Katalonien verschiebt Unabhängigkeit
Regionalpräsident Carles Puigdemont ruft zum Dialog mit Spanien auf
BARCELONA (dpa) - Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont hat die angekündigte Abspaltung von Spanien verschoben und zu Gesprächen aufgerufen. Er setze den Unabhängigkeitsprozess aus, um in den nächsten Wochen einen Dialog und eine Vermittlung mit Madrid einzuleiten, sagte der 54-Jährige am Dienstagabend vor dem Regionalparlament in Barcelona.
Am Sonntag vor einer Woche hatte Puigdemont ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen der spanischen Zentralregierung in Madrid ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen. Bei der von den Gegnern der Abspaltung mehrheitlich boykottierten Befragung gewann das „Ja“-Lager mit rund 90 Prozent, die Beteiligung lag nur allerdings bei nur 43 Prozent. Dennoch reklamierte Puigdemont, damit habe Katalonien das „Recht auf Unabhängigkeit“erlangt.
Der Auftritt des katalanischen Regierungschefs vor dem Regionalparlament war mit Spannung und Nervosität erwartet worden. Noch kurz vor seiner Rede hatte der Innenminister der Zentralregierung, Juan Ignacio Zoido, einen „letzten Aufruf“an Puigdemont gemacht, von einer Unabhängigkeitserklärung abzusehen. Puigdemont selbst kritisierte bei seiner Rede die Regierung in Madrid heftig. Diese habe jeden Versuch des Dialogs abgelehnt.
Die spanische Regierung wies Puigdemonts Rede umgehend als inakzeptabel zurück. „Es ist nicht zulässig, implizit die Unabhängigkeit zu erklären und diese dann explizit auszusetzen“, erklärte ein Regierungssprecher. Der konservative Regierungschef Mariano Rajoy habe für Mittwochvormittag eine Kabinettssitzung einberufen, um „über die nächsten Schritte zu beraten“.
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber reagierte auf die Ereignisse mit Besorgnis. „Wir fordern dringend einen Dialog auf Grundlage der spanischen Verfassung“, twitterte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei. Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer nannte Puigdemont einen „Hasardeur, der eigentlich mit seinem Latein am Ende ist“. Statt der offenen Konfrontation habe er einen politischen Schwindel gewählt, kritisierte Bütikofer.
BARCELONA - Drinnen tagt das katalanische Parlament. Draußen, vor den Toren, warten tausende Befürworter der Unabhängigkeit. Gelb-rote Fahnen mit dem Unabhängigkeitsstern wehen im Wind. Zuweilen hört man Sprechchöre: „independència“(Unabhängigkeit). „Hola, republica“(Hallo, Republik) steht auf Transparenten. Auf manchen prangt auch nur ein einziges Wort: „Si“.
Dann tritt endlich, mehr als eine Stunde später als geplant, Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont ans Rednerpult im katalanischen Parlament in Barcelona. Die Menge auf der Straße starrt gebannt auf einen Großbildschirm. Genauso wie die ganze spanische Nation, die vor dem Fernsehschirm sitzt, und den Atem anhält.
Erst nach längerer Vorrede, in der Puigdemont Spanien, wie üblich, scharf angreift und behauptet, dass Katalonien seit Jahren von Madrid ungerecht behandelt worden sei, kommt er zur Sache: dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober. „Die Urnen sagen Ja zur Unabhängigkeit und dies ist der Weg, den ich bereit bin zu gehen“, erklärt Puigdemont. Er geht nicht darauf ein, dass dieses Referendum vom spanischen Verfassungsgericht verboten und weder von Spaniens Regierung noch vom Rest der demokratischen Welt anerkannt wurde. Und: „Ich akzeptiere den Auftrag des Volkes, damit Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird.“
Minutenlanger Beifall braust in den Reihen der Separatisten im katalanischen Parlament auf. Auch draußen, auf der Straße vor den Großbildschirmen, jubeln die Menschen. Doch dann kommt die Einschränkung und man sieht lange Gesichter unter den Anhängern der Abspaltung: Puigdemont schlägt vor, „die Auswirkungen der Unabhängigkeitserklärung für einige Wochen zu suspendieren, um einen Dialog zu beginnen und zu einer Verhandlungslösung zu kommen“.
