„Man muss das tun, von dem man überzeugt ist“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert mehr Respekt in der politischen Debatte und erklärt, was er von Umfragen hält
NONNENHORN - Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wünscht sich eine bessere Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg. „Wir haben viele gemeinsame Interessen“, sagte Söder im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Jochen Schlosser. Aber bislang habe es „wenig Kontakt“mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegeben. Zu den schlechten Umfragewerten seiner Partei vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober sagte Söder: „Es zählen die objektiven Werte und nicht tägliche Umfragen mit unterschiedlichen Prozenten.“Seine Devise sei es, „nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und dafür leidenschaftlich zu werben“.
Herr Söder, 64 Prozent der Bayern sind nach einer aktuellen Umfrage mit Ihrer Arbeit unzufrieden. Das macht Sie zum unbeliebtesten Ministerpräsidenten Deutschlands. Stimmt Sie das traurig?
Wir sind gut unterwegs. Es gibt in Bayern keinen Politiker, der größere Veranstaltungen und mehr Besucher hat als meine Person. Denken Sie an die Umfragen vor der Bundestagswahl im letzten Jahr – das Ergebnis war dann ein anderes. Die Wahrheit liegt in der Wahlurne.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann kam auf Platz eins in der Zufriedenheitsskala. Was macht er richtig, was Sie vielleicht noch falsch machen?
Wenn die CSU wie die Grünen in Baden-Württemberg am Ende nur 30 Prozent hätte, wäre das nicht zufriedenstellend. Im Übrigen machen Vergleiche wenig Sinn. BadenWürttemberg ist nicht Bayern. Bayern ist erfolgreicher.
Die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg und Bayern, die sogenannte Südschiene, hat in den vergangenen Jahren sehr gelitten. Haben Sie Ambitionen, wieder Schwung in die Sache zu bringen – und wenn ja, bei welchen Themen?
Die Zusammenarbeit mit BadenWürttemberg hat in den vergangenen Jahren unterschiedliche Phasen erlebt. Bei Grün-Rot war die Zusammenarbeit grundsätzlich schwierig. Ich hatte es als Finanzminister in Bayern mit Nils Schmid zu tun. Da war es schwierig. Er war leider mehr in Richtung Berlin und seiner Bundespartei orientiert. Jetzt gibt es eine grün-schwarze Regierung, bei der ich Thomas Strobl und Wolfgang Reinhart seit Langem kenne und schätze. Mit dem Ministerpräsidenten gab es bisher wenig Kontakt. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Bayern und Baden-Württemberg in der Sache gut zusammenarbeiten und die Interessen Süddeutschlands gemeinsam vertreten.
Bei welchen Themen könnten Sie sich eine bessere Kooperation mit Baden-Württemberg vorstellen?
Wir haben viele gemeinsame Interessen. Wir müssen uns in der Automobilindustrie gemeinsam aufstellen. Aber auch die mittelständische Wirtschaftsstruktur und kulturelle Prägungen verbinden uns. BadenWürttemberg und Bayern haben ländlich geprägte Regionen, familienorientierte Unternehmen und auch brauchtumsgeprägte Landschaften. Und beide Länder sprechen kein Hochdeutsch. Das alles sind verbindende Elemente.
Und wo sehen Sie die ideologischen Gräben zwischen BadenWürttemberg und Bayern? Spielen Sie da auch auf Ministerpräsident Kretschmann an?
Ich habe gelesen, dass er sich einmal skeptisch über mich geäußert hat. Das ist schade. Ich würde das über einen anderen Ministerpräsidenten nicht tun. Respekt vor Ämtern und Personen sollte für alle gelten. In einer Zeit, in der die Demokratie von links und von rechts in sehr massiver Form angegriffen wird, in der wir eine Auflösung etablierter Strukturen spüren und in der fast überall in Europa populistische oder populäre Bewegungen an die Stelle etablierter Parteien treten, wäre es ein lohnendes Projekt, wenn Demokraten sich mit mehr Respekt behandelten. Für mich gilt: Ich werbe mit Nachdruck für meine Ideen und Projekte, aber immer nur in der Sache und nie gegen eine Person.
Ihr Ton wirkt aber mitunter so, als hätten Sie sich das Motto „viel Feind, viel Ehr‘ und hart in der Sache“zum Leitfaden genommen.
