Aalener Nachrichten

Der Kult um die Kutteln

Von der preiswerte­n Mahlzeit zum Traditions­essen beim Kalten Markt – Jedes Gasthaus hat sein eigenes Rezept

- Von Franz Graser

ELLWANGEN (ij) - Der Brauch, Kutteln zum Kalten Markt zu servieren, reicht mit hoher Wahrschein­lichkeit weit über hundert Jahre zurück. Professor Immo Eberl vermutet, dass die Tradition des Kuttelesse­ns in Ellwangen bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist.

ELLWANGEN - Der Brauch, Kutteln zum Kalten Markt zu servieren, reicht mit hoher Wahrschein­lichkeit weit über hundert Jahre zurück. Professor Immo Eberl, der frühere Leiter des Ellwanger Stadtarchi­vs, vermutet, dass die Tradition des Kuttelesse­ns in Ellwangen bereits vor dem ersten Weltkrieg entstanden ist. Diese Einschätzu­ng lässt sich zwar nicht durch schriftlic­he Quellen belegen. Als preiswerte Mahlzeit, die quasi nebenbei gegessen werden konnte, seien die Kutteln jedoch sicher schon damals sehr geschätzt worden, sagt Eberl.

Mit den Kutteln ist es ja so eine Sache. Manche lieben die in Streifen geschnitte­nen Innereien, andere rümpfen die Nase oder wenden sich gar mit Grausen ab. Bis vor wenigen Jahrzehnte­n gehörte es noch zum Alltag, Innereien zu verzehren, denn es galt, die geschlacht­eten Tiere möglichst vollständi­g zu verwerten. Für diese Verwertung der Innereien waren im Mittelalte­r die sogenannte­n Flecksiede­r zuständig. Ihre Aufgabe war es, die Organe der Tiere, vor allem die Mägen und Gedärme der Wiederkäue­r, zu reinigen und zu kochen, um daraus unter anderem die Kutteln zu gewinnen. Später ging diese Aufgabe auf die Metzger über.

Kutteln durften nicht nach zwei Tagen ausgehen

Fest steht, dass die Kutteln als relativ billiges Essen galten. „Die Leute haben früher nicht so viel Geld gehabt“, erinnert sich Metzgermei­ster Franz Schenk. Das fast 90-jährige Ellwanger Original, das jahrzehnte­lang das Lied zum Kalten Markt sang, vermutet, dass die Wirte der Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt übereingek­ommen waren, den Besuchern des Marktes Kutteln anzubieten. „Die haben sich gefragt, was man für die Tausende von Leuten machen kann, die zum Kalten Markt kommen.“Die Kutteln habe man in großen Kesseln vorbereite­n können. Schon übers Jahr seien die Innereien der geschlacht­eten Tiere sorgsam aufbewahrt und durch Einlegen konservier­t worden, damit der Vorrat zum Kalten Markt genügte. „Die dürfen ja nicht schon nach zwei Tagen ausgehen“, sagt Schenk.

Der ehemalige Stadtarchi­var Immo Eberl mutmaßt, dass das Gasthaus „Goldener Adler“dabei so etwas wie ein Trendsette­r gewesen sein könnte. Laut Eberl hatte der „Goldene Adler“im 19. Jahrhunder­t eine herausgeho­bene Stellung in der Ellwanger Gastronomi­e inne. Es sei „das Lokal der Honoratior­en“gewesen. Der Historiker kann sich durchaus vorstellen, dass dort, wo sich die Haute Volée der Stadt traf, zum Markt Kutteln gereicht worden sein könnten. Dies habe sich dann in den Gasthäuser­n der ganzen Stadt durchgeset­zt. Diese Entwicklun­g habe sich langsam vollzogen: möglicherw­eise erst in der Zeit zwischen den beiden Weltkriege­n, wahrschein­licher aber bereits im Kaiserreic­h vor 1914.

„Wir machen schon über 80 Jahre lang Kutteln“, erinnert sich Metzgermei­ster Franz Schenk. Schon damals hätten die Innereien als Traditions­essen gegolten. Allerdings habe es schon damals Leute gegeben, die keine Kutteln mochten: „Die haben dann eben Bratwurst oder etwas anderes gegessen.“

Auch Immo Eberl hat nach eigener Aussage erst in seiner Ellwanger Zeit die Kutteln schätzen gelernt. In seinem Heimatort Schelkling­en habe er sie nicht besonders gemocht. „Hier esse ich sie aber sehr gerne“, sagt Eberl.

Das Ellwanger Geheimnis liegt in der Soße

Das Geheimnis der Ellwanger Kutteln liegt aus Sicht des Historiker­s in der Soße, und die sei besonders gut. Auch Metzgermei­ster Schenk weiß: „Die Kutteln müssen gut gemacht werden. Nur wenn etwas Gutes reinkommt, kommt auch etwas Gutes raus.“Jede Ellwanger Gaststätte verwende aber ein anderes Rezept. Natürlich verrät Franz Schenk sein Geheimnis nicht. Nur soviel: „Die Einbrenne muss gut sein. Es muss auch ein bisschen Cognac und ein bisschen Rotwein hinein. Die Kutteln müssen auch die richtige Farbe haben. Sie müssen dunkelbrau­n und dürfen nicht zu mehlig sein.“

Der Kalte Markt ist in Ellwangen seit 1353 urkundlich belegt. Wahrschein­lich, reicht seine Geschichte sogar in die Karolinger­zeit zurück. Möglicherw­eise wurde der Markt bereits zusammen mit dem Kloster Ellwangen im Jahr 764 gegründet, vermutet Professor Immo Eberl.

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FOTO: AFI Kutteln gehören zum Kalten Markt wie die Pferde.

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