Bamf unter Verdacht
Ex-Spitzenbeamtin soll zu Unrecht Asyl gewährt haben
BREMEN/NÜRNBERG (dpa) - Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine ehemalige Mitarbeiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wegen unzulässiger Asylgewährung in mindestens 1200 Fällen. Die frühere Leiterin der Bremer Außenstelle der Behörde soll im Zeitraum von 2013 bis 2016 zu Unrecht Asylanträge positiv entschieden haben, wie eine Sprecherin der Bremer Staatsanwaltschaft am Freitag bestätigte. Das Bundesamt selbst stellte Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die suspendierte Beamtin und fünf weitere Beschuldigte wegen Bestechlichkeit und „bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung“. Aus welchem Motiv die Frau handelte, ist unklar.
In den meisten Fällen ging es um Jesiden, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte. Die Herkunftsländer müssten indes noch aufgeschlüsselt werden.
BERLIN - Nach dem Skandal bei der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) um eine leitende Mitarbeiterin und weitere Verdächtige zeigen sich Politiker über Parteigrenzen hinweg besorgt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte am Freitag mit Bestürzung. Es werde gegen einzelne unter einem „erheblichen Verdacht“ermittelt, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
In der Bremer Bamf-Außenstelle soll die Leiterin seit 2013 in rund 1200 Fällen Asylanträgen von Jesiden aus Syrien stattgegeben haben, obwohl dafür die rechtlichen Voraussetzungen fehlten und diese kein Anrecht darauf gehabt hätten. Zum Motiv der Asylgewährung lagen laut der Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Claudia Kück, noch keine Erkenntnisse vor.
Auch gegen fünf weitere Personen ermittelt die Justiz wegen des Verdachts auf Korruption. Darunter seien Dolmetscher und Anwälte aus Bremen, Oldenburg und Hildesheim. Sie werden verdächtigt, die jesidischen Asylbewerber aus Niedersachsen und NRW an die Bremer Bamf-Außenstelle vermittelt und in die Hansestadt gebracht zu haben, obwohl die Behörde dort nicht zuständig gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob der Tatbestand der Bestechlichkeit vorliegt.
„Gegen eine Mitarbeiterin des Bamf wird aktuell wegen Verleitung zum Asylmissbrauch ermittelt“, bestätigte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Stephan Mayer (CSU), der „Schwäbischen Zeitung“am Freitag. „Das Bamf arbeitet eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen und hat selbst die Strafanzeige bereits im Herbst 2017 gestellt. Die Mitarbeiterin ist vom Dienst suspendiert worden“, erklärte Mayer. Das Bamf praktiziere im Zuge der Asylverfahren bereits im Vier-AugenPrinzip in der Außenstelle und mit Stichprobenkontrollen durch die Zentrale, erklärte Mayer. Inzwischen hätten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag auf eine Qualitätsoffensive für die Prüfung verständigt. „Es gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, so der CSUPolitiker. Bei erheblicher krimineller Energie und massivem Zusammenwirken der Beteiligten könnten diese Maßnahmen aber nicht ausreichend wirken. Die in der Bremer Bamf-Filiale gestellten Anerkennungsbescheide würden nun schnellstmöglich überprüft und gegebenenfalls zurückgenommen, kündigte Mayer an. Die Grünen fordern Aufklärung von dem für das Bamf zuständige Bundesinnenministerium. Sie wollen das Thema am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestages ganz oben auf die Tagesordnung setzen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, forderte einen Bericht der Bundesregierung über die Vorgänge.
1,8 Millionen Entscheidungen
Aufklärung verlangt auch die CDU: „Der Korruptionsverdacht bei der Bremer Außenstelle des Bamf muss rasch, gründlich und lückenlos aufgeklärt werden“, sagte Unionsfraktionsvizechef Stephan Harbarth im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der CDU-Politiker warnte jedoch, man dürfe „nicht vorschnell Schlüsse auf die Qualität der Arbeit des Bundesamtes insgesamt ziehen“. Das Bamf hat im selben Zeitraum, in dem es in Bremen zu rund 2000 Korruptionsfällen gekommen sein soll, fast 1,8 Millionen Entscheidungen getroffen. „Viele dieser Entscheidungen sind gerichtlich überprüft und nicht beanstandet worden“, sagte er.
Darüber hinaus habe das Bamf seine Qualitätssicherung beständig weiterentwickelt. Dies bedeute jedoch nicht, dass die entsprechenden Verfahren nicht noch weiter verbessert werden können. „Sollte der Bremer Fall aufgrund von Baufehlern im System möglich geworden sein, müssen wir diese mit aller Konsequenz beseitigen“, so Harbarth.
Verdacht seit 2016
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits im Sommer 2016 Verdacht geschöpft und beim damaligen Präsidenten des Bundeamtes für Migration und Flüchtlinge, Jürgen Weise, um Aufklärung gebeten. Die Verfahrensweise der Bamf-Außenstelle Bremen sei aus seiner Sicht „nicht im Ansatz nachvollziehbar“und werfe grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit mit den kommunalen Ausländerbehörden auf, die dringend geklärt werden müssten, heißt es in einem Schreiben des Ministers vom September 2016, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt.
Ausländerbehörden in Niedersachsen waren auf zwei Fälle von Asylverfahren der Bremer Bamf-Außenstelle aufmerksam geworden, bei denen dort ein Rechtsanwalt die Abänderung des Erstbescheides und einen Abschiebestopp für zwei Familien erwirkt hatte. Pistorius drängte auf Aufklärung und bat den BamfChef, sich der Sache anzunehmen und ihn zu informieren.