Ellwangens Ärzte schlagen Alarm
Mediziner warnen vor medizinischen Versorgungsengpässen und fordern die Politik zum sofortigen Handeln auf
ELLWANGEN - Die Schließung der Gastroenterologischen Praxis von Irina Wanke zum Ende des Monats war der letzte Tropfen, der noch gefehlt hat. Jetzt schlagen Ellwangens Ärzte Alarm. Bei einem Pressegespräch am Dienstag haben die Mediziner Matthias und Margit Krombholz gemeinsam mit ihrer Kollegin Lioba Brauchle eindringlich vor medizinischen Versorgungsengpässen gewarnt und in diesem Zuge ganz konkrete Forderungen gestellt. An die Bundespolitik, aber auch die Landkreisverwaltung.
Man merkt es den drei Medizinern an. Da hat sich in den vergangenen Jahren viel Frust angestaut. „Wenn es um das Thema der medizinischen Versorgung geht, werden wir niedergelassenen Ärzte doch gar nicht gehört. Wir melden uns auch nur selten zu Wort, weil uns dafür schlicht die Zeit fehlt. Wir arbeiten in einem Hamsterrad, das sich immer schneller dreht“, sagt die Ellwanger Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Margit Krombholz, einigermaßen konsterniert. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Allgemeinmediziner Matthias Krombholz, betreut und versorgt sie mittlerweile 4000 Menschen – und das wohlgemerkt in einem Quartal.
„Wir pendeln im Minutentakt zwischen den Behandlungsräumen. Für den einzelnen Patienten bleibt immer weniger Zeit. Das merken die Menschen natürlich, manche beschweren sich auch. Aber wir können einfach nicht mehr leisten“, sagt Matthias Krombolz.
Die Gemeinschaftspraxis, in der auch Lioba Brauchle als Allgemeinärztin praktiziert, hat mittlerweile sogar einen Aufnahmestopp verhängen müssen. Mit den Schließungen von Arztpraxen in den umliegenden Gemeinden, etwa in Stimpfach oder Rosenberg, sei der Ansturm schlicht zu groß geworden, sagt Krombholz. „Wir arbeiten hier am Anschlag, mehr geht nicht“, sagt der Ellwanger Allgemeinmediziner, der sich seit vergangenem Jahr zusätzlich noch um die Senioren im neuen Rosenberger Altenheim „Edelrose“kümmern muss – weil es in der Gemeinde keinen Arzt mehr gibt. „Und irgendjemand muss den Menschen ja ihre Rezepte ausstellen.“
Eine ganz ähnliche Situation zeichnet sich derzeit übrigens auch im Rabenhof ab. Hier will sich der 74jährige Allgemeinmediziner Reiner Zitzmann zum 30. Juni aufs Altenteil zurückziehen. Für die Bewohner des Rabenhofs gibt es dann keine hausärztliche Versorgung mehr. Ein Nachfolger für Zitzmann ist trotz intensiver Suche nicht gefunden, wie Rabenhof-Leiter Thomas Knies auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigt. „Wir werden nach dem 30. Juni ziemlich in den Seilen hängen“, sagt Knies. Natürlich habe die RabenhofLeitung auch bei der Gemeinschaftspraxis Krombholz/Brauchle wegen einer möglichen Nachfolge für Zitzmann angeklopft. Es gab eine Absage.
„Wir können diese Aufgabe nicht mehr mit übernehmen. Unser Limit ist erreicht“, sagt Lioba Brauchle. Alle drei Ärzte machen deutlich, dass die Lage in Ellwangen und den umliegenden Gemeinden schon jetzt ernst sei. Die medizinische Versorgung könne in vielen Bereichen nur noch deshalb aufrecht erhalten werden, weil bereits verrentete, zum Teil hochbetagte Ärzte weiter praktizieren, wie der Neurologe Gerhard Ischebeck, der mittlerweile stramm auf die 90 zugeht. „So kann es doch nicht weitergehen“, sagen das Ehepaar Krombholz und Lioba Brauchle und fordern die Politik zum Handeln auf. Und das nicht irgendwann, sondern jetzt, sofort.
Numerus clausus endlich abschaffen
Ihre zentrale Forderung: Die Studienbeschränkung für das Medizinstudium müsse endlich fallen, der hohe Numerus clausus (NC) gehöre umgehend abgeschafft. Es könne nicht sein, dass bereits Abiturienten mit einem Notenschnitt von 1,2 um einen Medizinstudienplatz in Deutschland bangen müssten. „Wir verschenken auf diese Weise unendlich viel Potential, das können wir uns in der momentanen Situation nicht leisten“, sagt Margit Krombholz. Das mit der Abschaffung des Numerus clausus womöglich auch die Qualität bei der Ärzteschaft nachlässt, glaubt Matthias Krombholz nicht. „Das regelt der Markt. Die Guten werden am Ende bleiben.“Alle drei Ärzte sind sich einig, dass mit der Abschaffung des NC nicht mehr gewartet werden dürfe. Denn: Junge Ärzte bräuchten in den ersten Berufsjahren nach dem Studium noch eine fachkundige Begleitung durch Professoren, Chefund Oberärzte. Und diese Gruppe von qualifizierten Ausbildern werde immer älter und folglich auch immer kleiner. „Uns rennt sprichwörtlich die Zeit davon“, sagen die Ärzte.
Ein weiteres Thema, dass die Ärzte bewegt, eher schon in Wallung bringt, ist die überbordende Bürokratie. Mediziner würden mit Verordnungen regelrecht überzogen. Die drei Ellwanger Ärzte verweisen in diesem Zuge auf das jüngste Bürokratieungeheuer, das die Politik beschlossen hat: die EU-DatenschutzGrundverordnung. „Wir müssen dafür extra eine Mitarbeiterin abstellen, die sich um diesen Bereich kümmert. Das bindet wertvolles Personal und kostet uns viel Geld. Es ist zermürbend“, ärgert sich Margit Krombholz.
Konkrete Forderung an den Landkreis
Hier erwarten die niedergelassenen Ärzte Hilfe und stellen eine konkrete Forderung an Landrat Klaus Pavel. „Wir würden uns freuen, wenn zum Beispiel bei der Kreisverwaltung eine Stelle geschaffen würde, die den niedergelassenen Ärzten diese ganze bürokratische Arbeit abnimmt. Es ist so viel Geld im System, da wäre das doch nur ein Nasenwasser und für uns niedergelassene Ärzte wäre es eine enorme Entlastung“, betont Matthias Krombholz.
Ohnehin sei es nicht akzeptabel, wenn der Kreis hohe öffentliche Mittel in neue Medizinische Versorgungszentren stecke, um jungen Ärzten eine ausgewogene „Work-Life-Balance“bieten zu können, während niedergelassene Ärzte komplett leer ausgingen. Es wäre nur „gerecht“, wenn die etablierten Praxen für den enormen Verwaltungsaufwand, der ihnen aufgebürdet wird, ebenfalls „von der Kassenärztlichen Vereinigung, den Krankenkassen, vom Land oder wem auch immer“eine Entschädigung bekämen, finden das Ehepaar Krombholz und Brauchle. Dann würden vermutlich auch wieder mehr junge Ärzte den Weg in die Selbstständigkeit wagen, sind sie überzeugt.