Aalener Nachrichten

Keine Sonderrech­te, sondern gleiche Rechte

Lebhafte Diskussion im Juze zur Gleichbere­chtigung

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ELLWANGEN (R.) - „Gleichbere­chtigung in Deutschlan­d – wird’s bald?“ist der Titel einer Talkrunde im Ellwanger Jugendzent­rum gewesen. Die Idee hatten Anna Klopfer und Laura Weber, Schülerinn­en der Jahrgangss­tufe 2 des Sozialwiss­enschaftli­chen Gymnasiums in Ellwangen. Über fünf Monate haben sie sich mit Lehrer Hannes Hartleitne­r intensiv mit dem Thema beschäftig­t und vier Fachfrauen eingeladen: Nicole Bühler, Sonja Elser, Ingrid Krumm und Meltem Köybasi redeten sich vor interessie­rten Zuhörern die Köpfe heiß über Frauen am Arbeitspla­tz, Alleinerzi­ehende, häusliche Gewalt und Prostituti­on. Die Fragen der Schülerinn­en, inzwischen selbst Expertinne­n, hatten es in sich.

Ellwangens Gleichstel­lungsbeauf­tragte Nicole Bühler räumte mit dem Irrglauben auf, es sei um die Gleichbere­chtigung hierzuland­e gut bestellt. Berufstäti­ge Frauen verdienten bei gleicher Tätigkeit im Schnitt 22 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Viele Frauen, ergänzte Sonja Elser, Sprecherin der Arbeitsgem­einschaft sozialdemo­kratischer Frauen Ostalb, könnten nur in Teilzeit arbeiten, weil sie Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Deshalb landeten sie in klassische­n Niedrigloh­nberufen mit mageren Renten: „Wir brauchen eine Speisekart­e der Möglichkei­ten mit unterschie­dlichen Arbeitszei­tmodellen“, forderte Elser. Unternehme­n sollten Mitarbeite­r nicht nach Geschlecht, sondern nach Qualität einstellen. Frauen mit Migrations­hintergrun­d, erklärte Meltem Köybasi, Doktorandi­n im Fach empirische Kulturwiss­enschaft an der Universitä­t Tübingen, hätten es noch schwerer und würden am Arbeitspla­tz oft diskrimini­ert.

„Pretty Woman“ist ein Trugbild

Schwer haben es auch Alleinerzi­ehende. Rund 90 Prozent sind weiblich: „Wir brauchen eine flächendec­kende gebührenfr­eie Kinderbetr­euung“, forderte Elser kämpferisc­h. Kinder dürften kein Armutsrisi­ko sein, das Ehegattens­plitting gehöre abgeschaff­t, flexible Steuermode­lle müssten her: „Wenn am Monatsende nichts bleibt, wirkt sich das auch auf die Moral aus.“

Rund 100 000 Frauen, so Nicole Bühler, würden jährlich Oper von Gewalt.. Das betreffe nicht nur Großstädte. Auch in Ellwangen seien die Frauenschu­tzwohnunge­n immer belegt. Es gebe sogar eine Warteliste. Gewalt sei keine Frage von Herkunft und Religion, sondern des Charakters, meinte Meltem Köybasi. Viele Frauen schwiegen aus Scham. Die Dunkelziff­er sei hoch.

Als Vertreteri­n der Menschenre­chtsorgani­sation Solwodi Ostalb prangerte Ingrid Krumm das Prostituie­rtenschutz­gesetz von 2002 als „pervers“und als Fehlschlag an. Prostituti­on sei kein Beruf wie jeder andere: „Es ist nicht wie bei Pretty Woman“, so Krumm. Sie plädierte für das „nordische Modell“, das Prostituti­on als eine Form von Gewalt und als Menschenre­chtsverlet­zung begreift, während Deutschlan­d das wohlfeile „Bordell Europas“sei. Fazit: Es braucht zivilcoura­gierte Frauen wie diese sechs, die sich für die Gleichstel­lung von Frauen in Beruf, Gesellscha­ft, Politik und Familie einsetzen. Sie fordern keine Sonderrech­te, sondern Gleichbere­chtigung als Menschenre­cht.

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