Der Kult um die Kutteln
Von der preiswerten Mahlzeit zum Traditionsessen beim Kalten Markt – Jedes Gasthaus hat sein eigenes Rezept
ELLWANGEN (ij) - Der Brauch, Kutteln zum Kalten Markt zu servieren, reicht mit hoher Wahrscheinlichkeit weit über hundert Jahre zurück. Professor Immo Eberl vermutet, dass die Tradition des Kuttelessens in Ellwangen bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist.
ELLWANGEN - Der Brauch, Kutteln zum Kalten Markt zu servieren, reicht mit hoher Wahrscheinlichkeit weit über hundert Jahre zurück. Professor Immo Eberl, der frühere Leiter des Ellwanger Stadtarchivs, vermutet, dass die Tradition des Kuttelessens in Ellwangen bereits vor dem ersten Weltkrieg entstanden ist. Diese Einschätzung lässt sich zwar nicht durch schriftliche Quellen belegen. Als preiswerte Mahlzeit, die quasi nebenbei gegessen werden konnte, seien die Kutteln jedoch sicher schon damals sehr geschätzt worden, sagt Eberl.
Mit den Kutteln ist es ja so eine Sache. Manche lieben die in Streifen geschnittenen Innereien, andere rümpfen die Nase oder wenden sich gar mit Grausen ab. Bis vor wenigen Jahrzehnten gehörte es noch zum Alltag, Innereien zu verzehren, denn es galt, die geschlachteten Tiere möglichst vollständig zu verwerten. Für diese Verwertung der Innereien waren im Mittelalter die sogenannten Flecksieder zuständig. Ihre Aufgabe war es, die Organe der Tiere, vor allem die Mägen und Gedärme der Wiederkäuer, zu reinigen und zu kochen, um daraus unter anderem die Kutteln zu gewinnen. Später ging diese Aufgabe auf die Metzger über.
Kutteln durften nicht nach zwei Tagen ausgehen
Fest steht, dass die Kutteln als relativ billiges Essen galten. „Die Leute haben früher nicht so viel Geld gehabt“, erinnert sich Metzgermeister Franz Schenk. Das fast 90-jährige Ellwanger Original, das jahrzehntelang das Lied zum Kalten Markt sang, vermutet, dass die Wirte der Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt übereingekommen waren, den Besuchern des Marktes Kutteln anzubieten. „Die haben sich gefragt, was man für die Tausende von Leuten machen kann, die zum Kalten Markt kommen.“Die Kutteln habe man in großen Kesseln vorbereiten können. Schon übers Jahr seien die Innereien der geschlachteten Tiere sorgsam aufbewahrt und durch Einlegen konserviert worden, damit der Vorrat zum Kalten Markt genügte. „Die dürfen ja nicht schon nach zwei Tagen ausgehen“, sagt Schenk.
Der ehemalige Stadtarchivar Immo Eberl mutmaßt, dass das Gasthaus „Goldener Adler“dabei so etwas wie ein Trendsetter gewesen sein könnte. Laut Eberl hatte der „Goldene Adler“im 19. Jahrhundert eine herausgehobene Stellung in der Ellwanger Gastronomie inne. Es sei „das Lokal der Honoratioren“gewesen. Der Historiker kann sich durchaus vorstellen, dass dort, wo sich die Haute Volée der Stadt traf, zum Markt Kutteln gereicht worden sein könnten. Dies habe sich dann in den Gasthäusern der ganzen Stadt durchgesetzt. Diese Entwicklung habe sich langsam vollzogen: möglicherweise erst in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, wahrscheinlicher aber bereits im Kaiserreich vor 1914.
„Wir machen schon über 80 Jahre lang Kutteln“, erinnert sich Metzgermeister Franz Schenk. Schon damals hätten die Innereien als Traditionsessen gegolten. Allerdings habe es schon damals Leute gegeben, die keine Kutteln mochten: „Die haben dann eben Bratwurst oder etwas anderes gegessen.“
Auch Immo Eberl hat nach eigener Aussage erst in seiner Ellwanger Zeit die Kutteln schätzen gelernt. In seinem Heimatort Schelklingen habe er sie nicht besonders gemocht. „Hier esse ich sie aber sehr gerne“, sagt Eberl.
Das Ellwanger Geheimnis liegt in der Soße
Das Geheimnis der Ellwanger Kutteln liegt aus Sicht des Historikers in der Soße, und die sei besonders gut. Auch Metzgermeister Schenk weiß: „Die Kutteln müssen gut gemacht werden. Nur wenn etwas Gutes reinkommt, kommt auch etwas Gutes raus.“Jede Ellwanger Gaststätte verwende aber ein anderes Rezept. Natürlich verrät Franz Schenk sein Geheimnis nicht. Nur soviel: „Die Einbrenne muss gut sein. Es muss auch ein bisschen Cognac und ein bisschen Rotwein hinein. Die Kutteln müssen auch die richtige Farbe haben. Sie müssen dunkelbraun und dürfen nicht zu mehlig sein.“
Der Kalte Markt ist in Ellwangen seit 1353 urkundlich belegt. Wahrscheinlich, reicht seine Geschichte sogar in die Karolingerzeit zurück. Möglicherweise wurde der Markt bereits zusammen mit dem Kloster Ellwangen im Jahr 764 gegründet, vermutet Professor Immo Eberl.