Oberschwaben im 30-jährigen Krieg
„Der 30-jährige Krieg. Schauplatz Oberschwaben“im Ravensburger Humpis-Quartier
RAVENSBURG (sz) - Ein Fenstersturz in Prag im Jahr 1618 stand am Anfang des 30-jährigen Kriegs. Das Museum Humpis-Quartier in Ravensburg zeigt in einer Ausstellung, wie der Krieg nach Oberschwaben kam. Während die Region anfangs verschont blieb, trafen hier Ende der 1620er-Jahre die kaiserlich katholischen Truppen auf die unter König Gustav Adolfs Befehl stehenden protestantischen Heere. Die Bevölkerung litt unter den Einquartierungen und fiel Seuchen zum Opfer.
RAVENSBURG - Das Museum Humpis-Quartier in Ravensburg ist seiner Zeit – ausstellungstechnisch – immer schon ein Stückchen voraus. Das Team um Andreas Schmauder hat nicht nur die erste Schau zur Reformation in der Region veranstaltet. Nun sind die Ravensburger auch bei dem nächsten Großjubiläum wieder die Ersten: Der Beginn des 30-jährigen Krieges jährt sich heuer zum 400. Mal. Das Humpis-Quartier beleuchtet dieses historische Ereignis aus oberschwäbischer Sicht in einer Ausstellung. Und wieder einmal zeigt dieses Museum, wie sich weltgeschichtliche Umwälzungen im lokalen Bereich widerspiegeln.
Der Krieg kommt ins Haus
Als böhmische Adlige am 23. Mai 1618 die königlichen Statthalter aus dem Fenster der Prager Burg warfen, ahnte noch niemand, dass daraus ein 30 Jahre dauernder Krieg entstehen würde. Wie Eberhard Fritz, Archivar des Hauses Württemberg und zusammen mit Lena Nothelfer Kurator der Ravensburger Ausstellung, im aktuellen Band der Zeitschrift „Ulm und Oberschwaben“schreibt, haben die Menschen im Südwesten nicht sogleich die Folgen dieses fatalen Fenstersturzes zu spüren bekommen. Zwar hätten sie seit 1610 unter einer Inflation gelitten. Aber der Krieg machte sich erst in den späten 1620er-Jahren bemerkbar. Kaiser Ferdinand II. und die katholischen Fürsten dominierten. Der Kaiser konnte 1629 gar das „Restitutionsedikt“ durchdrücken: Protestantische Fürsten mussten die Klöster zurückgeben, die sie sich 70 Jahre zuvor angeeignet hatten. Der Herzog von Württemberg dachte nicht daran. Im Februar 1631 kam es in Oberschwaben zur Konfrontation der katholischen und protestantischen Truppen.
Was das für die Bevölkerung hieß, zeigt eine Rechnung: Der Ravensburger Mohrenwirt machte bei der Stadt Kosten in Höhe von 582 Gulden geltend für die Einquartierung von Offizieren. Während man für Kost und Logis der oberen Ränge entschädigt wurde, sah es beim einfachen Volk anders aus. Das musste die Soldaten entschädigungslos verpflegen. Es dürfte den Bauern und Handwerkern egal gewesen sein, ob es protestantische oder katholische Söldner waren, mit denen sie teilen mussten. Dass das nicht reibungslos ging, davon legen die Radierungen von Hans Ulrich Franck beredtes Zeugnis ab. Der 1590 oder 1595 in Kaufbeuren geborene Maler wurde mit seinen 1643 und 1655 bis 1656 entstandenen 25 Radierungen „Schrecken des Dreißigjährigen Krieges“berühmt. Der komplette Zyklus ist nun als Leihgabe aus der Kunstsammlung der Fürsten von Waldburg-Wolfegg im HumpisQuartier zu sehen. Eines der bekanntesten Blätter zeigt, wie ein Soldat über einen Bauern hinwegreitet. Zu sehen sind aber auch Szenen, wie zwei Bauern mit der Axt auf einen Soldaten losgehen. Und auch ein anderes, ebenfalls weit verbreitetes Phänomen hat Franck festgehalten: die Soldaten, wie gesagt egal welcher Couleur, machten sich an die Frauen und Töchter heran. Eine drastische Szene ist auf dem obigen Bild zu sehen: Während ein Soldat den Vater mit dem Säbel bedroht, die Mutter händeringend am Rande steht, zieht ein anderer Söldner mit der Tochter ab. Die Taufregister nennen in jener Zeit nicht selten beim Vater „unbekannt, Soldat“.
