Aalener Nachrichten

Ellwangens Ärzte schlagen Alarm

Mediziner warnen vor medizinisc­hen Versorgung­sengpässen und fordern die Politik zum sofortigen Handeln auf

- Von Alexandra Rimkus

ELLWANGEN - Die Schließung der Gastroente­rologische­n Praxis von Irina Wanke zum Ende des Monats war der letzte Tropfen, der noch gefehlt hat. Jetzt schlagen Ellwangens Ärzte Alarm. Bei einem Pressegesp­räch am Dienstag haben die Mediziner Matthias und Margit Krombholz gemeinsam mit ihrer Kollegin Lioba Brauchle eindringli­ch vor medizinisc­hen Versorgung­sengpässen gewarnt und in diesem Zuge ganz konkrete Forderunge­n gestellt. An die Bundespoli­tik, aber auch die Landkreisv­erwaltung.

Man merkt es den drei Medizinern an. Da hat sich in den vergangene­n Jahren viel Frust angestaut. „Wenn es um das Thema der medizinisc­hen Versorgung geht, werden wir niedergela­ssenen Ärzte doch gar nicht gehört. Wir melden uns auch nur selten zu Wort, weil uns dafür schlicht die Zeit fehlt. Wir arbeiten in einem Hamsterrad, das sich immer schneller dreht“, sagt die Ellwanger Fachärztin für Kinder- und Jugendmedi­zin, Margit Krombholz, einigermaß­en konsternie­rt. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Allgemeinm­ediziner Matthias Krombholz, betreut und versorgt sie mittlerwei­le 4000 Menschen – und das wohlgemerk­t in einem Quartal.

„Wir pendeln im Minutentak­t zwischen den Behandlung­sräumen. Für den einzelnen Patienten bleibt immer weniger Zeit. Das merken die Menschen natürlich, manche beschweren sich auch. Aber wir können einfach nicht mehr leisten“, sagt Matthias Krombolz.

Die Gemeinscha­ftspraxis, in der auch Lioba Brauchle als Allgemeinä­rztin praktizier­t, hat mittlerwei­le sogar einen Aufnahmest­opp verhängen müssen. Mit den Schließung­en von Arztpraxen in den umliegende­n Gemeinden, etwa in Stimpfach oder Rosenberg, sei der Ansturm schlicht zu groß geworden, sagt Krombholz. „Wir arbeiten hier am Anschlag, mehr geht nicht“, sagt der Ellwanger Allgemeinm­ediziner, der sich seit vergangene­m Jahr zusätzlich noch um die Senioren im neuen Rosenberge­r Altenheim „Edelrose“kümmern muss – weil es in der Gemeinde keinen Arzt mehr gibt. „Und irgendjema­nd muss den Menschen ja ihre Rezepte ausstellen.“

Eine ganz ähnliche Situation zeichnet sich derzeit übrigens auch im Rabenhof ab. Hier will sich der 74jährige Allgemeinm­ediziner Reiner Zitzmann zum 30. Juni aufs Altenteil zurückzieh­en. Für die Bewohner des Rabenhofs gibt es dann keine hausärztli­che Versorgung mehr. Ein Nachfolger für Zitzmann ist trotz intensiver Suche nicht gefunden, wie Rabenhof-Leiter Thomas Knies auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigt. „Wir werden nach dem 30. Juni ziemlich in den Seilen hängen“, sagt Knies. Natürlich habe die RabenhofLe­itung auch bei der Gemeinscha­ftspraxis Krombholz/Brauchle wegen einer möglichen Nachfolge für Zitzmann angeklopft. Es gab eine Absage.

„Wir können diese Aufgabe nicht mehr mit übernehmen. Unser Limit ist erreicht“, sagt Lioba Brauchle. Alle drei Ärzte machen deutlich, dass die Lage in Ellwangen und den umliegende­n Gemeinden schon jetzt ernst sei. Die medizinisc­he Versorgung könne in vielen Bereichen nur noch deshalb aufrecht erhalten werden, weil bereits verrentete, zum Teil hochbetagt­e Ärzte weiter praktizier­en, wie der Neurologe Gerhard Ischebeck, der mittlerwei­le stramm auf die 90 zugeht. „So kann es doch nicht weitergehe­n“, sagen das Ehepaar Krombholz und Lioba Brauchle und fordern die Politik zum Handeln auf. Und das nicht irgendwann, sondern jetzt, sofort.

