„Nackte Sünderin“verboten
Oberkochen hat ein neues Heimatbuch
OBERKOCHEN - Aus Anlass des Jubiläums der Erhebung Oberkochens zur Stadt ist, wie berichtet, ein neues Heimatbuch erschienen. Dafür ist in den vergangenen drei Jahren die Geschichte Oberkochens aufwendig aufgearbeitet und bewertet worden. Herausgekommen ist im Auftrag der Stadt eine sehr spannende Lektüre, auch wenn vieles in dem 280 Seiten umfassenden, sehr ansprechend gestalteten Buch so neu nicht sein mag. Spannend daran ist, dass die Geschichte der Stadt nicht nur umfassend dargestellt, sondern in den Gesamtzusammenhang der deutschen, zum Teil sogar der Weltgeschichte gestellt wird.
Einfache Texte, auch für Nicht-Oberkochener interessant
Die Texte sind dabei so leicht verständlich geschrieben, dass man sie gerne liest, ja sogar am liebsten in einem Zug „verschlingen“möchte. In erster Linie richtet es sich an Oberkochener. Wer sich für Heimatgeschichte interessiert, wird aber auch als Nicht-Oberkochener gerne darin schmökern.
Zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln sind die Geschichten, gab es doch auch skurrile Vorkommnisse. Etwa über Jahrhunderte hinweg zwei Bürgermeister, einen katholischen und einen evangelischen. Dazu zwei Ratszimmer und zwei Gemeindekassen. Erst Napoleon machte Anfang des 19. Jahrhunderts damit Schluss.
Überhaupt die Konfessionen: Sie teilten Oberkochen lange. Sogar eine richtige Zollstation gab es damals zwischen dem katholischen und dem evangelischen Oberkochen. Die Einwohner im katholischen Ellwanger Teil durften nur Güter für den Eigenbedarf zollfrei einführen. Die Herrschaftsgrenze war eine Trennlinie, die peinlich genau kontrolliert wurde, schreiben die Autoren des Heimatbuchs, Rainer Lächele, Hanna Reiss und Marc Ebinger von der Firma „Die Firmenhistoriker“sowie Gerd Heimisch und Peter Traub.
Skurril ist aber auch die Geschichte eines vermuteten Verbrechens: 1980 spielten Kinder in Hüttlingen mit einem menschlichen Schädel. Spontan wurde gemutmaßt, dass ein Verbrechen vorausgegangen sein musste. Dann stellte sich heraus, dass der Schädel aus einer Baugrube in Oberkochen stammte. Dank des kürzlich verstorbenen Dietrich Bantel, der einen großen Beitrag zu diesem Buch geleistet hat, vermutet man eher, dass auf Oberkochener Gebiet Alamannen gesiedelt haben könnten. Die Siedlungsgeschichte reicht hier bis in die Jungsteinzeit zurück.
NS-Diktatur: Gemeinderat gleichgeschaltet
Aufgelockert wird das Buch immer wieder durch historische Exkurse, die eine Einordnung erleichtern. Einer trägt die Überschrift: Der Börsencrash und die Folgen: die Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg der NSDAP. Die Jahre der braunen Diktatur werden nicht verschämt umgangen. Vielmehr wird spannend geschildert, wie die Gleichschaltung des Gemeinderats und der Vereine erfolgte und wie der Bürgermeister aus dem Amt gedrängt wurde.
Oberkochen, zeigen die Verfasser auf, war zwar kein Hort des Widerstandes, aber auch hier gab es unbeugsame Frauen und Männer, etwa Pfarrer Mattäus Jans, der den Treueeid auf den nationalsozialistischen Staat verweigerte. Zum Schmunzeln lädt auch dieser Exkurs über das Filmtheater Oberkochen ein: Die Oberkochener bekamen „Die Sünderin“, einen Skandalfilm der 50er-Jahre, nicht zu sehen. In dem Streifen war Hildegard Knef für einen Moment unbekleidet zu sehen. Bürgermeister und Pfarrer erhoben damals Einspruch gegen solches „Teufelszeug“. Das Kino schloss übrigens 1968 endgültig seine Pforten, in dem Jahr, in dem Oberkochen zur Stadt erhoben wurde.
Aktuelle Themen: Diskussion um Firma YG-1 wird beschrieben
Die Entwicklung seit diesem Einschnitt wird natürlich ausführlich dargestellt, zumal es mit Oberkochen nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Ägide von Bürgermeister Gustav Bosch dank der vielen Industriebetriebe und dank der Ansiedlung von Zeiss stürmisch aufwärts gegangen war. Allerdings war kurz nach der Stadtwerdung die Eigenständigkeit Oberkochens auf der Kippe. Bei der Kommunalreform stand eine Eingemeindung nach Aalen ebenso zur Debatte wie eine Eingemeindung Ebnats nach Oberkochen.
Aus heutiger Sicht ist das Buch höchst aktuell, denn darin finden auch die heftigen Diskussionen um die Ansiedlung der südkoreanischen Firma YG-1 ihren Niederschlag. Überhaupt wird der Wirtschaftsgeschichte in eigenen Kapiteln breiter Raum eingeräumt, ebenso den Kirchen und den Vereinen.