Corbyn befürwortet die Zollunion
Kurswechsel der britischen Labour-Party bringt die Regierung in Nöte
LONDON - Die britische Labour-Opposition ändert ihren Brexit-Kurs und bringt damit die Regierung von Premierministerin Theresa May in Bedrängnis. Sein Land müsse auch nach dem EU-Austritt in einer Zollunion mit Brüssel verbleiben, um Zölle zu vermeiden und die offene Grenze in Irland zu sichern, sagte Parteichef Jeremy Corbyn in Coventry. Damit befindet sich die größte Oppositionspartei erstmals im Einklang mit der Gruppe EU-freundlicher Tory-Abgeordneter, die gegen Mays harten Brexit-Kurs rebellieren.
Corbyn zählt zu der kleinen Gruppe eingefleischter EU-Skeptiker in der Arbeiterpartei, deren Mandatsträger und Mitglieder mit großer Mehrheit pro-europäisch eingestellt sind. Beim Referendum im Juni 2016 stimmten aber zwei Drittel der durch Labour-Abgeordnete vertretenen Unterhaus-Wahlkreise für den EUAustritt. Dazu zählten deindustrialisierte Landstriche im Norden des Landes und in Wales ebenso wie traditionsreiche Industriestädte wie Coventry.
Seit der Volksabstimmung (Ergebnis: 52:48 Prozent) haben Corbyn und seine engsten Brexit-Berater in der Europafrage laviert und sich möglichst alle Optionen offengehalten. Mit großer Mehrheit stimmte die Fraktion im Unterhaus dem Austritt nach Artikel 50 des Lissabonvertrages zu; das Programm zur vorgezogenen Unterhauswahl sah aber die größtmögliche Nähe zur EU vor. Bei einem Treffen des Schattenkabinetts vergangene Woche setzte sich offenbar der Brexitsprecher Keir Starmer durch; der Anwalt hatte schon im Dezember europäischen Diplomaten zu verstehen gegeben, seine Partei wolle die Zollunion aufrechterhalten.
Damit positioniert sich die Arbeiterpartei erstmals diametral anders als Mays Konservative. Diese wollen den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion, wünschen sich aber ein „maßgeschneidertes Zollarrangement“. Letzteres stösst in Brüssel ebenso auf Ablehnung wie Premierministerin Mays sogenannte Drei-Körbe-Idee: Während die Insel in bestimmten Fragen wie Arzneimittel-Kontrolle und Luftfahrt die EU-Bestimmungen weiterführen werde, gebe es einen Bereich, in dem britische und EURegeln „annähernd gleich“bleiben sollen, sowie eine dritte Gruppe von Vorschriften, in denen man sich zukünftig unterscheiden werde. „Pure Illusion“, nannte EU-Ratspräsident Donald Tusk derlei Vorstellungen.
Grundsatzrede von May
May will am Freitag mit einer Grundsatzrede Klarheit vermitteln. Bei einer Kabinettsklausur waren sich vergangene Woche die Brexiteers wie Außenminister Boris Johnson und EU-freundliche Ressortschefs, angeführt von Schatzkanzler Philip Hammond, einig, dass man „die beste Lösung für Großbritannien“anstrebe.
Labour-Boss Corbyn sagte, weder sei die EU „die Quelle all unserer Probleme“noch werde der Austritt „all unsere Probleme lösen. Brexit ist das, was wir gemeinsam daraus machen“. Er strebe einen klaren Politikwechsel „innerhalb oder außerhalb der EU“an. Zu Labours Programm gehören Milliardeninvestitionen in die öffentliche Infrastruktur, die Verstaatlichung privatisierter Versorgungsunternehmen für Wasser, Gas und Elektrizität sowie der massive Ausbau des sozialen Wohnungsbaus. Während der Industrieverband CBI Corbyns Zollunion-Idee begrüßte, reagierten konservative Kabinettsmitglieder und eingefleischte EUHasser in der Labour-Fraktion angesäuert.
Weil mindestens ein Dutzend Tory-Rebellen den Verbleib in einer Zollunion mit der EU unterstützt und somit der Minderheitsregierung eine Abstimmungsniederlage drohte, haben Mays parlamentarische Manager einschlägige Abstimmungen um einige Wochen verschoben.