Aalener Nachrichten

LEA-Bewohner nach Razzia vor Gericht

21-Jähriger soll gezielte Tritte gegen einen Polizeibea­mten ausgeteilt haben – Aktivisten­gruppe begleitet Prozess vor Ellwanger Amtsgerich­t

- Von Michael Häußler

ELLWANGEN (ij) - Bei der Großrazzia in der Ellwanger LEA soll ein 21Jähriger einen Polizeibea­mten gezielt getreten haben. Dafür muss er sich nun dem Ellwanger Amtsgerich­t stellen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem jungen Mann einen tätlichen Angriff auf einen der Polizeibea­mten vor. Eine Aktivisten­gruppe begleitet den Prozess.

ELLWANGEN - Es ist der frühe Morgen der Großrazzia in der Ellwanger Landeserst­aufnahmest­elle Anfang Mai. Hunderte Polizisten stürmen die Gebäude und Zimmer der afrikanisc­hen Bewohner. Auch das, in dem ein 21-Jähriger mit vier weiteren Personen schläft. „Polizei“, sollen die Beamten laut beim Eindringen ins Zimmer gerufen haben. „Fuck the police“, schallt ihnen als Antwort entgegen. Einer wehrt sich so sehr, dass ihm am Mittwochvo­rmittag im Ellwanger Amtsgerich­t der Prozess gemacht wird.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem jungen Mann einen tätlichen Angriff auf einen der Polizeibea­mten vor. Seit der Durchsuchu­ng am 3. Mai sitzt der 21-Jährige aus Guinea in Untersuchu­ngshaft. Als er den Gerichtssa­al betritt, wird ihm beinahe dieselbe Ehre zuteil, wie sonst nur dem Richter: Zehn Zuschauer stehen auf, während der junge Mann mit Fußfesseln an ihnen vorbei zur Anklageban­k läuft.

Aktivisten­gruppe begleitet Prozess im Amtsgerich­t

Die Stehenden gehören den Aktivisten­gruppen Refugees 4 Refugees und Aktion Bleiberech­t an. Während der Verhandlun­g verhalten sie sich ruhig, die meisten von ihnen schreiben mit. Zum Beispiel, dass sich der 21Jährige strampelnd gegen einen Polizisten gewehrt haben soll – und somit in Richtung des Beamten getreten habe. Das wertet die Staatsanwa­ltschaft als einen tätlichen Angriff.

„Sie haben gehört, was man Ihnen vorwirft“, sagt Amtsgerich­tsdirektor Norbert Strecker. „Erzählen Sie uns, was Sie in dieser Nacht erlebt haben“, sagt er zum Angeklagte­n. Ein Polizist habe ihm zweimal auf die Brust geschlagen. Er selbst saß ruhig im Bett, lässt er von seinem Dolmetsche­r übersetzen. Er spricht nur Französisc­h – Englisch oder Deutsch könne er nicht. „Nach dem zweiten Schlag wollte ich flüchten“, sagt er. Ein Polizist an der Tür hält ihn auf, bringt ihn zu Boden. „Ich habe nicht getreten“, sagt der 21-Jährige mit fester Stimme.

Der Polizist, gegen den die vermeintli­chen Tritte gerichtet waren, sagt als Zeuge aus. Alle Bewohner hätten aufstehen sollen. „Das ist zu unserem Schutz. Wir können ja nicht wissen, was unter den Bettdecken ist“, sagt er. Der Angeklagte sei den Aufforderu­ngen nicht nachgekomm­en. Er habe nach ihm greifen wollen, da habe er angefangen zu strampeln, dann sei er geflohen. „Ich konnte ihn zurückzieh­en.“Dann habe er mit dem Oberkörper auf den Händen gelegen. „Wir konnten ihn so nicht fixieren. Er hat dafür massiv viel Kraft aufgewende­t“, so der Polizist.

Den Richter macht diese Aussage stutzig. „Ich entnehme Ihrer Aussage jetzt nicht zwingend einen tätlichen Angriff“, so Strecker zum Zeugen. „Nein“, antwortet dieser. Ob es denn gezielte Tritte gegen ihn gegeben hätte. „Das kann ich so nicht sagen. Ich will es ihm aber nicht unterstell­en“, sagt der junge Polizist.

Französisc­h im Gefängnis ist wie Isolation

Vor allem diese Aussage ist es, die dem jungen Geflüchtet­en am Ende wahrschein­lich zugute kommt. Und, dass er bisher strafrecht­lich noch nicht auffällig war. „Nun ja, er ist aber auch erst seit Januar hier“, kommentier­t der Richter diesen Umstand. Dennoch: Aus dem tätlichen Angriff wird während des Prozesses ein Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte. „Das hat große Bedeutung für das Strafmaß“, sagt Strecker in Richtung Anklageban­k.

Dennoch fordert die Staatsanwa­ltschaft während des Plädoyers fünf Monate Haft – ohne Bewährung. „Es ist kein nachweisba­rer Angriff erfolgt.“Dennoch habe er sich nicht so friedlich wie die anderen Bewohner verhalten. Die Verteidigu­ng weist auf einen besonderen Umstand hin: die Sprache. „Mein Mandant hat jetzt bereits drei Monate im Gefängnis gesessen. Wer in einem deutschen Knast französisc­h spricht, hat kein schönes Leben“, sagt er.

Denn das sei einer Isolation gleichzuse­tzen. „In deutschen Gefängniss­en wird türkisch gesprochen, russisch oder rumänisch“, so der Anwalt. Soziale Kontakte wird er keine gehabt haben. Diesen Umstand solle das Gericht berücksich­tigen. Und das tut Norbert Strecker. Er verurteilt den 21-Jährigen zu einer Geldstrafe: 90 Tagessätze à fünf Euro. „Die Strafe ist mit den drei Monaten verbüßt“, sagt Strecker. Das Urteil wird vom Angeklagte­n und der Verteidigu­ng akzeptiert.

Er habe Angst gehabt und er bereue es, lässt er noch im letzten Wort über seinen Dolmetsche­r verlauten. „Ich bitte um Entschuldi­gung.“

Die Justizbeam­ten, die den Prozess begleiten, nehmen dem sichtlich gelösten jungen Mann die Fußfesseln ab. Die Aktivisten gehen auf ihn zu, schütteln ihm nach und nach die Hand. Er wird jetzt zurück zur LEA gebracht – in Freiheit. Ein sanftes Lächeln liegt in seinem Gesicht. Doch entschiede­n ist sein Schicksal noch nicht – der Asylantrag noch offen. Seine Verhaftung kam einer Entscheidu­ng zuvor.

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ARCHIV: DPA Bei der Razzia in der LEA werden mehrere Personen verhaftet. Einer von ihnen wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Polizeibea­mten.

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