Kroatien will Tribunalurteil gegen Praljak anfechten
Suizid des früheren Militärchefs wird zur Heldentat verklärt – Unterschiedliche Reaktionen in Mostar
WIEN - Nach dem Suizid des früheren bosnisch-kroatischen Militärchefs Slobodan Praljak während der Urteilsverkündung am Mittwoch haben im UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Ermittlungen begonnen. Wie konnte Praljak das Gift in den Verhandlungssaal schmuggeln? Warum versagten die Kontrollen? Das sind noch offene Fragen. Fest steht bislang nur, dass der 72-jährige Angeklagte ein schnell wirkendes Gift eingenommen hat, er starb nur eine Stunde nach der Einlieferung in die Klinik. Eine Obduktion soll weitere Erkenntnisse liefern.
Derweil wird Praljak, den das Tribunal wegen schwerer Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs zu 20 Jahren Haft verurteilt hat, in Kroatien und im kroatischen Teil Bosniens wie ein Märtyrer betrauert. Nach dem Republikgründer Franjo Tudjman ist Praljak derzeit der größte Nationalheld. Bozo Ljubic, Vizechef der nationalistischen Regierungspartei HDZ, nannte den Suizid eine „heroische Tat“. Als eine „tiefe, moralische Ungerechtigkeit“bezeichnete Premierminister Andrej Plenkovic das Urteil und kündigte an, es anzufechten. Präsidentin Kolinda Grabar Kitarovic sagte, Praljak habe „lieber sein Leben gegeben“denn als Kriegsverbrecher weiterzuleben, der er nicht gewesen sei.
In Mostar, der Hauptstadt der Herzegowina, gingen Tausende Trauernde auf die Straße, zündeten Kerzen an und legten Blumen nieder. „Deine Aufopferung wird nicht vergessen sein“, sagte ein Redner bei einem Gedenktreffen. Im muslimischen Teil der geteilten südwestbosnischen Stadt hatte die Polizei Alarmbereitschaft, weil man Übergriffe von zornigen Kroaten befürchtete. Dort feierten die Menschen das Urteil gegen die insgesamt sechs politischen und militärischen Führer der bosnischen Kroaten.
Kroatien sieht eine große Ungerechtigkeit darin, dass das Tribunal Tudjman für Kriegsverbrechen in Bosnien mitverantwortlich macht. Denn Ursache der Balkankriege Anfang der 1990er-Jahre sei die Aggressionspolitik des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic gewesen, deren Opfer Kroaten und Bosnier gleichermaßen gewesen seien. Es sei „absurd“, so Plenkovic, dass in keinem der Urteile des Tribunals die Verantwortung des Staates Serbien für Verbrechen in Bosnien bestätigt worden sei. Und Serbien habe schlimmere Gräuel zu verantworten, allen voran das Massaker von Srebrenica.
Die Reaktionen auf die Geschehnisse in Den Haag zeigen, dass die Bereitschaft, die Kriegsvergangenheit aufzuarbeiten, in Kroatien nicht zugenommen hat. Im Gegenteil: Das Urteil stärkt die Nationalisten, die derzeit die Macht innehaben. Eine der wenigen nüchternen Reaktionen kommt von der früheren Außenministerin Vesna Pusic: Das Haager Tribunal habe „nicht das kroatische Volk verurteilt, sondern jene, die diese Politik ausgeführt haben“sagte sie.