Puigdemonts Aussage lässt sich als ein rhetorischer Klimmzug interpretieren, der nach Einschätzung von Beobachtern folgendermaßen zu verstehen ist: Puigdemont hält am Unabhängigkeitsplan im Prinzip fest, weil er sich durch das Referendum dazu legitimiert sieht. Er proklamiert aber am Dienstagabend noch nicht offen die Abspaltung mit allen Konsequenzen.
Offenbar ein Zugeständnis an all jene in Katalonien, Spanien und auch in Europa, die Puigdemont in den letzten Tagen bekniet haben, die „Atombombe der unilateralen Abspaltung“, wie es manche nannten, noch nicht sofort zu zünden. Also eine Art „Unabhängigkeitserklärung light“. Puigdemonts Unabhängigkeitsfront aus der Mehrparteien-Allianz Junts pel Si (Gemeinsam für Ja) und der kleinen Anti-System-Partei CUP hatte in der Kammer vor zwei Jahren mit 47,8 Prozent der Sitze die knappe absolute Mehrheit errungen. Eine Mehrheit, mit der die Separatisten auch jenes einseitige und damit aus spanischer Sicht illegale Unabhängigkeitsreferendum beschlossen, über dessen Konsequenzen Puigdemont am Dienstagabend informierte.
Katalanen sind gespalten
Bei dem Referendum, das trotz eines Verbotes des spanischen Verfassungsgerichtes stattfand, hatten nur 43 Prozent der Berechtigten mitgemacht. Die spanientreuen Parteien hatten dieses Plebiszit boykottiert. Deswegen stimmten fast nur die Unabhängigkeitsanhänger ab. 90 Prozent der Teilnehmer antworteten damals auf die Frage „Soll Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik werden?“mit Ja. Auch wenn dies nicht dem wahren Meinungsbild in der katalanischen Gesellschaft entspricht, die allen Erhebungen zufolge ziemlich genau in der Mitte geteilt ist: Kataloniens Separatistenparteien haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass dies genug sei, um ihre Unabhängigkeitspläne voranzutreiben.
Bereits im September hatte die Unabhängigkeitsfront im Parlament beschlossen, dass ein Sieg der Ja-Stimmen den Weg zur Unabhängigkeit pflastern werde. So schrieben sie es in Artikel 4.4 des katalanischen Referendumsgesetzes, in dem es heißt: „Wenn es mehr bejahende als verneinende Stimmen gibt, hat dieses Ergebnis die Unabhängigkeit zur Folge.“
Dass Spaniens Verfassungsgericht das Referendum wie auch das dazugehörige Referendumsgesetz für illegal erklärt hatte, stören Puigdemont und seine Weggefährten nicht. „Wir erfüllen nur den Willen des katalanischen Parlaments“, sagt Puigdemont. Die spanische Verfassung und Gerichtsbarkeit wird von der katalanischen Regierung nicht mehr anerkannt. Deswegen laufen bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen Puigdemont und andere Verantwortliche der Unabhängigkeitsbewegung. Ihnen könnte wegen Rechtbeugung, Ungehorsam und Rebellion der Prozess gemacht werden. Doch auch die Aussicht ins Gefängnis zu wandern, schreckt Puigdemont nicht. „Wir werden tun, wofür wir angetreten sind“, bekräftigte er. Der Unabhängigkeitsprozess werde auch ohne ihn weitergehen.
Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy drohte bereits an, dass Madrid Artikel 155 der Verfassung anwenden könnte, wenn der Unabhängigkeitsplan tatsächlich umgesetzt werde. Mit diesem Verfassungspassus könnte die spanische Zentralregierung komplett die Kontrolle in der aufmüpfigen Region übernehmen, und Neuwahlen in Katalonien durchsetzen. Die Aktivierung des Artikels 155 müsste vom spanischen Oberhaus gebilligt werden, wo Rajoys konservative Partei die absolute Mehrheit hat.