Neue Strategie bei Ikea
Möbelriese setzt auf Innenstädte statt grüne Wiese – Memmingen auf dem Prüfstand
HOFHEIM-WALLAU/MEMMINGEN Ikea will in Deutschland näher an die Kunden ran und stampft seine bisherigen Pläne für einige Standorte ein: „Neue Märkte werden künftig vor allem in den Innenstädten und Metropolregionen entstehen. Format und Größe werden unterschiedlich sein“, sagte Johannes Ferber, Expansionschef von Ikea Deutschland am Mittwoch. „Wichtig ist eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Auch Kunden ohne Auto müssen uns gut erreichen können.“
„Wir werden kaum noch neue Standardstores sehen und erst recht nicht auf der grünen Wiese“, sagte Ferber. Vom Tisch ist das geplante Haus in Bottrop. „Die dezentrale Lage des Grundstücks abseits des Stadtzentrums ist nicht mehr zukunftsfähig“, sagte Ferber. Neben dem Neubau des bestehenden Hauses in Essen ist weiterhin eine Neuansiedlung in Bochum oder Herne vorgesehen, ein langfristig angedachter Standort in Castrop-Rauxel ist hingegen vom Tisch.
„Im Ruhrgebiet bewertet Ikea das Potenzial inzwischen anders als noch vor ein paar Jahren“, sagte Ferber. Ob die Zahl der Möbelhäuser auf lange Sicht von derzeit 53 auf bundesweit 70 steigen wird, lasse sich angesichts der neuen Strategie schwer vorhersagen.
In Bayern wackelt die geplante Ikea-Ansiedlung am Memminger Autobahnkreuz: Das Vorhaben werde „grundsätzlich überprüft“, sagte Pressesprecherin Chantal Gilsdorf. Der Möbelkonzern wolle den Fokus künftig auf Metropolregionen und Innenstädte legen. Klar sei zum jetzigen Zeitpunkt, dass das eigentlich in Memmingen geplante „StandardEinrichtungshaus“mit einer Größe von 18 000 Quadratmetern nicht entstehen werde, sagte Gilsdorf. Eine Alternative wäre nach ihren Worten, ein kleineres Möbelhaus und Lagerflächen für von Online-Kunden bestellte Waren zu bauen – ähnlich der vor zwei Jahren eröffneten Abholstation in Ravensburg.
Gilsdorf nennt zwei Entwicklungen, die Ikea zu einer neuen Unternehmenspolitik veranlasst haben: Zum einen spiele der Online-Handel für den Konzern eine immer größere Rolle, „in den vergangenen drei Jahren lagen die Wachstumsraten jeweils zwischen 20 und 30 Prozent“. Zum anderen „ziehen immer mehr Menschen in Ballungsräume und machen zum Teil gar keinen Führerschein mehr. Mit den Standorten an Randlagen ist Ikea aber stark auf Autofahrer ausgerichtet“. Der Konzern wolle sich „für die Zukunft neu aufstellen“, heißt es.
Für das Memminger Projekt am Autobahnkreuz kündigte Gilsdorf eine „ergebnisoffene Prüfung“an. Wann eine Entscheidung fällt, stehe derzeit noch nicht fest. Falls Ikea nach Memmingen komme, werde der Konzern auf jeden Fall an einem Fachmarktzentrum festhalten, das an das Möbelhaus angegliedert werden soll.
„Wir sind mit den Verantwortlichen ständig in Kontakt“, sagte Memmingens Oberbürgermeister Manfred Schilder. „Auch wir müssen die weitere Entwicklung abwarten.“Der Rathauschef wies zudem darauf hin, dass es einen rechtskräftigen Vertrag mit Ikea gebe und Baurecht geschaffen werde. Ursprünglich war geplant, dass das Möbelhaus Ende 2019 in Memmingen eröffnet.
„Damit hat keiner gerechnet. Das ist mehr als überraschend.“Mit diesen Worten reagierte Mechthild Feldmeier auf die Ikea-Ankündigung. Die Vorsitzende des Memminger Einzelhandelsverbands hatte in der Vergangenheit die Ansiedlung eines Ikea-Möbelhauses befürwortet – dagegen aber den zusätzlichen Bau eines Fachmarktzentrums strikt abgelehnt. Ihr Argument: Die Märkte würden den Händlern in der Innenstadt zu sehr schaden. Falls das Möbelhaus nun nicht komme, wäre das in ihren Augen ein Verlust für Memmingen. Schließlich könnte Ikea viele Menschen anziehen, die sonst nicht den Weg in unsere Region finden. Zudem habe man sich beim Stadtmarketingverein bereits viele Gedanken darüber gemacht, wie man diese Kunden in die Altstadt locken könnte.
Erste Erfahrungen in der Innenstadt hat Ikea seit 2014 mit dem CityStore in Hamburg-Altona gesammelt. „Wir werden Altona so aber nicht wiederholen. Wir wollen individuelle Standorte entwickeln, zum Beispiel ohne komplettes Warenlager“, sagte der Manager. Vorstellbar seien Ikea-Stores in der Fußgängerzone, einem Warenhaus oder einem Einkaufszentrum.
Um die Lieferzeiten bei OnlineBestellungen zu verkürzen, plant Ikea mittelfristig sechs bis neun neue Verteilzentren in Deutschland. Dafür sollen 300 bis 400 Millionen Euro investiert werden.
Bei neuen Projekten in den Innenstädten kann sich der Möbelriese auch zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten vorstellen, zum Beispiel Büros oder Wohnungen auf dem Dach eines Ikea-Hauses. „Wir trauen uns zu, solche Modelle zu entwickeln. Umgesetzt werden sollten sie dann mit lokalen Partnern“, sagte Ferber.
Der Möbelhändler war im abgelaufenen Geschäftsjahr 2016/2017 (31. August) in Deutschland nicht mehr so schnell gewachsen wie zuvor. Auf ihrem wichtigsten Einzelmarkt setzten die Schweden knapp 4,9 Milliarden Euro um, was einen Zuwachs von 2,4 Prozent bedeutete. Zuvor hatte Ikea Deutschland ein Wachstum von 7 Prozent geschafft.