Ende der Haft weiter offen
Merkel erhöht im Fall Yücel Druck auf die Türkei
BERLIN (dpa) - Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hat erneut seiner Hoffnung auf einen baldigen Gerichtsprozess im Fall des inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel Ausdruck verliehen. Einen möglichen Termin für das Vorlegen einer Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft und für den Beginn eines Verfahrens nannte er nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aber nicht. „Ich hoffe, dass seine Verhandlung bald beginnt und es zu einem Ergebnis kommt“, sagte Yildirim am Donnerstag in Berlin.
Kanzlerin Merkel übte nach dem Gespräch Kritik an der Art und Weise, wie die Türkei seit dem Putschversuch vom Juli 2016 gegen mutmaßliche Verdächtige vorgeht. Deutschland habe den versuchten Staatsstreich verurteilt. Sie habe ihrem Gast aber erklärt, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben müsse und „dass wir uns rechtsstaatliche Mechanismen wünschen.“
BERLIN - Es sei „ein nicht nur einfaches, aber auch nützliches und wichtiges Gespräch“gewesen, fasst die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Ende zusammen. Die Bundesregierung wünsche sich ein schnelles und rechtsstaatliches Verfahren für Deniz Yücel, drängt die Regierungschefin ihren Gast aus Ankara, den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim. Der Fall des inhaftierten „Welt“-Journalisten habe eine besondere Dringlichkeit. „Das habe ich auch gegenüber dem Ministerpräsidenten deutlich gemacht“, berichtet die Kanzlerin nach dem Treffen mit Yildirim.
Hinter den Erwartungen
Yildirim selbst hatte hohe Erwartungen geweckt, indem er schon vor dem Treffen eine baldige Freilassung Yücels in Aussicht gestellt hatte. Neben der Kanzlerin sagt er nun: „Ich hoffe, dass es in kürzester Zeit zu einem Verfahren kommt. Und wenn es zu einer Verhandlung kommt, kann es eine Hoffnung geben.“Aufgabe seiner Regierung sei es, die Verfahren „zu erleichtern“. Wird er politischen Druck machen, damit Yücel freikommt? Nein, immer wieder verweist der Regierungschef auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Von Einflussnahme will er nichts wissen. Und warum sitzt Yücel schon ein Jahr ohne Anklage hinter Gittern? Nach dem Putschversuch seien „Tausende Verfahren“eingeleitet worden, „die Gerichte haben viel zu tun“.
Antworten, die hinter den Erwartungen zurückbleiben. Das Misstrauen bleibt groß. Recep Tayyip Erdogan, der Yücel als „deutschen Agenten“und „Terrorunterstützer“gegeißelt hatte, lässt Yildirim Grüße an Merkel überbringen. Sobald in Berlin eine neue Regierung gebildet sei, würde man sich freuen, die Kanzlerin in Ankara zu begrüßen, sagt Erdogans Emissär. Aber Merkel sieht auch nach dem Treffen mit Yildirim noch einen weiten Weg bis zur Normalisierung.
Deutschland wünsche sich „rechtsstaatliche Mechanismen“, sagt sie mehrfach. Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei vor anderthalb Jahren müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Diesbezüglich gebe es in der Bundesregierung noch „eine Vielzahl von Sorgen“.
Kein Durchbruch, noch kein echtes Tauwetter für die deutsch-türkische Eiszeit. Aber immerhin, der Besuch sei „ein Zeichen, dass die Gesprächsbereitschaft von türkischer Seite da ist“, will die Kanzlerin die Kontakte intensivieren. Es gebe das Signal, die Beziehungen zu verbessern, man sei bereit zu einer offenen Aussprache und dazu, „den Faden wieder aufzunehmen“. Doch werde manches sicher nicht einfach, dämpft die Kanzlerin die Erwartungen. „Den Versuch ist es allemal wert.“
Yildirims Besuch im Kanzleramt war mit Spannung erwartet worden. Die Opposition forderte Klartext gegenüber dem Gast aus Ankara und die sofortige Freilassung Yücels ohne Bedingungen und warnt vor etwaigen Tauschgeschäften. „Frau Merkel muss dringend den Eindruck, den Herr Gabriel hinterlassen hat, korrigieren, dass Deutschland käuflich wäre“, erklärte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Eine Anspielung auf Spekulationen, die Bundesregierung gebe im Gegenzug für Yücels Freilassung grünes Licht für die Modernisierung türkischer Panzer, die sich Erdogan dringend wünscht. Hier bezieht die Kanzlerin klar Stellung: Es gebe „keinerlei Verbindung“zwischen Entscheidungen über Rüstungsgeschäfte und Fällen inhaftierter Deutscher in der Türkei, wischt sie die Unterstellung von „schmutzigen Deals“vom Tisch.
Protest vor dem Kanzleramt
Draußen vor dem Kanzleramt demonstrieren Dutzende Kurden gegen den Besuch aus Ankara, gegen Erdogans Krieg gegen die Kurdenmiliz YPG im Nordwesten Syriens. Auf der Pressekonferenz kommt es zu einem kleinen Eklat, als ein kurdischer Journalist Fotokopien mit Bildern von toten und verletzten Kindern verteilt, angeblich aus Afrin, wo türkische Truppen angegriffen haben. Yildirim sagt, der Journalist solle nicht versuchen, die Menschen zu manipulieren, die Bilder seien nicht aus der syrischen Stadt Afrin. Er verteidigt den Militäreinsatz gegen die YPG als AntiTerror-Maßnahmen, die Kurden würden versuchen, in Syrien „ihr eigenes Areal zu errichten“.