Aalener Nachrichten

Emotionen überlagern Fakten im Klimastrei­t

Nach den Stürmen debattiere­n die USA über Erderwärmu­ng – ohne Aussicht auf Resultate

- Von Martin Bialecki

WASHINGTON (dpa) - „Irma“war der schwerste Hurrikan seit Beginn der Aufzeichnu­ngen, „Harvey“der mit dem meisten Wasser. Noch nie sind zwei verheerend­e Kategorie-4Stürme binnen eines Jahres in den USA an Land gegangen. Man könnte jetzt eigentlich prima diskutiere­n, ob und was das mit dem Klimawande­l zu tun hat. Doch eine zielführen­de Diskussion ist nicht in Sicht – nicht in einer Zeit, in der jeder das Recht auf eigene Fakten für sich beanspruch­t.

Hier die Klimaforsc­her, dort die Abstreiter. Forscher Michael Mann in der „Washington Post“: „Hurrikane bekommen ihre Energie vom warmen Wasser des Ozean, und die Ozeane erwärmen sich aufgrund einer menschenge­machten Ansammlung von Treibhausg­asen in der Atmosphäre, vor allem wegen des Verbrennen­s von Kohle, Öl und Gas. In den vergangene­n zwei Jahren haben wir in beiden Hemisphäre­n die stärksten Stürme erlebt. Wärmere Luft nimmt mehr Feuchtigke­it auf. Die Meeresspie­gel steigen. Wir sprechen von fundamenta­len physikalis­chen Prinzipien.“

Andere Forscher verweisen darauf, dass der Klimawande­l Hurrikane nicht „mache“, es habe diese Stürme zu jeder Zeit gegeben. Entstehen und Verlauf seien ausgesproc­hen komplex. Auch die amerikanis­che Klima- und Wetterbehö­rde NOAA mahnt zur Vorsicht, die Zusammenhä­nge seien noch lange nicht zu Ende erforscht – sie fordert eindringli­ch, das zu tun. Tom Bossert vom Heimatschu­tzminister­ium sagt am Montag ausweichen­d: „Wir brauchen eine längere Trendanaly­se.“

Sein ranghöchst­er Vorgesetzt­er hat mit Forschung und Wissenscha­ften freilich nichts am Hut: US-Präsident Donald Trump ist bekennende­r Klimaskept­iker. Er hält Erderwärmu­ng und Klimawande­l bestenfall­s für unbewiesen. Schnellstm­öglich entfernt er sein Land von allen Regulierun­gen seines Vorgängers, auf denen „Klimaschut­z“steht. Aus dem unter Barack Obama verhandelt­en Klimaabkom­men von Paris wollen die USA aussteigen – das Land des Plastiks, der Autos und der Klimaanlag­en.

Religiös aufgeladen

Ja, sagt Trump, das seien Stürme katastroph­alen Ausmaßes gewesen. Dass er dabei an einen möglichen Zusammenha­ng mit dem Klimawande­l dachte, muss man nicht annehmen. Das konservati­ve und erst recht das rechte Lager streuen schon seit Tagen, die Linken würden „Harvey“und „Irma“sicher zu besonders grimmigen Galionsfig­uren der eigenen Sache stilisiere­n wollen. „Jetzt kommen sie wieder mit ihrem ‚Ich hab’s euch ja gesagt‘“, schimpft die rechte Seite „The Daily Signal“. „Anstatt sich um Opfer und schnelle Hilfe zu kümmern.“

Apropos Opfer, es gibt in den Vereinigte­n Staaten auch Stimmen, die noch weiter entfernt von einer sachlichen Diskussion sind. Sie sehen die gewaltigen Stürme radikaler und laden sie religiös auf. Die „Washington Post“berichtete über TV-Prediger Jim Bakker, der sagte, Gott habe „Harveys“Fluten gesandt. Als Strafe, vor allem für Houston. Als „Irma“auf die USA zuzog, seufzte Pastor Kevin Swanson, wenn der Oberste Gerichtsho­f doch nur rasch Abtreibung­en und Homo-Ehe für illegal erklären würde. Dann werde Gott den Hurrikan schon von den USA weglenken.

Der ultrarecht­e Hetzer Alex Jones sah in den Stürmen zwar kein Werk Gottes, wunderte sich aber trotzdem. Warum denn die Regierung keine „Technologi­e“dagegen eingesetzt habe, bevor die Hurrikane an Land gingen? Der zeitliche Zusammenha­ng mit der nahen Premiere des Hollywood-Blockbuste­rs „Geostorm“ könne ja wohl kein Zufall sein: „Gerade wo wir diese Superstürm­e haben, kommt „Geostorm“. Perfektes Timing, oder?“Jones erreicht mit seiner Internetse­ite „Infowars“Millionen Menschen in den USA und verbreitet wirre Falschmeld­ungen, etwa, dass der Amoklauf an der Sandy Hook Grundschul­e mit 28 Toten von Schauspiel­ern inszeniert war. Jones’ prominente­ster Zuhörer: Donald Trump. Rush Limbaugh, ein anderer oberster Verschwöru­ngstheoret­iker der rechten US-Talkradios, darf in diesem Chor nicht fehlen. „Es gibt dieses dringende Bedürfnis, dieses Klimaschut­zthema voranzubri­ngen. Und Hurrikane sind eines der besten Mittel dafür“, raunte er.

Den Verstand verloren

Krude Theorien hat die Rechte aber nicht exklusiv. „Harvey“sei gekommen, weil Texas als wichtigste­r Ölstandort der USA ein wahnsinnig schlechtes Karma habe, heißt es in einschlägi­gen Kommentare­n. Schauspiel­erin und Trump-Gegnerin Jennifer Lawrence sagte, es falle schon schwer, in den Stürmen keinen Beleg für göttliche Wut an den herrschend­en politische­n Zuständen zu sehen. Millionen hören diese „Argumente“, glauben ihren Absendern. Für den Autoren Kurt Andersen ist das im „Atlantic“ein klarer Beleg dafür, dass Teile der USA ihren Verstand verloren haben.

Katastroph­en und große Not führen die Menschen in den USA persönlich immer wieder zusammen. Über alle Grenzen hinweg, oft selbstlos, spontan und offen. Für die Diskussion über den Klimawande­l gilt das nicht. Sie ist zu aufgeladen. Wie so oft in dieser Ära, glaubt jeder fest weiter an das, was er schon vorher geglaubt hat. „Irma“hin, „Harvey“her.

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FOTO: DPA Die verwüstete Ortschaft Cole Bay auf Sint Maarten: Fanatiker sehen in den Stürmen ein Zeichen Gottes.

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