Zeitumstellung
Warum sich an der inneren Uhr nicht drehen lässt
LINDAU - Die innere Uhr steuert uns aus dem Hintergrund. Sie sorgt dafür, dass wir nicht gut schlafen, wenn wir zu lange aufs Handy geschaut haben. Sie ist verantwortlich dafür, dass manche Menschen nach der Zeitumstellung buchstäblich aus dem Takt sind. An ihr liegt es, dass der Körper nach langen Reisen nicht funktioniert wie gewohnt und der Jetlag uns mitten in der Nacht hellwach werden lässt. Sie ist der Grund, warum Menschen am Polarkreis nicht doppelt so lange müde sind oder auch bei Mitternachtssonne nachts schlafen können.
Das gilt nicht nur für den Menschen, sondern für alle Lebewesen, deren Rhythmus sich in etwa an einem 24-Stunden-Tag orientiert – unter anderem für Fruchtfliegen. Den winzigen Insekten, die in der Obstschale so nervtötend sind, haben Michael Rosbash, Michael Young und Jeffrey C. Hall den Nobelpreis für Physiologie zu verdanken.
Der Morgen, an dem der Anruf aus Stockholm kam
An dem Morgen, als Michael Rosbash davon erfuhr, dass er den Nobelpreis bekommen würde, ging alles ganz schnell. Um zehn nach fünf in den Morgenstunden kam der Anruf, die Pressekonferenz in Stockholm fand 20 Minuten später statt. Um Viertel vor sechs in der Frühe stand der erste Reporter vor der Tür der Rosbashs.
„Wir hatten vorher ein paar Preise gewonnen. Das hieß, wir waren Kandidaten für das, was meine Mutter ‚den Großen‘ nannte“, sagt Michael Rosbash. „Habe ich gedacht, dass es möglich ist? Ja. Habe ich es für wahrscheinlich gehalten? Nicht wirklich. Dachte ich an dem Morgen, dass das Telefon klingeln würde? Niemals.“
Und doch: Beim Lindauer Nobel Laureate Meeting waren er und Michael Young diese Woche zu Gast, um über ihre Forschung zur inneren Uhr zu berichten. „Wir sind eine Ansammlung von Uhren“, sagt Michael Young. „Alle Zellen in unserem Körper sind Uhren.“Jede Zelle hat ein eigenes Ticken: Manche reagieren auf Sonnenlicht, andere auf Mahlzeiten. Sie regeln Schlaf und Arbeitsfähigkeit, Stoffwechsel und Hormonspiegel.
Die drei Chronobiologen haben bewiesen, dass der Mensch dieses Uhrwerk nicht ignorieren oder verändern kann. Die innere Uhr ist gesteuert von Abläufen in den Zellen. In immer dem gleichen Zyklus werden Proteine gebildet und zerfallen dann wieder – und dieser Vorgang dauert 24 Stunden. „Er findet in Zellen in allen Gewebestrukturen von Säugetieren statt: im Gehirn, im Herzen, in der Lunge, in der Bauchspeicheldrüse, in der Haut“, sagt Michael Rosbash.
Die Zellen stimmen diesen Rhythmus mit den äußeren Einflüssen ab. Deshalb reagieren Menschen darauf, wenn ein Tag nach langen Flugreisen plötzlich kürzer ist, oder wenn sie zu lange auf blaues Licht von Bildschirmen schauen. Sie schlafen schlechter, wenn sie kurz vorher noch etwas essen – denn dann passt der zirkadianische Rhythmus nicht mehr zum Tagesablauf. Auch deshalb schlafen viele Menschen in Industrienationen schlechter als jene, die in Entwicklungsländern ohne Strom und ohne Kühlschrank voller Snacks leben, sagt Michael Rosbash.
„Die Schichtarbeit ist das extremste Beispiel für Menschen, die nicht auf ihre innere Uhr hören“, sagt der Nobelpreisträger. Sie sind ständig im Jetlag. Sie sind ständig Schlaf, Nahrung und Licht zur falschen Tageszeit ausgesetzt", sagt Rosbash. Wie schwer die Auswirkungen sind, ist noch nicht erforscht.
Medikamente wirken morgens anders als abends
Auch bei Medikamenten spielt die innere Uhr eine Rolle: Sie können weniger beziehungsweise gar nicht effektiv sein, wenn die richtige Wirkzeit bei der Einnahme außer Acht gelassen wird. Denn auch der Stoffwechsel ändert sich mit der inneren Uhr. Der Trend des Intervallfastens, also zwischen Abendessen und Frühstück 14 bis 16 Stunden gar nichts mehr zu essen, soll diesen biochemischen Rhythmus unterstützen.
Das ist eine der Möglichkeiten, um in Harmonie mit der inneren Uhr zu leben, wie Michael Rosbash es nennt – und diese Harmonie rückt mehr und mehr in den Fokus. Wichtig sei vor allem, schlafen zu gehen, wenn man müde ist. So, wie es auch die Fruchtfliegen tun.