Politik braucht Haltung und Überzeugung. Wie oft wird beklagt, dass es in der Politik zu wenig klare Konturen gibt. Wenn einer dann aber mal Klartext redet, ist es vielen auch wieder nicht recht. Besonders schwierig finde ich es, wenn Parteipolitiker Toleranz und Stil fordern, es selbst aber nicht einhalten. Grünen-Chef Robert Habeck zum Beispiel nannte die CSU „Amokläufer“ genau an dem Tag, an dem in München der Opfer des Amoklaufs vor zwei Jahren am Olympiazentrum gedacht wurde. Das war geschmacklos. Und wenn die bayerische SPDPolitikerin Renate Schmidt Horst Seehofer vorwirft, für den Tod von Menschen im Mittelmeer verantwortlich zu sein, dann ist das aus meiner Sicht jenseits der Grenzen des politischen Anstands. Man darf in der Sache leidenschaftlich streiten, aber der Respekt vor der Person gehört dazu. Stil ist keine Einbahnstraße.
„Baden-Württemberg ist nicht Bayern. Bayern ist erfolgreicher.“Markus Söder
Der bayerische Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat Sie als „Gefahr für das Land“bezeichnet. Trifft Sie das?
Ach, der Hubert. Es gibt ja keinen Tag, an dem er nicht bekundet, dass er wahnsinnig gerne Minister in meiner Regierung werden würde. Das Besondere in Bayern ist derzeit Folgendes: Es gibt außer mir niemanden, der sich das Amt des Ministerpräsidenten zutrauen würde. Auffällig ist auch, dass alle anderen Parteien mit sehr destruktiven Programmen in die Wahl gehen und nur sagen, was sie nicht wollen. In diesen schwierigen Zeiten muss es aber einen geben, der Richtung und auch ein Stück Führung zeigt. Das sind wir als CSU, und das bin ich persönlich.
In den ersten Monaten Ihrer Ministerpräsidentschaft haben Sie versucht, auch mit kontroversen Themen zu punkten – beispielsweise mit dem Kruzifixerlass. Waren das mit Blick auf die derzeitigen Umfragewerte der CSU die falschen Themen?
Wir entwickeln Bayern weiter: einen besseren ÖPNV, Stärkung der medizinischen Versorgung, Eigenheimzulage für Familien, Stärkung des Tourismus und eine Digitalisierungsoffensive. Damit wird Bayern stärker. Es zählen die objektiven Werte und nicht tägliche Umfragen mit unterschiedlichen Prozenten. Ich rate deshalb Journalisten, Demoskopen und Politikern, sich nicht auf Umfragen zu verlassen. Über 50 Prozent der Bürger sind völlig unsicher, was sie wählen werden. Man muss das tun, von dem man überzeugt ist. Wer wie ein Fähnchen im Wind nur das macht, von dem er glaubt, dass es den anderen gefällt, ist in der Politik nicht gut aufgehoben. Meine Devise ist es, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und dafür leidenschaftlich zu werben. Das Kreuz in Behörden beispielsweise wird in Bayern von einer großen Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt.
Kirchenvertreter haben sich zum Teil sehr deutlich gegen den Kruzifixerlass gestellt. Stimmt es Sie nachdenklich, wenn die Kirchen, die früher Wahlempfehlungen für die CSU abgegeben haben, jetzt öffentlich in Opposition zu Ihnen gehen?
Diese Woche wurde in einer katholischen Wallfahrtskirche ausdrücklich für mich gebetet. Das hat mich berührt. Der geistliche Rat hat sich deutlich hinter das Aufhängen von Kreuzen gestellt – wie ein Großteil der Geistlichen in Bayern. Auch bei meinem Besuch im Vatikan habe ich für unsere Position viel Sympathie erfahren. Aber natürlich gibt es in der Kirche auch unterschiedliche Meinungen, das ist normal und verständlich. Auch innerkirchlich gibt es kontroverse Diskussionen. Viele sind besorgt, dass jedes Jahr Hunderttausende der Institution Kirche den Rücken kehren. Wir in Bayern stehen zum Staatskirchenrecht und der Institution Kirche.
Haben Sie verstanden, warum einige Kirchenleute beklagt haben, dass das christliche Symbol des Kreuzes quasi für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert wird?
Das Aufhängen eines geweihten Kreuzes in der Bayerischen Staatskanzlei hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Wir machen das, von dem wir überzeugt sind. Wir machen auch eine christliche Politik, in dem wir Familien fördern, Pflege unterstützen, Obdachlosigkeit bekämpfen und für Menschen mit Behinderung viel Geld investieren.
Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus dem Asylstreit mit der CDU, der Ihre Partei Stimmen gekostet, aber Grüne und AfD stärker gemacht hat? Ist eine Konsequenz, dass Sie künftig auf Begriffe wie „Asyltourismus“verzichten wollen?
Die Mehrheit der Bevölkerung hat dazu eine klare Meinung. Unsere Bürger wollen eine vernünftige Begrenzung der Zuwanderung und eine richtige Balance zwischen der Rückführung von Menschen, die sich ohne Bleiberecht in unserem Land aufhalten und vielleicht sogar Straftäter sind, und denjenigen, die sich schon integriert haben. Diese Balance herzustellen, ist unsere Aufgabe. Im Moment haben viele den Eindruck, dass jemand, der sich schon integriert hat, sofort in sein Heimatland zurück muss, aber Gefährder – wie beispielsweise der Leibwächter von Osama bin Laden – sogar per Gerichtsbeschluss nach Deutschland geholt werden. In Bayern haben wir daher gehandelt. Mit
„Wenn einer dann aber mal Klartext redet, ist es vielen auch wieder nicht recht.“Markus Söder
der bayerischen Grenzpolizei, dem Landesamt für Asyl und Rückführung und den Ankerzentren haben wir drei grundlegende Vorhaben umgesetzt, um Schlepper und Schleuser abzuschrecken, Verfahren zu beschleunigen und die Rückführungen in die richtige Balance zu bringen. Das wird dazu führen, dass die Zuwanderung auf Dauer begrenzt und besser gesteuert werden kann. Aber auch das möchte ich noch anmerken: Öffentlicher Streit nützt generell wenig, man sollte sich auf die Sache konzentrieren.
Derzeit könnte man den Eindruck haben, dass sich die Politik vor allem um den Schutz der EU-Außengrenzen sorgt, während viele Bür- ger in ihrem Alltag zwischen Arbeit, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen aufgerieben werden. Was machen Sie für diese Menschen?
In Bayern haben wir ein Pflegegeld eingeführt. Denn 70 Prozent der Pflegefälle werden zu Hause in ihren Familien versorgt. Diese Familien erhalten von September an 1000 Euro jährlich als Unterstützung. Und als einziges Bundesland haben wir ein Familiengeld beschlossen. Den Eltern werden monatlich 250 Euro pro Kind für das zweite und dritte Lebensjahr zur Verfügung gestellt, unabhängig davon, ob sie ihren Nachwuchs in eine Betreuungseinrichtung geben oder zu Hause betreuen. Das sind 6000 Euro für unsere Kleinsten. Das gibt es nur in Bayern.
Wenn die CSU am 14. Oktober keine absolute Mehrheit bekommen sollte, mit wem wollen Sie dann in eine Koalition gehen?
Aus meiner Sicht wäre es überheblich, heute zu spekulieren, was nach dem 14. Oktober passiert. Viele Menschen wissen im Sommer noch nicht, was sie im Oktober wählen. Wir versuchen, das Beste zu geben. Der Wählerauftrag ergibt sich aus dem Wahlergebnis.
Könnten Sie sich ein Bündnis mit der AfD vorstellen? Nein. Aber die Wähler würde es vielleicht schon interessieren, welcher Koalitionspartner an der Seite von Markus Söder denkbar wäre?
Ich denke nie in „Wenn“oder „Könnte“. Der Konjunktiv ist ein schlechter Ratgeber fürs Handeln im Leben. Wir haben ein Programm und eine Position – und die vertreten wir.
Was passiert, wenn Sie das Ergebnis von Günther Beckstein – 43,8 Prozent bei den Landtagswahlen im Jahr 2008 – unterschreiten? Werden Sie dann bald auch Parteichef der Christsozialen sein?
In diesen Zeiten von Unsicherheit und Spaltung muss es einen Anker und ein Zentrum geben, der ein Land zusammenhält, sonst zerfällt die politische Kultur. Jedenfalls für Bayern beabsichtige ich, dieser Anker zu sein. Deshalb gebe ich alles und versuche, ein starkes Ergebnis zu erreichen. Bayern soll einzigartig bleiben und nicht zersplittern. Vielleicht können wir sogar das Ergebnis des beliebtesten Ministerpräsidenten toppen ...