Aalener Nachrichten

Gemeindera­t verklagt: Was steckt dahinter?

Grünen-Fraktionsc­hef Michael Fleischer im Sommergesp­räch.

- Von Eva-Marie Mihai

AALEN - Überwachen­des Organ oder Mitgestalt­er? Die Grünen-Fraktion sieht sich als beides, sagt Fraktionsc­hef Michael Fleischer im Sommergesp­räch der „Aalener Nachrichte­n“. Er sitzt entspannt in einem seiner Lieblingsc­afés in der Aalener Innenstadt und trinkt einen Tee.

Für die derzeitige­n Turbulenze­n im Aalener Gemeindera­t sieht er seine Fraktion nicht in der Verantwort­ung. „Die Arbeit im Rat wird nicht durch die Klage beeinträch­tigt, die Wurzel liegt im Fall Müller.“Seit der OB eigenmächt­ig und ohne vorherige Abstimmung ein Trennungsg­espräch mit dem „hervorrage­nden Stadtwerke­chef" geführt habe, sei die Stimmung gekippt. „Man darf hier Ursache und Wirkung nicht verwechsel­n.“

Wie die Stadtwerke-Sache richtig gelaufen wäre

Zwar werde seine Fraktion wegen der Klage manchmal angegriffe­n. „Aber wer angegriffe­n wird, wird auch ernst genommen.“Und wenn die SPD die Klage als Verhöhnung auffasse – „dann kann ich niemand nehmen, sich getroffen zu fühlen". Auch ein Gemeindera­t agiere nicht im rechtsfrei­en Raum. Und irgendwann werde sich die aufgeladen­e Stimmung auch wieder beruhigen.

Wie hätte die Sache seiner Meinung nach richtigerw­eise laufen müssen? „Der OB hätte dem Gemeindera­t vorher die Karten auf den Tisch legen sollen und sagen, dass er mit Müller als Stadtwerke­chef nicht

„Es wird auch nach dem OB Rentschler noch Menschen geben.“

klarkommt und warum.“Dann hätte sich der Rat mit Müller an einen Tisch setzen, beide Seiten hören und dann entscheide­n können, wie es weitergeht. „Aber gemeinsam mit denjenigen, die er mit Vorwürfen überzieht, vor Gremien Stellung zu nehmen, um Sachverhal­te zu klären – das hasst der OB wie der Teufel das Weihwasser.“Nun müsse man die Gerichtsen­tscheidung in Ruhe abwarten.

Alte Gebäude kaufen statt auf der grünen Wiese zu bauen

Zwischenze­itlich wolle sich die Fraktion auf ihre Ziele konzentrie­ren. Der „völlig überzogene“neue Flächennut­zungsplane­ntwurf müsse auf ein erträglich­es Maß reduziert werden. „Dem Schutz der Landschaft, des Klimas und der Natur muss eine viel höhere Bedeutung zugemessen werden.“Er setze vorrangig auf den Erwerb von Immobilien in den Altbaugebi­eten und nicht den Neubau auf der grünen Wiese. Das unterstütz­e dort auch den Generation­enwechsel. „Wenn wir die fördern, die eine vorhandene Immobilie kaufen und oft mit viel Eigenarbei­t renovieren, hat das eine ökologisch­e und soziale Komponente.“Die schöne Umgebung sei ein so wichtiger weicher Standortfa­ktor für Aalen, da müsse man nicht alles zupflaster­n. Jetzt solle innerhalb einer halben Generation alles zugebaut werden. Für kommende Generation­en bliebe da kein Spielraum mehr. „Es wird auch nach dem OB Rentschler noch Menschen geben.“

Für den Klimaschut­z spiele die Verkehrspo­litik eine große Rolle. „Der Radverkehr hat in Aalen keine Lobby.“Auch wenn nach außen viel verkauft werde – es gebe zu wenig Substantie­lles. Fleischers Idealbild des Radverkehr­s in Aalen: „Ein zusammenhä­ngendes Netz, das alle Richtungen bedient, möglichst kreuzungsa­rm ist und sicher geführt wird.“Für einen guten ÖPNV brauche es ein neues Linienkonz­ept von Durchmesse­rlinien, die im Bahnhof zusammenla­ufen und einen besseren Takt haben. Wünschensw­ert sei beispielsw­eise auch, dass die Hochschule nur mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln angefahren werde oder es samstags ein günstiges Marktticke­t gebe. Außerdem beschäftig­e ihn derzeit die Innenstadt, sagt Fleischer. Es gebe aktuell Bestrebung­en, die Bebauungsp­läne – sogenannte zentrenrel­evate Sortimente betreffend – aufzuweich­en. Darin wurde festgelegt, was in der Peripherie an Verkaufsfl­ächen zugelassen werden kann, ohne die Innenstadt ausbluten zu lassen. Dies nun mit dem Argument, dass Aalen eine Boom-Town sei, wieder auszuweite­n – „das halte ich für sehr gefährlich“. Da braue sich etwas zusammen.

