„Es geht hier auch um Menschenwürde“
Reaktionen zum Masterplan: Ministerpräsident Kretschmann stimmt Teilen zu, ist aber skeptisch – Verheerendes Fazit von Unternehmer Härle
Kretschmann: Mehr Fragen als Antworten
Mit großen Teilen des Masterplans könne er mitgehen, sagte BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. „Viele Details werfen indes Fragen auf“, sagte er und nannte die „Fiktion der Nichteinreise“als Beispiel. Solch ein Niemandsland gebe es bei der Einreise an Flughäfen. „Aber wenn sie jetzt aus Österreich einreisen, wo sind sie dann?“, fragte Kretschmann. „Das sind rechtlich höchst ungeklärte Fragen.“Er habe sich intensiv mit den Juristen im Staatsministerium beraten, auch die hätten etliche Fragen nicht klären können. „Wenn man etwas vorgelegt bekommt, das mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, dann zeugt das nicht von Qualität“, so Kretschmanns Fazit. Kritik übte Kretschmann zudem an den fehlenden Ideen für Integration. „Wenn es ein Masterplan ist, dann gehört auch die Integration mit rein“, sagte er. „Wir sehen Schlagseiten, die politisch nicht tragbar sind.“
Lucha: Zu viel Abwehrhaltung, zu wenig Integration
Integrationsminister Manfred Lucha (Grüne) argumentierte in dieselbe Richtung. Der Vorschlag, Asylbewerbern Sach- statt wie bisher Geldleistungen zu gewähren sei eine alte Debatte. „Ich dachte, da waren wir schon längst drüber hinweg“, so Lucha. Sein größter Kritikpunkt: „Wir sehen extreme Leerstellen, da haben wir große Sorgen.“So sei etwa nirgends ein Wort über die sogenannte Drei-plus-Zwei-Regel zu finden, die besagt, dass Flüchtlinge während einer dreijährigen Ausbildung und auch zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden. „Wir spüren wieder mehr die Abwehrhaltung als Hinweise zum Umgang mit denen, die schon da sind“, monierte Lucha. Er stellte die Sinnhaftigkeit des Masterplans infrage, der „nur böse Stimmungslagen“schüre. Denn: „Die Grenzen sind im Moment nicht bevölkert.“
Gewerkschaft der Bundespolizei: „Das ist ein Fortschritt“
Jörg Radek, Vorsitzender der PolizeiGewerkschaft GdP in der Bundespolizei, sieht Seehofers Masterplan in Teilen als Schritt die richtige Richtung. Der Plan sei erstmals ein Katalog von Maßnahmen, die nicht nur auf die Polizei abzielten, sondern auf den gesamten Staat. „Das ist ein Fortschritt“, sagte Radek. Allerdings brauche die Bundespolizei auch mehr Personal. Radek sagte, die Bundespolizei benötige für einen effektiven Grenzschutz zusätzliche 4200 Stellen. Skeptisch blickt Radek auf die Pläne Seehofers, die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landespolizei bei der Grenzkontrolle zu erweitern. „Wir brauchen ein klares Unterstellungsverhältnis: Grenzschutz an der Grenze ist Aufgabe der Bundespolizei“, sagt Radek. In Deutschland fehle es nicht an Behörden – das Problem sei der Vollzug von Gesetzen.
Unternehmer Härle: „Absoluter Realitätsverlust“
„Der Masterplan geht völlig an den Bedürfnissen der Unternehmen vorbei“, sagte Gottfried Härle, Geschäftsführer der Brauerei Clemens Härle in Leutkirch, mit Blick auf den Masterplan. Härle beschäftigt selbst vier Flüchtlinge, im August tritt ein fünfter seine Stelle an. Härle sprach von „absolutem Realitätsverlust“in der politischen Debatte: Wegen „fünf bis sechs Leuten, die täglich kommen“, sei man stark fokussiert auf die Migration von Asylbewerbern innerhalb Europas, auf Grenzsicherung und Abschottung. Das wesentlich wichtigere Problem sei die Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Die sei völlig aus dem Blick geraten – ebenso wie die Bekämpfung von Fluchtursachen.
Kaeser: „Sturm im Wasserglas, der Gelächter auf sich zieht“
Der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser hat die Rolle der CSU im Asylstreit kritisiert. Zugleich sprach er sich erneut für ein Einwanderungsgesetz zur Steuerung der Migration aus. Er habe schon 2015 darüber gesprochen, „dass diese Republik ohne ein Einwanderungsgesetz die Kontrolle nicht wiedererlangen wird über diese Materie“, sagte Kaeser in München. Das Einwanderungsgesetz werde nun von der SPD gefordert. „Das hätte auch von anderen mittelmäßig intelligenten Parteien kommen können, statt einen Sturm im Wasserglas zu machen, der das Gelächter der Welt auf sich zieht“, sagte Kaeser mit Blick auf den Asylstreit der vergangenen Wochen – jedoch ohne die CSU ausdrücklich zu nennen. Der Siemens-Vorstandschef mischt sich im Gegensatz zu anderen Konzernlenkern regelmäßig in die Tagespolitik ein. Kritik an der CSU aus der Siemens-Zentrale war aber bislang nicht üblich.
Bischof Fürst: „Wünsche mir, dass Seehofer sich an Beschlüsse hält“
„Ich würde mir wünschen, dass Minister Seehofer sich an das hält, was die Große Koalition in Berlin erst am vergangenen Donnerstag zum Asylstreit beschlossen hat“, sagt der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Es könne nicht sein, dass weiterhin parteipolitisches Gezänk auf dem Rücken von Menschen ausgetragen werde, „die nicht aus Jux und Tollerei zu uns kommen, sondern in Not sind. Es geht hier auch um Menschenwürde.“Im Hinblick auf die gegenwärtige Diskussion rund um den Masterplan Migration drohe die Substanz des Humanen immer mehr verloren zu gehen.