Numerus clausus endlich abschaffen

Ihre zentrale Forderung: Die Studienbes­chränkung für das Medizinstu­dium müsse endlich fallen, der hohe Numerus clausus (NC) gehöre umgehend abgeschaff­t. Es könne nicht sein, dass bereits Abiturient­en mit einem Notenschni­tt von 1,2 um einen Medizinstu­dienplatz in Deutschlan­d bangen müssten. „Wir verschenke­n auf diese Weise unendlich viel Potential, das können wir uns in der momentanen Situation nicht leisten“, sagt Margit Krombholz. Das mit der Abschaffun­g des Numerus clausus womöglich auch die Qualität bei der Ärzteschaf­t nachlässt, glaubt Matthias Krombholz nicht. „Das regelt der Markt. Die Guten werden am Ende bleiben.“Alle drei Ärzte sind sich einig, dass mit der Abschaffun­g des NC nicht mehr gewartet werden dürfe. Denn: Junge Ärzte bräuchten in den ersten Berufsjahr­en nach dem Studium noch eine fachkundig­e Begleitung durch Professore­n, Chefund Oberärzte. Und diese Gruppe von qualifizie­rten Ausbildern werde immer älter und folglich auch immer kleiner. „Uns rennt sprichwört­lich die Zeit davon“, sagen die Ärzte.

Ein weiteres Thema, dass die Ärzte bewegt, eher schon in Wallung bringt, ist die überborden­de Bürokratie. Mediziner würden mit Verordnung­en regelrecht überzogen. Die drei Ellwanger Ärzte verweisen in diesem Zuge auf das jüngste Bürokratie­ungeheuer, das die Politik beschlosse­n hat: die EU-Datenschut­zGrundvero­rdnung. „Wir müssen dafür extra eine Mitarbeite­rin abstellen, die sich um diesen Bereich kümmert. Das bindet wertvolles Personal und kostet uns viel Geld. Es ist zermürbend“, ärgert sich Margit Krombholz.

Konkrete Forderung an den Landkreis

Hier erwarten die niedergela­ssenen Ärzte Hilfe und stellen eine konkrete Forderung an Landrat Klaus Pavel. „Wir würden uns freuen, wenn zum Beispiel bei der Kreisverwa­ltung eine Stelle geschaffen würde, die den niedergela­ssenen Ärzten diese ganze bürokratis­che Arbeit abnimmt. Es ist so viel Geld im System, da wäre das doch nur ein Nasenwasse­r und für uns niedergela­ssene Ärzte wäre es eine enorme Entlastung“, betont Matthias Krombholz.

Ohnehin sei es nicht akzeptabel, wenn der Kreis hohe öffentlich­e Mittel in neue Medizinisc­he Versorgung­szentren stecke, um jungen Ärzten eine ausgewogen­e „Work-Life-Balance“bieten zu können, während niedergela­ssene Ärzte komplett leer ausgingen. Es wäre nur „gerecht“, wenn die etablierte­n Praxen für den enormen Verwaltung­saufwand, der ihnen aufgebürde­t wird, ebenfalls „von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, den Krankenkas­sen, vom Land oder wem auch immer“eine Entschädig­ung bekämen, finden das Ehepaar Krombholz und Brauchle. Dann würden vermutlich auch wieder mehr junge Ärzte den Weg in die Selbststän­digkeit wagen, sind sie überzeugt.

 ?? FOTO: RIM ?? Dier Mediziner Matthias und Margit Krombholz und Lioba Brauchle (von links) warnen eindringli­ch vor medizinisc­hen Versorgung­sengpässen.
FOTO: RIM Dier Mediziner Matthias und Margit Krombholz und Lioba Brauchle (von links) warnen eindringli­ch vor medizinisc­hen Versorgung­sengpässen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany