Anderthalbtägiger Marathon durch 58 abscheuliche Fälle
Hauptangeklagter nimmt Schuld auf sich – Heute wird im Staufener Missbrauchsfall die Mutter des betroffenen Kindes unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen
FREIBURG - Auch am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht hat der Hauptangeklagte im Staufener Missbrauchsfall, Christian L., sein Ziel konsequent weiterverfolgt: Angesichts der erdrückenden Beweislast der in Filmen festgehaltenen Taten nimmt er die Hauptschuld auf sich. Zugleich erklärt er, die Mitangeklagte und Mutter des Opfers, Berrin T., habe ihre Übergriffe auf das Kind auf seine Anweisung oder auf sein Betreiben begangen.
Anderthalb Tage hat es gedauert, bis sich Christian L. zu allen 58 Fällen der Anklage geäußert hatte: Das macht die Dimension dieses Missbrauchsfalls deutlich, dem größten in den Annalen des Landeskriminalamts, wie es heißt. Und der 39-Jährige wirkte am Ende seiner Aussage durchaus erschöpft. Heute ist die Reihe an Berrin T., der Mutter des damals achtjährigen Opfers. Doch von dem, was sie zu den massiven Vorwürfen der Staatsanwaltschaft zu sagen hat, wird die Öffentlichkeit vorerst nichts erfahren: Auf Antrag ihres Anwalts Matthias Wagner wird ihre Aussage ohne Publikum stattfinden, weil privateste Themen zur Sprache kommen sollen.
Christian L. dagegen vermittelte nicht den Eindruck, als falle es ihm allzu schwer, über die Umstände seines Lebens und selbst über die ihm zur Last gelegten Taten zu reden. Zugleich aber zog er es vor, zumeist eher abstrakt zu benennen, wie er das Kind im Einzelnen missbraucht hat. Wie er die Mutter dazu gebracht habe, den Missbrauch nicht nur hinzunehmen, sondern ab einem gewissen, noch zu klärenden Zeitpunkt im Laufe der Jahre 2015 oder 2016 aktiv mit zu betreiben, erklärt er so: „Ich habe sie unter Druck gesetzt, indem ich ihr gedroht habe: Wenn das (gemeint: der sexuelle Übergriff auf ihr Kind) nicht passiert, dann verlasse ich dich.“Denn zunächst habe sie, die von Anfang an um seine pädosexuelle Orientierung und seine Vorstrafen gewusst habe, den Missbrauch abgelehnt. Zugleich aber erzählt Christian L. von seiner Vermutung, dass der Sohn schon vor ihm missbraucht worden sein könnte: Er habe sich gleich beim ersten Mal geschickt angestellt. Die neben ihm auf der Anklagebank sitzende Berrin T. kommentiert dies mit leichtem Kopfschütteln.
Die 108 Seiten starke Anklageschrift hatte Christian L. schon am ersten Verhandlungstag als im Gro- ßen und Ganzen zutreffend bezeichnet. In vielen Einzelpunkten aber widersprach er – mit „definitiv“als wiederkehrender Floskel. Vor allem wehrte er sich gegen den Vorwurf, dass er die Filme vom Missbrauch an dem Kind übers Internet versendet habe: Dies seien Aufnahmen für ihn und den jeweiligen „Kunden“, der das Kind ebenfalls missbraucht hatte. Manche Filme waren aber auch genau vorgeschriebene Auftragsarbeiten für einen Pädosexuellen aus Spanien, dessen Prozess in Freiburg nach der Sommerpause beginnen wird. Die Anklage stützt sich als Nachweis des sexuellen Miss- brauchs auf diese Filme, die die Polizei nach der Verhaftung der beiden im Herbst 2017 sichergestellt hat. Christian L. deutete am Montag an, dass er darüber hinaus das Kind noch manchmal missbraucht habe, ohne dabei zu filmen.
Zur Verhandlung sind auch Vertreter von Jugendamt, Familiengericht und Führungsaufsicht als Zeugen geladen: Das Gericht will offenbar aufklären, warum der Missbrauch so lange übersehen und das Kind nach einer einmonatigen Inobhutnahme durch das Jugendamt im Frühjahr 2017 wieder zur Mutter zurückgeschickt werden konnte.