser Sängerwettstreit ist nicht komisch. Wir werden Zeugen einer brutalen Ausgrenzung.
Und der schreckliche Schluss der Oper, wenn Hans Sachs und der Chor das Hohelied auf „die heil’ge deutsche Kunst“anstimmen? An dieser Stelle verheben sich die Inszenierungen. Katharina Wagner stellte bei ihrer „Meistersinger“-Deutung 2009 einen Gartenzwerg mit Hitler-Gruß auf, der mit einem Fußtritt von der Rampe flog. Bei Kosky steht nun Michael Volle allein auf der Bühne. Er hat sich von Hans Sachs wieder in Richard Wagner zurückverwandelt. Vom Katheder herab stimmt er sein Credo an: „Ehrt Eure deutschen Meister! Dann bannt ihr gute Geister.“Er wendet sich um und wird zum Dirigenten eines Symphonieorchesters, das auf einem Podest auf die Vorderbühne fährt. Ein Schlussbild, das rätselhaft bleibt.