Medjugorje und das Mysterium Maria
In Medjugorje soll Mutter Gottes Zehntausendfach erschienen sein – Der Papst hadert, ob er die chaotische Stadt zum Marienort erklärt
Ist die Mutter Gottes vor 36 Jahren sechs Sehern in Medjugorje (Bosnien und Herzegowina) erschienen oder nicht? Die Anzeichen mehren sich, dass Papst Franziskus diese Frage noch in diesem Jahr beantwortet. Bejaht er sie, wird Medjugorje offizieller Marienort. Schon jetzt pilgern jährlich Millionen in ein Städtchen voller Widersprüche.
MEDJUGORJE - Wer skurrile Wetten mag, wird sich in Medjugorje die Frage stellen, ob die Anzahl der Marienerscheinungen an jene heranreicht, die die Mutter Gottes als Gipsabbildung zeigt. Oder er wird ein paar Münzen darauf wetten, dass in der Öde Bosniens und Herzegowinas mehr Souvenirläden als Rohbauten aus dem Kraut schießen, oder umgekehrt. Wo auch immer das Pendel hinschlägt, von alldem gibt es reichlich in dem Städtchen, das gerade einmal 2300 Einwohner zählt. Das Jahr für Jahr Schätzungen zufolge aber zwischen einer und zweieinhalb Millionen Besucher empfängt. Und sich ganz offensichtlich auf jeden Einzelnen freut, weil er gleichermaßen Geld und Glauben mitbringt.
Medjugorje ist ein Phänomen und in seinem unausgereiften und grobschlächtigen Zustand womöglich ein noch größeres als die Pilgerorte Lourdes und Fátima, die sich ebenfalls auf Marienerscheinungen berufen – allerdings in weit weniger inflationärem Ausmaß. Am 24. Juni 1981 soll sechs Kindern auf einem Berg Medjugorjes die Mutter Gottes erschienen sein, die Botschaften von Frieden, Glauben, Umkehr, Gebet, Buße und Fasten verkündet habe. Drei der Seher, Marija (Jahrgang 1964), Ivan (1965) und Vicka (1964), haben angeblich bis heute Marienkontakte – und zwar täglich. Was sich mittlerweile auf rund 50 000 Erscheinungen der „Gospa“, so wird sie von den Medjugorje-Anhängern genannt, summiert. Darüber spottete Papst Franziskus erst kürzlich: „Ich bevorzuge die Gottesmutter nicht als Leiterin eines Telegrafenamtes, die jeden Tag eine Nachricht zu der und der Stunde versendet. Das ist nicht die Mutter Jesu und diese angeblichen Erscheinungen haben keinen großen Stellenwert.“Womit aber noch kein Urteil gefällt ist, ob der Vatikan Medjugorje als offiziellen Marienort anerkennt, worauf die Gläubigen so sehnsüchtig und noch in diesem Jahr hoffen.
Wirtschaftsboom in der Einöde
So oder so, päpstliche Aussagen wie oben können die Pilger nicht aufhalten. Seit Ende des Balkankriegs strömen sie in ein Städtchen, das vor einigen Jahrzehnten in flirrender Hitze und schroffer Landschaft noch unter Trinkwassermangel litt und weder Gaststätten noch Herbergen kannte. Heute bietet Medjugorje 30 000 Gästebetten, Kneipen, Restaurants, Friseurläden, Tankstellen und Supermärkte. Die Ausfallstraßen wirken frisch asphaltiert und werden von Industriebauten in Glas- und Metalloptik flankiert. Allerorts wachsen Neubauten in die Höhe, seien sie für die Gäste, seien es Eigenheime für die zu Geld gekommenen Einheimischen.
Einer dieser Rohbauten steht im Zentrum Medjugorjes, ein langgestrecktes Monstrum aus roten Ziegelsteinen mit flachem Betondach. Da, wo noch die Fenster fehlen, starren dunkle Löcher auf die beiden eckigen Türme der St.-Jakobus-Kirche gegenüber. Hinter der Kirche erstreckt sich ein Feld für Massenveranstaltungen, davor liegt ein Platz mit regem Fußgängerverkehr. Schilder mahnen die Gäste zu einem „Dress-Code“, auch Arme und Beine seien mit Kleidung zu bedecken. Die Aufforderungen werden meist ignoriert, wo immer die Mutter Gottes erscheinen mag, muss sie den Anblick von Badelatschen, Bermudashorts und knappen Tops junger Frauen ertragen. Die Kirche mit Anbauten bildet das Zentrum des religiösen Lebens, der Platz davor ist eine Art Verkehrsknoten. Denn es gibt zwei weitere Anziehungspunkte in der Stadt: Ein Kreuzberg, samt Kreuzweg, sowie den Erscheinungsberg Crnica, wo den Sehern die „Gospa“erstmals begegnete. Zwischen diesen drei Fixpunkten des Glaubens herrscht ein permanenter Verkehr, Busse spucken unentwegt Heilsuchende aus aller Herren Länder aus, Taxis rasen durch die schmalen Straßen, um die Gläubigen von einem religiösen Hotspot Ein Pilger aus Villingen-Schwenningen zum nächsten zu befördern. Wer den Erscheinungsberg hochkraxelt, wird nach einem steilen Anstieg belohnt mit, was sonst, der „Königin des Friedens“, diesmal aus massivem Stein. Es ist ein Ort des Gemurmels, des Kommens und Gehens, aber auch des stillen Gebets unter Gleichgesinnten. Die auf, ja, was eigentlich, hoffen?
