Koalition streitet um Notenvergabe
Grüne sind gegen CDU-Pläne für Zensuren und Sitzenbleiben an Gemeinschaftsschulen
STUTTGART - Der Wangener CDUAbgeordnete Raimund Haser plädiert für eine Weiterentwicklung der Gemeinschaftsschule. „Ich will, dass man darüber nachdenkt, ob es sinnvoll ist, Lehrern Instrumente aus der Hand zu schlagen, die sie mitunter brauchen“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Lehrer sollten die Möglichkeit bekommen, Kindern Noten zu geben und sie eine Klassenstufe wiederholen zu lassen. Bislang gibt es in der Gemeinschaftsschule kein Sitzenbleiben. Die Grünen halten von seinem Vorstoß nichts.
Er stehe zur Gemeinschaftsschule, seine Partei rede die junge Schulart auch nicht schlecht, betont Haser – und wehrt sich damit gegen Vorwürfe, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die SPD und auch der grüne Koalitionspartner erheben. „Dort, wo es alle Schularten an einem Ort gibt, merken wir, dass die Gemeinschaftsschule nicht den Sog hat, wie es im Parlament immer heißt.“
Die „mäßige Akzeptanz“der 2012 eingeführten Schulart erklärt er sich anders: „Mit einer Schule ohne Noten haben ganz viele Eltern Schwierigkeiten“, sagt Haser, der für die CDU-Fraktion Berichterstatter für die Gemeinschaftsschule ist. „Gerade auf dem Land ist das nicht vermittelbar.“An Gemeinschaftsschulen bekommen Schüler ihre Leistung in ausführlichen Lernentwicklungsberichten rückgemeldet. Auf Antrag der Eltern können Lehrer auch Noten vergeben.
Haser fordert: Auch Lehrer sollen entscheiden dürfen, ob sie einem Schüler Noten geben. „Ich kenne Lehrer, die das schon ganz pragmatisch vor Ort tun“, so Haser. Durch Noten würden manche Schüler und auch ihre Eltern besser verstehen, wie es um die Leistungen steht. „Eine Schule, die ausschließlich auf intrinsische Motivation setzt, halte ich für einen Fehler“, sagt Haser. „Wir haben es dort auch mit pubertierenden Jugendlichen zu tun, die manchmal den Weg des geringsten Widerstands gehen. Und die müssen wir mitunter an die Hand nehmen.“
„Unqualifizierte Kommentare“
Für Haser ist deshalb klar: „Es muss auch Sanktionen geben. Wenn jemand das Klassenziel nicht erreicht, muss man dem Schüler sagen können: Dann wirst du nicht versetzt.“Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sandra Boser, erteilt Hasers Vorstoß eine klare Absage. „Wer als Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen nur altes Schubladendenken hervorkramt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt“, erklärt sie und wirft Haser vor, „unqualifizierte Kommentare von der Seitenlinie abzugeben“.
Fortbildungen wichtiger als Noten
Bei der Mehrheit der Eltern seien Noten gar nicht gewünscht. Die Gemeinschaftsschulen arbeiteten mit einem engmaschigen Entwicklungsmonitoring und regelmäßigen Leistungskontrollen. „Die ausführlichen Rückmeldungen geben Schülern und Eltern ein viel differenzierteres Bild des Lernstands als jede Ziffernote“, so Boser. Viel wichtiger sei ihrer Meinung nach der Fokus auf ein modernes Fortbildungsmanagement, eine datengestützte Schulentwicklung und die Arbeit in multiprofessionellen Teams.
Auch die Heidelberger Bildungsforscherin Anne Sliwka hält nichts von Noten. „Wir brauchen Zeugnisse, die differenzierter sind als Noten“, sagt sie. Wichtiger sei, dem Schüler zurückzumelden, wo er noch Defizite habe. Wichtig ist ihr dabei das Wort „noch“. Zu häufig würden Schüler mit ihren Defiziten alleingelassen, weil eine Kompetenz, etwa Bruchrechnen, abgefragt würde. Nach der Klassenarbeit gehe es aber weiter zum nächsten Thema, ohne dass der Schüler sein Defizit aufgeholt habe.
Einen Schüler eine Klasse wiederholen zu lassen, sei nicht zielführend, sagt Sliwka mit Verweis auf Studien. „Das ist stigmatisierend und führt nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen.“Vielmehr sollten die Kompetenzen der Kinder erhoben und bei Bedarf verpflichtende Förderung angeboten werden. Sie spricht sich daher gegen Vergleichsarbeiten am Ende eines Schuljahres aus – solche Arbeiten hatte jüngst die CDU gefordert. Effizienter sei eine Lernstandserhebung am Anfang eines Schuljahres. „Der Lehrer, der die Daten bekommt, kann dann auch selbst mit den Schülern an Verbesserungen arbeiten“, sagt sie.
Lehrer wieder mit stärkerer Rolle
Studien zeigten, dass Lehrer dazu tendieren, Arbeiten zu manipulieren, wenn diese am Schuljahresende geschrieben werden. Schließlich will keiner für schlechte Ergebnisse verantwortlich sein.
Reformbedarf an den Gemeinschaftsschulen sieht die Bildungswissenschaftlerin indes beim individuellen Lernen der Kinder, wie es das Konzept der Schulart vorsieht. „International ist die Lehrerrolle wieder eine ganz starke.“Die meisten Länder seien wieder davon abgekommen, Kinder alleine an Arbeitsblättern arbeiten zu lassen.