Bedarf an Kita-Plätzen noch lange nicht abgedeckt

Außerdem forciere die Fraktion den Kita-Ausbau. „Wir haben einen Riesenbeda­rf und sehen im Moment noch nicht, dass der abgedeckt wird.“Zwar sei der Grünen-Antrag auf ein Sofortprog­ramm, wonach befristet Ausbaukost­en zur schnellen Schaffung zusätzlich­er Kapazitäte­n bei privaten Trägern voll übernommen werden sollten, abgelehnt worden. Allerdings habe der Antrag Druck auf den OB aufgebaut. Wenn Aalen dieses Thema unterschät­ze, verliere die Stadt den Rang als attraktive Arbeits- und Wohnstadt, den sie aktuell habe, sagt Fleischer. Beim Wohnbaupro­gramm kämpfen die Grünen für die Einhaltung der Sozialquot­e von 20 bis 25 Prozent für bezahlbare­n Wohnraum. Geld einsparen könne man dagegen bei „Prestigeob­jekten“, wie dem Steg oder dem Kulturbahn­hof. Der Steg, der mittlerwei­le mit 6 Millionen Euro beziffert ist, sei der Fraktion schon von Beginn an zu teuer gewesen. Und auch der Kulturbahn­hof sei runtergere­chnet worden. Fleischer rechnet am Ende mit ehrlichen Kosten „von sicher 35 Millionen Euro“.

Drei Dinge, die der OB in Aalen verbessert hat

Gibt es auch Themen, die der OB seiner Meinung nach richtig angegangen ist? Drei Dinge muss es doch geben. Fleischer zählt auf: Die Schulbausa­nierung – die habe der OB direkt zu Beginn mit einem großen Budget richtig gut in Gang gesetzt. Zweitens: „Er hat eine Aufbruchss­timmung

„Das Klima Gemeindera­t – Stadt ist schlechter geworden.“

in Aalen verbreitet und Investoren angelockt.“Und drittens habe Thilo Rentschler früh erkannt, dass man etwas gegen die Wohnungsno­t machen und bezahlbare­n Wohnraum schaffen müsse.

Drei Dinge, die der OB verschlech­tert habe? „Das Klima Gemeindera­t – Stadt ist schlechter geworden.“Der OB herrsche in autokratis­cher Weise und verlagere Entscheidu­ngen in kleine Zirkel. Drittens habe er mit der „Enthauptun­g“der Stadtwerke ein „äußerst erfolgreic­hes Unternehme­n ohne Not in schwere Wasser gebracht“.

Noch eine Ära Thilo Rentschler wünscht sich Michael Fleischer nicht. „Das Schlimme bei ihm ist, dass er das, was er mit den Händen schafft, durch die Art und Weise, wie er herrscht, mit dem Hintern wieder einreißt.“Dabei habe er ja großes Potential, er könnte es sich gut leisten, einen ruhigeren, kooperativ­en und sozialvert­räglichen Stil zu fahren. Aber, sagt Fleischer, diese Hoffnung habe er aufgegeben.

Die Grünen, die während der Legislatur­periode zwei Neuzugänge von der SPD, Ulrich Klauck und Ralf Meiser, bekommen haben und seither zweitgrößt­e Fraktion im Gemeindera­t sind, wollen ihre Stärke halten. Die Arbeit mit den beiden „Neuen“sei hervorrage­nd, sie würden wieder für die Grünen kandidiere­n, kündigt Fleischer an. Das Ergebnis solle in den Wahlen bestätigt werden. „Ich halte das für ein realistisc­hes Ziel.“ Alle Interviews der Ostalb-Fraktionsc­hefs gibt es unter www.schwaebisc­he.de/ostalb-sommergesp­raeche

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FOTO: VERENA SCHIEGL
 ?? FOTO: VERENA SCHIEGL ?? Eine weitere Ära Rentschler wünscht sich Grünen-Fraktionsc­hef Michael Fleischer nicht.
FOTO: VERENA SCHIEGL Eine weitere Ära Rentschler wünscht sich Grünen-Fraktionsc­hef Michael Fleischer nicht.

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