Zu viele Medikamente verschrieben
Der Aalener Arzt Jörg Schmelzle soll 25 000 Euro nachzahlen.
AALEN - 30 Jahre lang hat Jörg Schmelzle seine Praxis in Unterrombach geführt und war stets mit Leib und Seele für seine Patienten da. Ende 2013 zog er sich als praktizierender Arzt aus der Gemeinschaftspraxis zurück. Der Abschied fiel ihm nicht leicht. Ein ganz besonderes, wenn auch erheblich verspätetes Abschiedsgeschenk hat ihm vor geraumer Zeit eine Prüfungskommission, bestehend aus Vertretern der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), gemacht. Weil er 2013 zu viele Medikamente verschrieben haben soll, wird er jetzt zur Kasse geben. 25 000 Euro soll er als Regress zurückzahlen.
Unglaublich, findet Jörg Schmelzle die Regressforderung, die ihm Ende 2016 ins Haus geflattert ist. 2013 wurde seine Praxis von einer Prüfkommission unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Im Vergleich zu seinen allgemein praktizierenden Kollegen hätten er und seine Kollegin zu viele und teure Medikamente verordnet und damit das Arzneimittelbudget überschritten. Gegen die seiner Ansicht nach ungerechtfertigte Regressforderung hat er Einspruch eingelegt.
Hemmschuh für Ärzte, sich niederzulassen
Bei der Verhandlung vor der Kammer, die im Mai dieses Jahres sage und schreibe fünf Jahre nach der Prüfung stattgefunden hat, zog er allerdings den Kürzeren. Der Ausschuss, bestehend aus Vertretern der Krankenkassen und Ärzte, bleibt dabei: Er und seine Kollegin hätten unwirtschaftlich gearbeitet. Deshalb würden 25 000 Euro Regress fällig.
Das Damoklesschwert des Regresses schwebe permanent über den Ärzten, die für jedes Rezept, das sie unterschreiben, haften, sagt Schmelzle. Und angesichts der Wirtschaftlichkeitsprüfung der KV als ausübendes Organ des Gesetzgebers sei es kein Wunder, dass kaum noch ein Arzt bereit ist, sich niederzulassen und eine Praxis zu eröffnen oder eine solche vom Vorgänger zu übernehmen.
Das System der KV ist für den 69Jährigen nicht nachvollziehbar. Ein Allgemeinmediziner sei im Gegensatz zu Fachärzten in vielen medizinischen Fachgebieten breit aufgestellt und der erste Ansprechpartner, wenn es um gesundheitliche Probleme geht. Deshalb habe Schmelzle auch immer Patienten untersucht, versorgt und ihnen die notwendigen Rezepte verordnet, die er laut KV aus Gründen des Arzneimittelbudgets per Überweisung eigentlich zum Facharzt hätte schicken sollen.
„Mir ging es immer um das Wohl der Patienten“, sagt Schmelzle. „Warum soll ich jemanden zum Facharzt schicken, den ich genauso gut behandeln kann?“Dieses Weitergeschiebe sei angesichts der Kosten noch teurer und ginge letztlich vor allem zulasten der Patienten. „Hätte ich jemanden mit Rheumaproblemen den weiten Weg zu einem Facharzt nach Ulm oder Göppingen zumuten sollen, nur damit dieser dem Patienten das gleiche Rezept herausschreibt oder einen Schmerzpatienten wieder wegschicken sollen, damit er in einem Dreivierteljahr einen Termin bei einem Facharzt bekommt?“„Ja“, sagt Schmelzle im Nachhinein. Denn nur, weil er das nicht getan habe, sei er jetzt der Gelackmeierte und werde gestraft.
Seine Patienten hätten es ihm stets hoch angerechnet, dass er sich nicht an die strengen Sparvorgaben gehalten und ihnen trotzdem die notwendigen Rezepte ausgestellt habe. In anderen Praxen seien aus Gründen der Wirtschaftlichkeit indes Patienten wieder weggeschickt oder Verordnungen verweigert worden. Ganz zum Ärger der Patienten, die sich daraufhin bei den Krankenkassen darüber beschwert hätten. Dann sei es allerdings deren Pflicht gewesen, ihren Versicherten zu sagen, warum der Arzt ihnen dieses Rezept nicht hat ausstellen können. Nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Angst davor, damit in der Summe das Budget zu überziehen.
Mit neuem System können Ärzte praxisbezogen verordnen
Dass die Regelungen für Ärzte sehr komplex seien und sie sich nicht immer sicher sein könnten, was wirtschaftlich ist und was in welchem Umfang verordnet werden darf und was nicht, räumt die stellvertretende Pressesprecherin der KV BadenWürttemberg, Swantje Middeldorff, auf Nachfrage der „Aalener Nachrichten“ein. Das System, das auch Schmelzle zum Verhängnis geworden sei, sei seit Jahren von vielen Ärzten angegriffen worden, weil es Regressangst ausgelöst habe und für die Niederlassung von Ärzten ein erheblicher Hemmschuh gewesen sei.
Deshalb gehörten die bis Ende 2016 geltenden Richtgrößen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung für die Arzneimittel seit Anfang 2017 der Vergangenheit an. Nach dem neuen System könnten die Ärzte praxisbezogen verordnen und würden nicht mehr nach einem Durchschnittswert in der jeweiligen Fachgruppe beurteilt. Damit würden die Praxen nicht mehr über einen Kamm geschert, sondern deren Besonderheiten berücksichtigt. „Je höher der Verordnungsbedarf ist, der sich aus den Erkrankungen der Patienten ergibt, desto höher sind die finanziellen Mittel, die dieser Praxis zur Verfügung stehen. Damit haben wir uns von den bisherigen Durchschnittswerten verabschiedet “, sagt Middeldorff.
Diese seit über einem Jahr geltende Neuregelung hilft Jörg Schmelzle nicht weiter. Er wurde nach den Kriterien von 2013 beurteilt und muss zahlen.
„Mir ging es immer um das Wohl der Patienten“, sagt Jörg Schmelzle.