Martin Lienhart zögert mit der Antwort. Der 52-Jährige aus Villingen-Schwenningen ist zum wiederholten Mal mit Frau und Kindern in Medjugorje, er steht an der staubigen Hauptstraße, um den Hals hängt eine Kette mit Kreuz, den Kopf bedeckt ein Lederhut. Zur Linken wirbt ein Gastronom mit Grillplatte, zur Rechten gibt es Maria aus Gips. „In Medjugorje“, sagt er schließlich, „können wir unseren Glauben ausleben, so wie es in Deutschland kaum noch möglich ist.“Eine tiefe Einkehr erreiche er hier im Gebet, das manchmal auch Stunden dauern dürfe. Und der Trubel, der Tourismus, der religiöse Krimskrams, stören sie nicht das spirituelle Anliegen? Lienhart zuckt mit den Schultern: „Wer ein Andenken mitnehmen will, kann dies doch tun.“Die meisten tun es.
Ganze Straßenzüge bestehen aus immer den gleichen Souvenirläden, noch in der kleinsten Gasse findet sich einer dieser Kaufläden des Glaubens, in denen Kitsch und Katholizismus eine erschlagende Verbindung eingehen. In den Regalen stapelt sich Maria, mal als Miniatur, mal meterhoch, mal blond, mal dunkelhaarig. Dazu bieten die Läden Spazierstöcke und Holzkreuze, Rosenkränze und Armbänder, JesusFlaggen und Marien-Fächer. „Sie kommen aus Deutschland? Sie erhalten Rabbatt“, verspricht eine junge Verkäuferin, auch sie eine Erscheinung mit blondem Haar. „Medjugorje ist ein wirklich schöner Ort zum Beten“, beteuert sie. Doch es gebe Schattenseiten. „Die Inhaber (der Souvenirshops, die Red.) wollen immer mehr und immer mehr. Gleichzeitig wollen sie nicht mal Steuern zahlen, geschweige denn gerechte Löhne.“Für 17 Stunden Arbeit bekomme sie 25 Euro, sagt „Maria“und behauptet: „Wer in Medjugorje tiefer schaut, wird furchtbare Dinge entdecken.“
Ein gewisser Vencel Culjak hat tiefer geschaut und tatsächlich Schauerliches entdeckt. Culjak hat 2014 eine Doktorarbeit über Medjugorje veröffentlicht, über die „Weltmarke des Religionstourismus“. Darin geht er zwischen 1981 und 2013 von einem Umsatz aus von 2,85 Milliarden Euro – allerdings seien nur 32 Prozent des Umsatzes legal, das Gros werde an der Steuer vorbeigeschleust. Alleine Millionen an nicht entrichteter Mehrwertsteuer gingen dem Staat verloren, die dieser so dringend bräuchte, kritisiert Culjak in Beiträgen für regionale Print- und Fernsehmedien. Der Akademiker ist überzeugt, dass mehr als die Hälfte der Wohn- und Geschäftshäuser in Medjugorje illegal erbaut seien. Vieles entstehe wild und ohne Raumordnungsoder Bebauungsplan, Sickergruben würden die Kanalisation ersetzen. Wem dies als Frevel nicht reicht, erklärt Culjak , Medjugorje sei ein Schlaraffenland für Geldwäscher.
Die Gläubigen ficht dies nicht an, obwohl der Grund für diese Geldschwemme von höchster Stelle nicht Papst Franziskus zu den angeblich Zehntausenden Marienerscheinungen in Medjugorje anerkannt wird. Bischof Ratko Peric vom nahen Mostar, zu dessen Diözese Medjugorje zählt, hält die angeblichen Marienerscheinungen für Unsinn, der Rummel sei „unwürdig, nicht authentisch, ja skandalös“, kritisiert er regelmäßig. Auch der Papst steht – genauso wie seine beiden Vorgänger – den Phänomenen skeptisch gegenüber. Schon 2013 soll er in einer Kurzpredigt geklagt haben, über eine „Gruppe von Christen ohne Christus, jene, die etwas Besonderes suchen“, die zu einem „Offenbarungsspektakel gehen, um neue Dinge zu hören“. Trotzdem schöpfen die Medjugorje-Anhänger Hoffnung.
