Das Märchen von der traurigen Prinzessin
Die Prinzen William und Harry tragen das Vermächtnis ihrer vor 20 Jahren verunglückten Mutter Diana weiter
LONDON - Er wirkt gelassen und entspannt, spricht mit ruhiger Stimme. Die obersten beiden Knöpfe seines blauen Hemdes stehen offen, als wolle Prinz Harry verdeutlichen, er spreche hier ganz ungeschützt in die BBC-Kamera. Die Botschaft aber klingt hart und unversöhnlich. Auch 20 Jahre danach habe er Schwierigkeiten, sagt der 32-Jährige, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Paparazzi im Alma-Tunnel von Paris Fotos machten, anstatt seiner sterbenden Mutter zu helfen. „Das waren die gleichen Leute, die den Unfall verursacht hatten.“
In derselben Dokumentation, die der öffentlich-rechtliche Sender an diesem Sonntag ausstrahlt, nimmt auch Harrys Bruder William, 35, Stellung zu dem Autounfall, bei dem 1997 Prinzessin Diana, ihr damaliger Begleiter Dodi Fayed und dessen Fahrer Henri Paul ums Leben kamen. „Wir konnten sie damals nicht beschützen“, sagt der Zweite der britischen Thronfolge. „Jetzt ist es unsere Pflicht, für sie einzustehen und jedermann an sie zu erinnern.“
In den Wochen vor dem 20. Jahrestag der schrecklichen Ereignisse von Paris hatten die britischen Medien kaum einen Tag ohne eine Story über die schöne, tragische Lady Di vergehen lassen. Ein Aufguss längst bekannter Bilder und Beschreibungen, Verehrungshymnen und Verschwörungstheorien. Umso genauer wurde jede neue Stellungnahme von Dianas Söhnen begutachtet und analysiert. Denn kein Zweifel: Die Prinzessin und die Prinzen, in denen sie weiterlebt, beschäftigen bis heute rund um den Globus noch immer viele Menschen in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen.
Die meisten können sich noch erinnern an die Ereignisse vom 31. August 1997 und den Tagen danach. Die weltweite Bestürzung, die Pilgerfahrt von Millionen Briten zur Trauerfeier, die Milliarden Zuschauer an den Fernsehschirmen – bis heute einzigartige Geschehnisse. „Geburt einer Göttin“, lautete die Überschrift einer deutschen Wochenzeitung, und tatsächlich entstand um die Tote so etwas wie ein religiöser Kult.
Die uneingeschränkte Anbetung ist längst einer realistischeren Bewertung gewichen. Diana war nicht einmal eine Halbgöttin, sondern ein widersprüchlicher, häufig einsamer, starken emotionalen Schwankungen unterworfener Mensch mit vielen Schwächen und einer großen Stärke: ihre Mitmenschen, besonders die Schwachen, Unterdrückten und Kranken, zu ermutigen und für sich einzunehmen. Die Medien machten sie zur globalen Berühmtheit, und Diana spielte mit: eine moderne, emanzipierte Frau im Vollbesitz des gängigen Psychojargons, verfolgt von Paparazzi und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Medien genießend, eine Projektionsfläche für private und politische Ängste, Sehnsüchte und Ideen.
Der Tod der Prinzessin war auf schmerzhafte Weise banal: unangeschnallt im Auto mit einem betrunkenen Raser am Steuer. Umso mehr wurden damals Schuldige gesucht. Erst mussten die Paparazzi herhalten und die Zeitungen, die ihre Bilder gedruckt hatten; dann richtete sich der Zorn der trauernden Masse gegen das Königshaus.
Die öffentlich-rechtliche BBC hat neben der Dokumentation zum Jahrestag auch eine dramatische Aufarbeitung jener Tage in Auftrag gegeben. Der 90-minütige Film „Diana und ich“beschreibt fiktiv die Auswirkungen des Unfalltodes auf vier ganz normale Briten. Damals seien „viele von uns in emotionale Zonen katapultiert worden, die wir selten besuchen“, glaubt Drehbuchautor Jeremy Brock. Den Trauerzug vom St.James’s-Palast zur Westminster Abbey säumten biedere Vorstadtfamilien Seite an Seite mit Schwulen aus der Londoner Lederszene.
Ein traumatischer Marsch
An der Seite seines Vaters und Großvaters, begleitet von Onkel Charles Spencer und seinem Bruder, angestarrt von Hunderttausenden mitleidiger, teils schweigender, teils schluchzender Menschen, ging damals auch der 13-jährige Harry hinter dem Sarg her, auf dem ein einziges Blumenbukett mit dem Wort „Mummy“lag. Die Szenen des langen Fußmarsches hat sich der Prinz in diesem Frühjahr im Gespräch mit dem Magazin „Newsweek“ins Gedächtnis gerufen. „Ich musste einen langen Weg hinter ihrem Sarg herlaufen, während mir Millionen dabei zusahen. Kein Kind sollte jemals so etwas tun müssen. Heutzutage würde es wohl nicht passieren.“
Dass dies eine massive Kritik an seinem Vater darstellte, wurde dem früheren Soldaten, der neuerdings schwerpunktmäßig für den offenen Umgang mit psychischen Störungen wirbt, wohl erst später bewusst. In der BBC-Doku jedenfalls rudert Harry zurück: Er habe keine Meinung dazu, „ob das richtig oder falsch war“. Hat also die Institution den Prinzen in die Pflicht genommen, ganz wie es seine rebellische Mutter befürchtet hatte? Sein Bruder William räumt immerhin ein, der Gang hinter dem Sarg gehöre „zu den schwersten Situationen, die ich jemals zu bestehen hatte“.
