EU plant radikale Mehrwertsteuerreform
Abgabe soll auch bei Verkäufen über Landesgrenzen hinweg fällig werden
STRASSBURG (dpa) - Europas Mehrwertsteuerregelungen stammen großteils noch aus einer Zeit, in der kaum Online-Geschäfte getätigt wurden und Grenzkontrollen in der Europäischen Union weit verbreitet waren. Die Kommission in Brüssel will das System nun von Grund auf reformieren. Die wichtigsten Fragen im Überblick:
Was genau schlägt die EU-Kommission in ihrem Konzept vor?
Im Prinzip will die Brüsseler Behörde, dass Geschäfte zwischen Unternehmen über EU-Grenzen hinweg steuerlich genauso behandelt werden wie Käufe und Verkäufe innerhalb eines Landes. Die Mehrwertsteuerbefreiung für grenzüberschreitende Verkäufe soll fallen. Stattdessen sollen bereits die Behörden im Ursprungsland einer Transaktion Mehrwertsteuern erheben. Um ein Wettrennen um die niedrigsten Steuersätze und ein Hin- und Herverschieben von Firmensitzen zu vermeiden, soll dabei der Steuersatz des Ziellandes erhoben werden. Die Steuerbehörden leiten die Einnahmen dann letztlich an das Land weiter, in dem die Waren genutzt oder verbraucht werden. Für Firmen soll zudem etwa über ein einheitliches Online-Portal der Verwaltungsaufwand gesenkt werden.
Warum tut die EU das?
Ihren Angaben nach beträgt die Mehrwertsteuerlücke in der EU – also die Differenz zwischen erwarteten und tatsächlich erzielten Einnahmen – mehr als 150 Milliarden Euro pro Jahr. Allein durch grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug entgehen den öffentlichen Haushalten jährlich geschätzt 50 Milliarden Euro. Nach Angaben der EU-Kommission begehen vor allem organisierte Kriminellennetzwerke Mehrwertsteuerbetrug. Die Gewinne werden unter anderem dafür genutzt, andere kriminelle Aktivitäten vom Drogenhandel über Menschenschmuggel bis zum Terrorismus zu finanzieren.
Welche Waren sind vor allem vom Mehrwertsteuerbetrug betroffen?
Grundsätzlich kommen praktisch sämtliche Güter in Frage. Besonders lukrativ sind aber Waren, die wenig Platz erfordern und zu vergleichsweise hohen Preisen verkauft werden können – etwa Computerchips.
Was verspricht sich die Brüsseler Behörde von dem neuen System?
Ihrer Einschätzung nach könnte mit der neuen Erhebungsmethode der grenzüberschreitende Mehrwertsteuerbetrug um 80 Prozent reduziert werden. Außerdem würde die Steuer-Landschaft in Europa übersichtlicher. In der EU fällt es in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, einzelne Steuersätze zu erheben – verschiedene Länder haben daher oft auch verschiedene Mehrwertsteuersätze. Brüssel kann allerdings die Rahmenbedingungen beeinflussen.
Wie sehen Verbände und Parlamentarier die Sache?
Der Europäische Unternehmerverband Business Europe zeigte sich angetan. Durch ein einfacheres Steuersystem könnten der Handel in der EU und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden.
Wie stehen die Chancen, dass die Vorschläge Realität werden?
Die Steuerpolitik in Europa ist grundsätzlich schwieriges Terrain, da die Staaten Beschlüsse einstimmig fassen müssen. In der Vergangenheit haben Länder, die sich mit ihren Steuermodellen Standortvorteile erarbeiten wollten – wie etwa Irland, Luxemburg, die Niederlande oder Malta – teilweise Entscheidungen erschwert. Seit den Enthüllungen in den sogenannten Panama Papers, in denen unzählige anonyme Briefkastenfirmen in Panama enttarnt worden waren, hat der Kampf gegen Steuervermeidung allerdings auch in der EU erheblich an Fahrt gewonnen. Die EU-Kommission gibt sich daher zuversichtlich.