Zwischen 2010 und 2014 existierte eine vatikanische Untersuchungskommission, die alle sechs Seher im Vatikan befragte, ihr Bericht liegt unter Verschluss. Die „Welt am Sonntag“ will nun rausgefunden haben, dass 13 der 17 Kommissionsmitglieder die Marienerscheinungen als übernatürliche Phänomene einschätzen – allerdings nur jene der ersten Tage. Ähnlich äußerte sich im Juni dieses Jahres der deutsche Dogmatikprofessor Achim Schütz zur Nachrichtenagentur epd, er hatte die Vatikan-Untersuchung als Sekretär geleitet: „Auch wenn man nicht den Eindruck vermitteln darf, dass alles in Medjugorje authentisch ist: Das Phänomen hat einen übernatürlichen Beginn beziehungsweise Ursprung, der nicht zu erklären ist.“
Zuletzt ging auch der Papst auf die Anhänger zu, Anfang 2017 ernannte er den Bischof von Warschau-Praga, Henryk Hoser, zum Sonderbeauftragten für Medjugorje, er solle sich ein Bild von der seelsorgerischen Situation vor Ort machen. Im Spätsommer, nach seinem Besuch in Herzegowina, erklärte Hoser euphorisch: „Alles deutet darauf hin, dass die Erscheinungen vielleicht anerkannt werden, eventuell noch in diesem Jahr.“In Medjugorje herrsche „eine sehr spirituelle Atmosphäre“, sagte er der polnischen Nachrichtenagentur KAI. Religiöse Gemeinschaften würden wie „Pilze nach dem Regen“geboren, das Angebot an Gottesdiensten und Seminaren sei vielfältig, tiefgreifend und ernsthaft. „In Medjugorje entwickelt sich alles in die richtige Richtung.“
Ob richtig oder nicht, allem Religionskitsch, allen Widersprüchen und Verwerfungen zum Trotz steckt in den Worten des Bischofs etwas Nachvollziehbares. Zahllose Pilger nehmen den Marien-Rummel nur als Nebenschauplatz wahr. Sie konzentrieren sich auf Gebet und Glauben, genauso wie die vielen Priester und Franziskaner in den Straßen, die in ihren Talaren und Kutten die Souvenirläden links liegen lassen auf dem Weg zur inneren Einkehr. „Das Phänomen von Medjugorje ist die Beichte“, sagt der polnische Bischof und meint damit zwei Pavillons neben der St.-Jakobus-Kirche mit Dutzenden an Beichtstühlen. Allein an diesem Sommernachmittag Ende August bilden sich lange Schlangen vor den Beichtstühlen mit jungen und mit alten Menschen. Mit Menschen unterschiedlichster Couleur, die ihre Sünden bekennen wollen. In einem Gang des Pavillons kauert eine Frau mittleren Alters auf den Knien, mit zerschlissener Kleidung, beim Gebet beugt sie sich vor und
„In Medjugorje können wir unseren Glauben ausleben, so wie es in Deutschland kaum noch möglich ist.“ „Ich bevorzuge die Gottesmutter nicht als Leiterin eines Telegrafenamtes, die jeden Tag eine Nachricht zu der und der Stunde versendet.“ „Wer in Medjugorje tiefer schaut, wird furchtbare Dinge entdecken.“
Die Angestellte eines Souvenirladens zurück, vor und zurück, immer wieder und unentwegt. Auch Stunden später befindet sie sich noch immer in dieser Trance.
Den „Glauben ausleben, wie es in Deutschland kaum noch möglich ist“, hatte der Pilger aus VillingenSchwenningen gesagt. Und so muss man es wohl sehen, als eine religiöse Praxis, die weit über den pflichtgemäßen Kirchenbesuch am Sonntag hinausgeht. Eine, die vielerorts als exzessiv, als irritierend und weltfremd wahrgenommen würde. Aber gehörten andererseits solche Orte der Extreme nicht schon immer zur Kirche? Genauso wie Inszenierung und Vermarktung dazu beitrugen, den Markenkern der katholischen Kirche zusammenzuhalten? Insofern dürften die Wetten nicht schlecht stehen, dass der Vatikan, wann auch immer, Medjugorje als Marienort anerkennt. Und wenn nicht, eines ist dem Städtchen nicht mehr zu nehmen: das Wirtschaftswunder.