Die mehrfachen Wortmeldungen der Prinzen geschahen gewiss nicht zufällig, weisen die Handschrift erfahrener PR-Berater des Königshauses auf. Natürlich kam eine Wiederbelebung des Hypes um die „Königin der Herzen“(Selbstbeschreibung) den Windsors ungelegen. Anders als in jenen heißen Septembertagen 1997, als die Institution einen kurzen Moment lang auf der Kippe zu stehen schien, gab es diesmal eine Entschlossenheit, das Gedenken mit eigenen Beiträgen zu steuern.
Das begann im Februar mit der Eröffnung einer neuen Dauerausstellung jener Kleider, mit denen Diana ihre Zeitgenossen bezauberte. Die Show gehört zu den Hauptattraktionen des Kensington-Palastes, wo die „Prinzessin des Volkes“(Ex-Premier Blair) einst wohnte und heute sowohl William mit seiner Familie wie auch Harry leben. Seit Juli dürfen Schaulustige im Buckingham-Palast die repräsentativen Säle besichtigen, darunter auch das Musikzimmer mit Blick auf den prächtigen Park. Es ist diesmal Diana gewidmet, stellt also den Beweis dar, dass man selbst in der Zentrale jener „Firma“, gegen deren altmodische Sitten und Gebräuche die junge Prinzessin einst aufbegehrte, die Rebellin mittlerweile für harmlos hält. Oder jedenfalls für reif, sie posthum ins Narrativ der Monarchie aufzunehmen. Es gibt also den abgewetzten Schreibtisch zu bestaunen, an dem die Prinzessin ihre handgeschriebenen Dankesbriefe zu verfassen pflegte. Daneben liegt ein Koffer mit Musikkassetten, die Dianas Lieblingsmusik repräsentieren: Diana Ross, Lionel Richie, berühmte Verdi-Arien.
Musikkassetten? Die veraltete Technik verdeutlicht schlagartig, dass Diana ein Phänomen des ausgehenden 20. Jahrhunderts darstellt. Umso wichtiger für ihr Andenken ist die Präsenz der jungen Männer, in deren Gesichtszügen und charmantem Wesen sich die Mutter spiegelt. Offenbar bewusst setzt die jüngere Generation einen deutlich anderen Akzent als die durch stoische Pflichterfüllung bekannte Monarchin Elizabeth, 91, und der häufig ein wenig wehleidig wirkende Thronfolger Charles, 68. Scheinbar locker, emotional, verletzlich wollen sie die Wandlung des Landes repräsentieren, von der sprichwörtlichen „steifen Oberlippe“der Weltkriegsgeneration zur freimütigen Selbstbespiegelung der Millenials.
Offenherzige Bekenntnisse
Immer wieder gaben die erkennbar im Psychosprech geschulten Prinzen Einblick in die Seelenlage von Menschen, die in viel zu jungen Jahren den Verlust eines geliebten Elternteiles verkraften mussten. Seine karitativen Anstrengungen für psychisch Kranke, teilte Harry dem „Daily Telegraph“mit, gehe auf die verdrängte Trauer um seine Mutter zurück. „Ich war mehrmals nahe am totalen Zusammenbruch.” Intensive Gespräche mit Psychologen hätten ihn gerettet, sagt der Prinz, der andere Betroffene zu größerer Offenheit ermutigen will: „Noch nie hat jemand psychische Störungen überwunden, ohne darüber zu reden.“
Dem Fernsehsender ITV teilte Harry mit, Diana sei „die beste Mutter der Welt“gewesen. Sein älterer Bruder berichtete, er habe während seiner Hochzeit mit Kate Middleton 2011 die Präsenz der Toten gespürt und als wohltuend empfunden. „Wir fühlen uns immer noch geliebt, Harry und ich“, sagte William. Solcherlei Geständnisse scheinen den Briten zu gefallen. Schon kursieren wieder einmal Umfragen, die das Überspringen einer Generation postulieren: Von Elizabeth solle die Krone unter Auslassung von Charles gleich auf William übergehen. „King Wills“, titelte das Revolverblatt „Sun“kürzlich. Pikanterweise hatte die geschickte Medienmanipulatorin Diana genau diesen Gedanken schon 1995 geäußert, um ihrem ungeliebten Gatten zu schaden.
Freilich ignoriert die Idee nicht nur das Grundprinzip der Erbmonarchie, es geht auch über die Bedürfnisse des jungen Familienvaters hinweg. Der erhebt auf Charles’ Dasein als Thronfolger keinerlei Anspruch, im Gegenteil. Mag seine Mutter auch posthum noch der britischen Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken – bei diesem Menschen, dem eigenen Sohn, endet ihr Einfluss.