Ein Herz für Schwiegermütter
Die neue Mercedes A-Klasse erinnert sogar an fällige Anrufe – Viel Luxus und einige Unzulänglichkeiten
Ein spürbares Plus an Sicherheit, ein supermodernes Bedienkonzept, neue, effiziente Motoren: Die vierte Generation der Mercedes A-Klasse verspricht eine ganze Menge. „Mit ihr definieren wir modernen Luxus in der Kompaktklasse neu“, sagt Britta Seeger, die im Daimler-Vorstand für den MercedesBenz Cars Vertrieb verantwortlich zeichnet, in einem Anflug von Bescheidenheit. Eine schwere Hypothek für den fünftürigen A 200, der gerade eben zum Test angerollt ist. Und um es vorwegzunehmen: In den meisten Disziplinen besteht er die Prüfung mit Bravour. Die Tücken lauern allenfalls im Detail – und natürlich in der Preisgestaltung, die Mercedes-typisch saftig ausfällt. Über 56 000 Euro für einen – zugegeben mit allem denkbaren Schnickschnack ausgestatteten – Kompakten sind schon eine Ansage.
Das aber soll den ersten, äußerlichen Eindruck nicht trüben. Denn hübsch anzuschauen ist die neue AKlasse – gerade als AMG-Line – in jedem Fall: Insbesondere die Frontpartie mit tiefgezogener Motorhaube und flachen LED-Scheinwerfern, der breite Hintern mit zwei Auspuffrohren und die großen Radhäuser suggerieren Dynamik und Sportlichkeit. Langweilige Autos gehen gewiss anders. Das können auch die direkten Konkurrenten wie etwa BMW Einser oder Audi A3 nicht besser.
Klar ist aber auch, dass die Käufer in dieser Fahrzeugklasse gesteigerten Wert auf praktische Qualitäten legen. In diesem Bereich enttäuscht die A-Klasse, die im Vergleich zum Vorgänger zwölf Zentimeter länger, knapp zwei Zentimeter breiter und einige Millimeter höher geworden ist, ebenfalls nicht. Die schwarz-roten Ledersportsitze in Integraloptik – sehr schick, sehr edel wie der gesamte, üppige Innenraum – sind nicht nur beliebig verstellbar und deshalb überaus bequem, sondern bieten auch genügend Seitenhalt bei flotterer Kurvenfahrt. Erwachsene Insassen im Fond fühlen sich keineswegs auf die Strafbank verbannt. Und durstige Gesellen freuen sich, dass in den Türverkleidungen jetzt mindestens Ein-Liter-Flaschen Platz finden. Sehr kommod das Ganze.
Was übrigens auch für den Kofferraum gilt, dessen Ladekante gern etwas tiefer liegen dürfte. 370 Liter (plus 29 Liter im Vergleich zum Vorgänger) schluckt das gute Stück jetzt, die Ladeöffnung fällt 20 Zentimeter breiter aus als bisher. Das reicht für einen großen Kinderwagen oder sechs Getränkekisten oder – das ist ein Premiumhersteller seinen Kunden wohl schuldig – zwei Golfbags. Besonders praktisch: Die Fondsitzlehne lässt sich nicht nur umklappen (40:20:40), sondern auch steiler stellen, um sperrige Kartons transportieren zu können. Das wirkt durchdacht bis ins letzte Detail.
An all das verschwendet der Fahrer natürlich keinen Gedanken mehr, wenn er erst hinter dem kleinen, sportlichen und unten abgeflachten Lenkrad Platz genommen hat. Dann staunt er nur noch über die zwei jeweils 26 Zentimeter großen, freistehenden Displays, die unter einem gemeinsamen Deckglas zu einem Widescreen-Cockpit verschmelzen, das ihn, übersichtlich und gestochen scharf, mit allen notwendigen Informationen versorgt – vom Tempo über die Navigation bis hin zum Radiosender. Erinnert irgendwie ein bisschen an Captain James T. Kirk und Raumschiff Enterprise.
Der Sternenfahrer allerdings würde sich verwundert die Augen reiben, wenn er Mercedes-Benz User Experience, kurz MBUX, an Bord hätte: Das völlig neue Multimediasystem wird erstmals ausgerechnet in der A-Klasse verbaut. Der Besitzer steuert MBUX via Touchscreen, Touchpad auf der Mittelkonsole oder Touchcontrol-Buttons im Lenkrad. Oder aber, noch bequemer, via Stimme: Das Kommando „Hey Mercedes“aktiviert MBUX unverzüglich. Außergewöhnlich dabei: Das System lernt dank künstlicher Intelligenz und bedarf keiner genormten Befehle mehr. Will heißen: Der Satz beispielsweise „Mir ist kalt“reicht aus, um die Temperatur erhöhen zu lassen, der Satz „Ich habe Hunger“zaubert eine Liste mit umliegenden Restaurants aufs Display. MBUX schlägt zudem nicht nur vor, die Schwiegermutter anzurufen – wenn es gelernt hat, dass der Fahrer dies immer an einem bestimmten Wochentag erledigt. Sondern MBUX hilft auch dank der Vernetzung mit anderen Fahrzeugen bei der Parkplatzsuche in der Umgebung. Eine Eier legende Wollmilchsau, dieses gut funktionierende System.
Leider wesentlich unzuverlässiger agiert während des Tests das Heer der elektronischen Helferlein, das man in diesem Umfang meist nur in höheren Fahrzeugklassen findet: Der Parkpiepser schlägt bisweilen Alarm ganz ohne Anlass, die Verkehrszeichenerkennung übersieht das eine oder andere Schild oder erfindet ein solches, der völlig autonome Einparkassistent verrechnet sich bös und verhindert die Kollision mit einem Pfeiler nur mit einer abrupten Vollbremsung. Irritierend auch die Lenkunterstützung beim Spurwechsel auf der Autobahn und der einseitige Bremseingriff, um das Überfahren einer durchgezogenen Linie zu vermeiden. Nur gut, dass sich manche Helferlein bereitwillig in den Tiefschlaf versetzen lassen. Und dass die Mehrzahl treu und brav ihren Dienst versieht.
Ach ja, fahren kann der A 200 mit seinen 163 Pferdchen unter der Haube selbstverständlich auch. Ruhig und souverän wie ein Großer rollt der Benziner über die Landstraße, lenkt bereitwillig ein und lässt den Fahrer das regelmäßige Abschalten von zwei Zylindern überhaupt nicht spüren. Allenfalls im Eco-Modus gerät der Start etwas schleppend. Eine verzeihliche Sünde in einem formidablen Auto.