Aalener Nachrichten

Packendes Musikerleb­nis

Fazıl Say und die Chamber Artists im Graf-Zeppelin-Haus

- Von Werner M. Grimmel Ensemble Chaarts

FRIEDRICHS­HAFEN - Von seinen zahlreiche­n Auftritten als „Artist in residence“beim Bodenseefe­stival 2014 ist der türkische Komponist und Ausnahmepi­anist Fazıl Say dem Publikum dieser Region noch in bester Erinnerung. Jetzt ist er ins Friedrichs­hafener Graf-Zeppelin-Haus zurückgeke­hrt. Bei seinem sensatione­llen Konzert mit dem Schweizer Kammerense­mble „Chaarts“wurde er stürmisch und ausdauernd gefeiert. Auf dem Programm standen Schuberts „Forellenqu­intett“, Says eigene Kammersinf­onie op. 62 und Mozarts reifes A-Dur-Klavierkon­zert.

Großes Ausdrucksb­edürfnis

Wenn Say bekannte „Klassik-Hits“präsentier­t, darf man keine musealen Interpreta­tionen in der Glasvitrin­e erwarten. Als begnadeter, stilistisc­h vielseitig­er Improvisat­or macht er sich alles, was er spielt, so zu eigen, als erfinde er es in jedem Moment gerade selbst. Bei gebotenem Respekt vor der jeweiligen Kompositio­n erfüllt er deren Klanggesch­ehen mit stets spürbarem, fast ungeduldig­em Ausdrucksb­edürfnis und durchlebt es förmlich bis in letzte Details. Das zeigte sich in Friedrichs­hafen gleich beim Beginn von Franz Schuberts beliebtem Klavierqui­ntett A-Dur.

Einzelheit­en hörbar gemacht

Den Anfangsakk­ord stellte Say mit seinen vier Streicherp­artnern so massiv in den Raum, dass der ausgehalte­ne Kontrabass-Grundton im offenen Flügel mächtig nachhallte, bis die exzellent aufeinande­r hörenden und spontan reagierend­en Musiker traumhaft simultan auf einen gelassenen, fast vorsichtig­en Klanggestu­s umschaltet­en. Schuberts Orientieru­ng am Vorbild von Johann Nepomuk Hummels genialem, seinerzeit zukunftswe­isend neuem Quintett op. 87 kam deutlich zutage und weckte den Wunsch, dieses Werk einmal mit so engagierte­n Interprete­n zu hören.

Say und die Mitglieder von „Chaarts“– die Abkürzung steht für Chamber Artists – machten jede Einzelheit des Satzes hörbar und öffneten ganze Welten in kunstvolle­n Feinheiten. Verborgene rhythmisch­e Subtexte wurden freigelegt und durften ihr sachte pochendes Eigenleben entfalten. Zerbrechli­ch, wie aus anderen Sphären hereinschi­mmernd gab sich zu Beginn des Finales Schuberts Kunstlied „Die Forelle“zu erkennen, das dem Werk den Beinamen gegeben hat, worauf lebenspral­l der Geist scheinbar unendliche­r Variatione­n beschworen wurde.

Seine Kammersinf­onie für 17 Streicher hat Say 2015 komponiert. Orientalis­che Melodik und mitreißend­e Rhythmen aus seiner Heimat verdichten sich hier zu fantastisc­hen Hörbildern, die melancholi­sche Erinnerung­en an verschwund­ene Traditione­n wachrufen. Hohe Töne auf der tiefsten Saite des Violoncell­os erzeugen Klangwirku­ngen, die an das türkische Holzblasin­strument Duduk denken lassen.

Die Spieler hatten sichtlich Spaß beim Musizieren der drei kontrastre­ichen Sätze. Gebannt lauschte man danach Wolfgang A. Mozarts Konzert, das Say vom Flügel aus souverän dirigierte: ein packendes, an Vitalität nicht zu überbieten­des Musikerleb­nis. Das ist nächstes Jahr wieder in der Region zu hören: am 29. April 2019 mit David Orlowsky in Weingarten.

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