Justiz ermittelt gegen Salvini
Staatsanwaltschaft geht gegen Italiens Innenminister vor – Murren beim Koalitionspartner
ROM - Die Krise um die Flüchtlinge auf dem Schiff „Diciotti“hat ein vorläufiges Ende genommen. Gegen Innenminister Matteo Salvini ermittelt nun die Justiz.
Am Samstagabend kamen alle Menschen frei, die noch an Bord des Schiffes der italienischen Küstenwache ausharren mussten. Ärzte hatten festgestellt, dass fast alle Erwachsenen an Krätze litten. Als dann auch noch erste Fälle von Tuberkulose bekannt wurden, gab das Innenministerium in Rom nach, und ließ die Menschen von Bord des Schiffes, dass seit fünf Tagen im sizilianischen Catania vor Anker lag. Bereits am Freitag hatten rund 20 Minderjährige das Schiff verlassen, um in einem sizilianischen Auffanglager untergebracht zu werden.
Zuvor hatten Mitglieder der italienischen Bischofskonferenz damit gedroht, in einen Hungerstreik zu treten. Noch vor seiner Abreise nach Irland hatte Papst Franziskus erwogen, sämtliche Flüchtlinge auf extraterritorialem Gebiet des Heiligen Stuhls nördlich von Rom aufzunehmen. Jetzt werden rund 20 Personen von Albanien aufgenommen, 20 von Irland und der große Rest in katholischen Einrichtungen in Italien.
Vorwurf: Freiheitsberaubung
Für Innenminister Salvini, der auch Vizeregierungschef und Chef der rechten Partei Lega ist, endet der „Fall Diciotti“noch nicht: Gegen ihn ermitteln jetzt Staatsanwälte in Catania und Palermo. In sieben Fällen wird ihm vorgeworfen, straffällig geworden zu sein. Die Anzeige erstellten Mitglieder einer Hilfsorganisation, die sich um Einwanderer kümmert. Unter anderem werfen die Staatsanwälte dem Innenminister Machtmissbrauch und mehrfache Freiheitsberaubung vor.
Machtmissbrauch, weil Salvini in keiner Weise, so die Staatsanwälte, den vorgeschriebenen Verwaltungsweg eingehalten habe, um die Menschen an Bord des Schiffes der Küstenwache festzuhalten. Er hatte lediglich via Twitter erklärt, dass sie dort zu bleiben hätten. Salvinis engste Mitarbeiter, gegen die ebenfalls ermittelt wird, führten nach der Twitternachricht den Willen ihres Chefs aus.
Der Innenminister reagierte mit scharfen Worten auf das Vorgehen der Justiz. „Hier wird gegen den Willen des Volkes ermittelt“, so Salvini. „Ich repräsentiere den Willen des Volkes“, erklärte der Innenminister mehrfach.
Italiens Medien sind sich darin einig, dass Salvini eine ganz bestimmte Strategie verfolgt. Am Sonntag nannte er diese ganz offen: „Wenn das so weitergeht, lasse ich die Regierung platzen, es gibt Neuwahlen und dann werde ich regieren.“
Konfrontation mit EU und Kirche
Bei Salvinis Koaltionspartner, der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), lösten Salvinis Aussagen Befremden aus. Offiziell unterstützt man die scharfe Einwanderungspolitik des Innenministers. Doch inoffiziell äußern sich immer mehr Spitzenpolitiker der Partei, unter ihnen der Präsident des Parlaments, kritisch gegenüber der harten Linie, die zu einer direkten Konfrontation mit der katholischen Kirche und der EU führt.
Bereits am Freitag hatten die beiden Vizeregierungschefs Salvini und Luigi Di Maio, Chef der M5S, gedroht, die italienischen EU-Ausgaben zu stoppen, wenn die EU Italien in Sachen Flüchtlingen nicht entschieden entgegenkomme. Von Zahlungen in Höhe von jährlich 20 Milliarden Euro ist die Rede. Auch Regierungschef Giuseppe Conte erklärte, dass „wir nichts mehr nach Brüssel überweisen werden, wenn wir auf den Flüchtlingen sitzenbleiben“. Äußerungen dieser Art werden aber nicht von allen Ministern mitgetragen. Finanzminister Giovanni Tria etwa erklärte, solch eine Idee sei nicht realisierbar.
Fünf Sterne im Schatten
Salvinis Vorgehen löst auch aus einem anderen Grund innerhalb der Regierungskoalition Missstimmung aus. Der Innenminister dominiert Umfragen zufolge immer stärker die öffentliche Meinung Italiens. Die M5S, die bei den vergangenen Wahlen fast doppelt so viele Stimmen wie die Lega erhielt, stehe, so das Wochenmagazin „Espresso“, „immer öfter im Schatten des kleineren, aber aggressiveren Partners“. Dass Salvini kommende Woche Ungarns Regierungschef Viktor Orban allein in Mailand trifft, ohne dass andere Regierungsmitglieder eingeladen wären, soll Regierungschef Conte und auch seinen Vize Di Maio verärgert haben.
Am Sonntag erklärte Salvini, dass er „jede Form von Kritik an meinem Verhalten nicht akzeptiere“. Die Ermittlungen gegen ihn seien „eine Auszeichnung für mich, die beweist, dass ich das tue, was eine Mehrheit der Italiener von mir verlangt“.
Ob es tatsächlich zu einem Prozess gegen den Innenminister kommen wird, ist derzeit noch unklar. Tatsache ist aber, dass er seine Ermittler ununterbrochen provoziert – und dass die Staatsanwälte dafür bekannt sind, sich nicht einschüchtern zu lassen.