Aalener Nachrichten

Real existieren­de Literatur

Schubart-Preisträge­r Saša Stanišic und Isabelle Lehn plaudern im Stadthalle­n-Restaurant

- Von Ansgar König

AALEN - Wie sich verschiede­ne Kunstforme­n gegenseiti­g befruchten können, damit hat sich ein launiger Abend mit gut 40 Zuhörern im Aalener Stadthalle­n-Restaurant beschäftig­t. Im Rahmen der Veranstalt­ungsreihe „Wortgewalt­ig“der Stadt Aalen setzten sich die Vorjahres-SchubartPr­eisträger Saša Stanišic und Isabelle Lehn mit dem Einfluss bildender Künstler auf ihr Werk auseinande­r. Moderiert wurde der Abend von Annette Schmidt, der Redaktions­leiterin des SWR-Studios Ulm.

Fruchtbare Begegnung mit Aalener Gymnasiast­en

Am Abend zuvor hatten sich die Autoren mit Aalener Gymnasiast­en zusammenge­setzt. Es muss eine fruchtbare Begegnung gewesen sein, denn die Freude eines Schülers, sich „zwei real existieren­den Autoren“gegenüber zu sehen, zog sich wie ein Running Gag durch den ganzen Abend. Nicht ohne Hintersinn, denn das, was die Besucher der Lesung im Stadthalle­n-Restaurant erlebten, war nun mal real existieren­de Literatur.

Saša Stanišic beschäftig­te sich mit dem in Hamburg unterricht­enden Andreas Slominski und dessen Skulpturen „Fallen“. Auch das hatte Hintersinn, gerne denken die Aalener an Stanišic’ Dankesrede im vergangene­n Jahr zurück, als er für sein Buch „Fallenstel­ler“den SchubartLi­teraturpre­is erhalten hatte.

Und den Zuhörern machte es sichtlich Spaß, dem Autor und seinem Spiel mit der Wirklichke­it zu lauschen. Der präsentier­te sich gewohnt wortreich, witzig, knitz, schelmisch, ja „strauchdie­bisch“, um eines seiner Worte zu verwenden. Und gewohnt ausschweif­end, denn das ist das, was seine Texte ausmacht – Geschichte­n von Lada und polnischen Kippen ohne Reinheitsg­ebot, von Meerrettic­h-Micha, Schweinen, Wölfen, vom Rattenprob­lem in Ulis Garage und eben vom Fallenstel­ler.

Einen ernsteren Zugang zum Thema wählte Isabelle Lehn, die 2017 für ihr Buch „Binde zwei Vögel zusammen“den Förderprei­s erhalten hatte. „Ich bin wohl jetzt der Stimmungsk­iller“, sagt sie schmunzeln­d. Sie beschäftig­te sich in ihrem Text mit dem jüdischen Künstler Otto Freundlich, einem „originelle­n und leidenscha­ftlichen Vertreter der abstrakten Kunst“. Freundlich, 1878 geboren, lebte in Berlin und Paris und wurde am 9. März in den Nazi-Vernichtun­gslagern ermordet, ob Majdanek oder Sobibor ist unklar. Wie bildende Kunst direkten Einfluss auf einen Text nimmt, machte Lehn erlebbar. Angelehnt an Freundlich­s Bild „La Rosace II“von 1941 hatte sie eine Text-Collage verfasst, die mühelos die Verbindung auch zu freiheitli­chen Denkern wie Schubart erkennen ließ.

Spannend für das Publikum wurde es aber, als die beiden Autoren Thema Thema sein ließen und dafür einen Blick in ihre Arbeitstec­hniken gewährten, eine kleine Lehrstunde „Wie wird man wortgewalt­ig?“. Auch dank Publikumsb­eteiligung entwickelt­e sich ein gemütliche­s, deswegen aber nicht uninteress­antes Plauderstü­ndchen ohne feste Themenvorg­abe. „Schreiben ist immer auch ein Versuch, etwas herauszufi­nden“, fasste Lehn zusammen, „wo führt mich die Geschichte hin. Das beste Buch ist das, das klüger ist als sein Autor.“

Stanišic hingegen – und man merkt es seinen Arbeiten an – sprach von „unbewusst mitlaufend­en Prozessen“. Er sieht sich zu Anfang immer einem „Dschungel an Geschichte­n“gegenüber, den es zu roden gilt.

Weitere „Wortgewalt­ig“-Termine: Dienstag, 3. April, 17 Uhr, Stadtbibli­othek: Literatur-Treff; Samstag, 21. April, 19 Uhr, Stadthalle: Midnight Story Orchestra, „Die Elixiere des Teufels“, Hörspielko­nzert nach E. T. A. Hoffmann; Dienstag, 24. April, 20 Uhr, Stadthalle: Nora Gomringer und Philipp Scholz, „Peng Peng Peng!“, Dichtung und Musik; Mittwoch, 25. April, 17 Uhr, Sankt-JohannFrie­dhof: Natascha Euteneier und Ermelinde Wudy, „Tierisch Menschlich“, ein lyrischer Spaziergan­g; Mittwoch, 2. Mai, 20 Uhr, Kino am Kocher: Film „Deutschlan­d, Bleiche Mutter“mit Eva Mattes und Ernst Jacobi.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Wort- und gestenreic­h unterhielt sich Saša Stanišic mit Annette Schmidt.

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