Der Krieg war auch ein gigantisches Geschäft für die Heerführer – für die protestantischen wie die katholischen. In Ravensburg wird stellvertretend für viele dieser Söldnerführer Konrad Widerholt (1598 bis 1667) präsentiert. Eberhard Fritz weist im Begleitheft auf die sehr unterschiedliche historische Wahrnehmung dieser Figur hin. Während er im protestantischen Unterland als „Glaubensheld“gefeiert wurde, galt er den Katholiken als „Geißel Oberschwabens“. Nach der Schlacht von Nördlingen 1634, die die Protestanten verloren haben, macht ihn der Herzog von Württemberg zum Kommandanten der strategisch wichtigen Festung Hohentwiel. Seine Gegenspielerin ist Erzherzogin Claudia von Österreich-Tirol. Immer wieder versucht sie, den schwäbischen Adel in Vorderösterreich zu einen, um gegen den Württemberger und dessen Kommandanten vorzugehen. Widerholts militärischer Ruhm gründete sich darauf, dass er die Angriffe kaiserlich-katholischer Heere fünf Mal abgewehrt hat. Alle hiesigen adligen Familien – die Fürstenbergs, die Grafen von Waldburg oder die von Montfort – waren automatisch Widerholts Feinde, weil sie Habsburg treu blieben.
Warlord der Neuzeit
Was Eberhard Fritz aus den Quellen zusammengetragen hat, lässt diesen Kommandanten als Vorgänger eines heutigen Warlords erscheinen. Er ließ rauben und brandschatzen und morden. Auf sein Geheiß wurden 1638 die Dörfer Frohnstetten und Stetten am kalten Markt in Brand gesteckt. In Schwenningen und Heimstetten ließ er Pferde und Vieh im Wert von über 1000 Gulden wegtreiben. Fritz spricht von einer Strategie des Terrors. Auch die Klöster waren nicht sicher. Während die Männerklöster „nur“ausgeraubt wurden, mussten die Nonnen auch noch Vergewaltigungen fürchten. Manches Kapitel dieser Geschichte liest sich wie aus einem Mafiaroman. Schutzgeldzahlung und Erpressung waren an der Tagesordnung. Ein Soldat war einen Gulden wert, ein General 600.
Immer offensichtlicher überlagerten politische Interessen die konfessionellen. Das führte dazu, dass sich der katholische französische König mit dem Anführer der protestantischen Fürsten, König Gustav Adolf von Schweden, verbündete. Fritz schreibt: „Damit weichten die konfessionellen Positionen auf, und obwohl die religiösen Motive den ganzen Krieg hindurch eine Rolle spielten, konnte es vorkommen, dass die Menschen von Soldaten ihrer eigenen Konfession bedrängt und ausgeplündert wurden.“
1634 brach das öffentliche Leben zusammen. Die Leute nannten es Pest. Aber es waren vermutlich mehrere Seuchen, erklärt Andreas Schmauder. Von 4500 Ravensburgern sollen 2000 gestorben sein. Quellen berichten von schreienden Menschen vor dem Heilig-Geist-Spital. Unter der Marienplatzgarage wurde ein Massengrab gefunden. Erst mit dem Wintereinbruch 1635 ebbt das Sterben ab. In einer Vergrößerung ist ein Stich eines Pestarztes zu sehen: Mit seiner schnabelartigen Maske, die ihn selbst vor Ansteckung schützen sollte, wirkt er wie ein übergroßer Todesvogel.
Der Krieg war für die Menschen mit dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück im Jahre 1648 nicht zu Ende. Die Armee des französischen Generals Vicomte de Turenne hielt sich noch im Dezember 1648 im Südwesten auf. Auf einem Kreistag in Ulm verhandelte man über die Aufteilung der Quartiere. Hier erklärte Herzog Eberhard III. von Württemberg die militärischen Frondienste für beendet, heißt es bei Fritz. Bis alle Heere aufgelöst, alle Söldner wieder abgerückt waren, dauerte es aber noch einmal ein Jahr.